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Finanzierung > Mittelstandsanleihen

Win-win für Geldgeber und Umwelt

Mittelstandsanleihen sind wieder gefragt. Dieses Mal in Grün. Gerade für Unternehmen, die nachhaltig und sozial agieren, können sie sich rechnen.

Entscheidend für Schalke ist nicht auf‘m Platz. Entscheidend ist die Platzierung auf dem Kapitalmarkt. Schalke braucht frisches Geld, um alte Verpflichtungen bedienen zu können. Die im Juni platzierte vierte Unternehmensanleihe soll knapp 16 Millionen Euro einspielen. Zielgruppe laut Eigenwerbung: keine klassische Fananleihe, sondern eine tolle Gelegenheit für private Investoren mit Interesse und Erfahrung am Kapitalmarkt. Die abgestiegenen und auch finanziell lädierten Knappen versprechen einen stolzen Zinssatz von 5,75 Prozent jährlich und eine Laufzeit von fünf Jahren bei einer Mindestanlagesumme von nur 1.000 Euro. Der Absteiger Schalke gönnt sich dafür aber nicht neue Fußball-Fachkräfte, sondern löst damit die Altschulden aus der bestehenden Mittelstandsanleihe 2016/2021 aus.

Am 30. Juni endete die Zeichnungsfrist der neuen Anleihe. Glück auf, Zeichner! Denn wo viel Zins draufsteht, steckt eben viel Risiko drin. Auch bei Anleihen. Finanzexperten warnen: Schalke-Papier seien wie die meisten KMU-Anleihen nichts anderes als ungesicherte Kredite. Die Königsblauen stehen mit 217 Millionen Euro in den Miesen und sportlich in der zweiten Liga. Kein Honigtopf für professionelle Investoren. Zumal sie Alternativen haben. Das erste Halbjahr 2021 war ein voller Erfolg aus Sicht von Anleihe-Emittenten. Wobei aus Anlegersicht gerade Mittelständler über besonderen Charme verfügen. Sie müssen keinen Quartalsergebnissen hinterherjagen. Sie sind regional so fest verankert, dass sich Social Responsibilty schon aus sozialem Druck ergibt. Und nachweislich pflegen sie lange, stabile Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Banken. Ein Pfund, mit dem sich gerade in misslichen Niedrigzinszeiten wuchern lässt.

Krise, welche Krise?

Das zeigt das erste Halbjahr 2021. "Da haben wir einen Nachholeffekt gesehen", sagt Fabian Kirchmann, Vorstand der IR.on AG, einer Beratungsgesellschaft für Finanzkommunikation. Die Kölner analysieren halbjährlich den Markt für KMU-Anleihen. Nach ihren vorläufigen Zahlen wurden von Januar bis Juni dieses Jahres 18 neue Anleihen aufgelegt, ein Volumen von rund 750 Millionen Euro – 719 Millionen Euro wurden tatsächlich platziert. Der durchschnittlich angebotene Kupon liegt bei 5,2 Prozent. Auch für das klassische Emissionsfenster September bis November erwartet Kirchmann einen stabilen Markt: "Selbst aus Sicht institutioneller Investoren haben sich viele deutsche Mittelständler in der Krise sehr gut geschlagen. Auch das Kapitalmarktumfeld ist weiterhin sehr positiv." Nach den hohen Ausfällen vor einigen Jahren habe sich dieses Anlagesegment bis zur Coronakrise erfolgreich bereinigt und sei nun wieder etabliert.

Aus Kirchmanns Sicht können am ehesten Mittelständler mit einer Bilanzsumme von mehr als 100 Millionen Euro auf einen Platzierungserfolg hoffen. Plus: Sie sollten über solide Finanzstrukturen verfügen, also ausreichend Eigenkapital vorweisen sowie deutlich positive Cash-Flows erwirtschaften. Attraktiv sei zudem eine Laufzeit von mindestens fünf Jahren – dem statistischen Durchschnitt. Auch ein gutes Image des Unternehmens wie der Branche in der Öffentlichkeit kurbelt den Verkauf an. Und dann gibt es noch ein Schmankerl, allerdings eher für Unternehmen als für Investoren: Die wenigsten KMU-Anleihen werden besichert. No risk, no fun.

Eine Hürde bleibt aber selbst den Top-KMUs. Es ist die Psychologie. Wer eine Anleihe ausgibt, muss sich transparent machen. Sensible Zahlen müssen veröffentlicht werden, wie bei einem börsennotierten Unternehmen sind kursbeeinflussende Informationen ad-hoc-pflichtig. Bei Regelverstoß drohen empfindliche Strafen. Investoren sind schließlich keine gnädigen Familienmitglieder. Vor allem diese Veröffentlichungspflichten wiegen bei manchem Unternehmer, mancher Unternehmerin noch schwerer als die zu erwartenden Emissionskosten. Die liegen im Schnitt bei fünf bis sechs Prozent des Emissionsvolumens. Banken, Anwälte und Kommunikationsfachleute wollen auskömmlich honoriert werden. Erfolg oder Misserfolg der Aktion hängen in Zukunft direkt davon ab, wie nachhaltig das Unternehmen wirtschaftet. Denn Grün wird zur Lieblingsfarbe des Kapitalmarktes, von Seed-Capital bis Anleihen.

Fair Trade überall

Julia Kapraun, Assistant Professor am House of Finance der Universität Frankfurt, analysiert diesen Markt. "Er hat sich für grüne und andere nachhaltige Anleihen in den letzten Jahren weltweit extrem schnell entwickelt. Das geschätzte Volumen weltweit liegt bei 1,7 Trillionen US-Dollar. Dabei sind viele Staatsanleihen große internationale Unternehmen wie Tesla oder Apple, aber auch viele Bonds von kleineren Unternehmen, die vorher gar keine Anleihen begeben haben", so die Wissenschaftlerin.

Studien von Corporate Green Bonds zeigen, dass die Emittenten positive Reputationseffekte erleben. "Zudem helfen grüne Anleihen Emittenten, die vorher keinen oder kaum Zugang zu diesem Investorenkreis hatten", ergänzt Kapraun und berichtet auch hier von einem Halo-Effekt. "Der Green-Halo-Effekt bewirkt, dass nach einer erfolgreichen Grünen Anleihe auch die konventionellen Anleihen des Emittenten in den Fokus der Investoren rücken."

Die nehmen es allerdings genau. Greenwashing ist verpönt. "Wichtig ist die Zertifizierung der grünen Anleihen durch externe Begutachter, weil es nach wie vor keine einheitlichen und transparenten Regeln für die Emission der grünen Anleihen gibt. Ohne diese Zertifizierung können grüne Anleihen sogar unter den konventionellen Anleihen notieren." Eine Studie der Universität Frankfurt zeigt: Im Schnitt fanden sich weder auf dem Primär- noch auf dem Sekundärmarkt Preisunterschiede zwischen den grünen und konventionellen Anleihen. Die Expertin analysiert den Markt auf der Meta-Ebene. Im realen Leben stellt derzeit die Immobilienbranche die meisten deutschen Anleihe-Emissionen. IR.on-Berater Kirchmann weiß: "Sowohl 2020 als auch 2021 hat die Immobilien-Branche die meisten neuen KMU-Anleihen aufgelegt – jeweils rund ein Viertel des Gesamtmarktes". Immobilien sind ein gutes Beispiel dafür, wie politische Anlagevorgaben wirken können. Wie die beiden aktuell wichtigsten: die EU-Taxonomie und ESG-Kriterien.

Die Hebel der EU

Erst im April legte die EU-Kommission ein Maßnahmenpaket vor. Sie will innerhalb der Europäischen Union mehr Kapital in nachhaltige Tätigkeiten lenken. Es werde Zeit für die sogenannte EU-Taxonomie, denn die bestehenden, freiwilligen Standards erfüllten ihren Zweck nicht. "Die Taxonomie versetzt Anleger in die Lage, ihre Investitionen verlässlich und ohne 'Greenwashing' auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen. Die neuen Bestimmungen werden eine grundlegende Wende im Finanzwesen herbeiführen", ist sich Kommissarin Mairead McGuinness sicher. Ein erstes Gesetz dazu soll Endes dieses Jahres in Kraft treten.

Für Unternehmen bedeutet das konkret: Sie unterliegen künftig strengeren Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Finanzunternehmen, Anleger sowie die Öffentlichkeit sollen so vergleichbare und verlässliche Angaben zum Thema Nachhaltigkeit bekommen können. Zudem müssen Finanzunternehmen wie Beratungsgesellschaften, Vermögensverwaltungsgesellschaften oder Versicherer das Thema Nachhaltigkeit in ihre Verfahren und in ihre Anlageberatung für Kunden aufnehmen. Soll heißen: Finanzunternehmen müssen ihre eigenen Nachhaltigkeitsrisiken (etwa die Auswirkung von Überschwemmungen auf den Wert der Investitionen) definieren. Unternehmen, die Finanzprodukte auflegen, und Finanzberater müssen bei der Gestaltung ihrer Finanzprodukte Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Die spannende Frage dabei: Was gilt denn heute und morgen auch noch als nachhaltig? Das entscheiden auch die sogenannten Environmental, Social und Governance-Kriterien, kurz ESG. Sie stehen für ökologische, soziale und ethische Aspekte.

Christian Westphal erlebt die ESG-Auswirkungen täglich. Sie kristallisieren sich als weitere treibende Kraft der Digitalisierung heraus – gerade für die bislang sehr analoge Immobilienbranche. Der CEO von Crem Solutions, ein Anbieter von Softwarelösungen für das Immobilienmanagement, berichtet: "Der Flächenbedarf und die Nutzung von Immobilien werden sich signifikant verändern. Wer bei Neu- oder Umbauten jetzt nicht nach ESG-Auflagen handelt, wird schlimmstenfalls wegen der Nichteinhaltung gesetzlicher Vorgaben sanktioniert." Um das zu vermeiden, generieren Unternehmen und Investoren mehr belastbare Informationen zum Flächen- und Ressourcen verbrauch einer Immobilie. Das kurbelt die Nachfrage nach den dafür nötigen Monitoring- und Analyse-Tools an. "Darüber können Emissionen nachhaltig und effektiv gesenkt werden", sagt Westphal. Und besser vermarkten lassen sie sich auch. Win-win für Geldgeber und Umwelt gleichermaßen. So war das gedacht.

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