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Firmen-News > Gastbeitrag von Stefan Wachtel

Die Rede in den Zeiten von Seuche und Krieg

Warum Rhetorik eine Renaissance erfährt – und Politiker professioneller und pointierter sprechen.

Dr. Stefan Wachtel, Frankfurt, ist Autor des Buches „Das Zielsatz Prinzip“. Bild: Guido Werner Photography

Die professionelle Kommunikation ist nicht mehr so deutsch-sachlich wie ehedem. Ob Spitzenmanager oder Politiker, und bei den zuerst Seuchen- und jetzt Militärexperten, setzt sich das fort: Das Mündliche wird immer wichtiger und Wirkung wird existenziell. Wer Relevanz zu bieten hat, wer zielgerichtet strukturieren und pointieren kann, gewinnt. Wir befinden uns mitten in einer neuen Wirkungs-Mündlichkeit. Man sieht drei exemplarische Trends: Vom Authentischsein zum Rollenspiel, von kompliziert zu einfach und vom Informieren zum Propagieren.

Willkommen in der neuen Mündlichkeit! Sprachnachrichten, Sprachsteuerung, Podcasts, TED-Talks, Youtube, Lanz & Precht, die virale Verbreitung von face und voice über social networks, alles geht vom Schreiben zum Reden. „Schön sprechen,“ noch heute klingt das Postulat unserer Deutschlehrerin nach, Subjekt, Objekt, Prädikat, Konjunktiv 12 Semikolon. Jetzt dagegen ist „Schreiben fürs Hören“ gefragt. Lange lebte diese dritte Mündlichkeit sehr deutschkultürlich; Wirkung spielte in ihren ersten zehn Jahren dieser neuen Mündlichkeit weniger eine Rolle als Korrektheit. Das ändert sich, seit Redekultur zur Kampfkultur wurde. In den Zeiten von Seuche und Krieg kommt es auf Überzeugung an, oft darüber hinaus, auf Propaganda und deren Abwehr. Und das Ende ist schon zu sehen: Man will den anderen nicht verstehen, sondern vernichten. 

1. Von Authentischsein zum Rollenspiel

Die guten professionellen Kommunikatoren haben begriffen, sie müssen in der Rolle sein, um Wirkung zu entfalten. Olaf Scholz ist das beste Beispiel, ein Ensemble aus Scholz und Merkel wird pseudoauthentisch dargeboten. Und die dazu gehörige mnblige Nichtkommunikation ist offenbar ganz gut für Propagandistisches zu gebrauchen. Und Markus Söder ist eben nicht einfach der Markus, wenn er ins Mikrophon spricht. Er spricht in seiner Rolle als CSU-Chef, als bayerischer Ministerpräsident und möglicher nächster Kanzlerkandidat. Er liefert seit Jahren rhetorisch verlässlich ab. Er wirkt dabei authentisch, sodass die Leute sagen: Ja, so muss ein bayerischer Ministerpräsident sein. Immer mehr dieser Klasse sind auf Wirkung gebürstet. 

Wenn wir von Rollenverständnis sprechen, kommen wir nicht vorbei an Alice Weidel, Sahra Wagenknecht, an Donald Trump ohnehin. Auch wenn vieles oft spontan scheint: Sie gehen wirkungsgetrieben vor. Desgleichen Alice Weidel. Die Frontfrau der AfD kultiviert die kühle, rhetorisch begabte Blonde mit standhaften Positionen. Und Sarah Wagenknecht dürfte vor einem monströsen Erfolg stehen, mit nur einer einzigen These, die alle eint: Vernunft statt Ideologie. Sie alle verstehen eines: Rolle. Und sind allemal erfolgreicher sein als etwa die deutsche Außenministerin, die die ihrige bis heute nicht verstanden hat.

2. Von kompliziert zu einfach

Der Meister der Simplifizierung und Pointierung gibt den Seinen gerade wieder, was sie hören wollen: „They are poisoning the blood of our country“, sagt er über jene, die ins Land drängen. Applaus dafür von der einen Seite. “They want to take away my freedom, because I will never allow them to take away your freedom“, lautet Trumps wohlgesetzter Kommentar über die Richter, die seine Präsidentschaftskandidatur verbieten wollen. Und für seine unterlegene Rivalin Hillary Clinton hatte er lediglich ein „nasty woman“ übrig. In einer komplexen Welt ist das Methode schlicht Vereinfachung. Selbst Olaf Scholz bediente sich des Mittels Vereinfachung. Noch in dessen politischen Folklore, mit der das Volk infantilisiert wird („Doppelwumms“), und dem schon seit 2016 aufgewärmten „Zeitenwende“  Soundbite scheint der Wunsch nach vereinfachender Wirkung auf. Danach gab nur mehr neblige Nichtkommunikation.

All das verlangt Training und Coaching. Beleg dafür ist die Wandlung von Robert Habeck. Galt er als der Prototyp jenes Politikers, dem man beim Nachdenken zuschauen kann, leistet er die Nachdenkarbeit nun diskreter. Nachzusehen in seiner inzwischen berühmten Israel-Videobotschaft vom 2. November 2023. Der neue Habeck ist ein rhetorischer. Einer, der mit fester Stimme, kategorisch, mit geschultem Blickkontakt und professioneller Betonung, unbeirrbar, mit fester Fixierung und klaren Werten voranschreitet. Voll auf Wirkung gebürstet. Die Renaissance der Rhetorik ist auch eine, die aus Jünglingen Männer macht. 

3. Vom Informieren zum Propagieren

Der „Wirtschaftsminister und Videokünstler Robert Habeck“ (Gabor Steingart) lag mit seiner zweiten Produktion genau in diesem rhetorischen Trend - und griff daneben, in dem er die Bauern diskreditierte. „Wird der Bauer unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem“, dichteten die zurück: Der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft sagte: „Umsturzphantasien mag Robert Habeck haben, aber die Bauern bestimmt nicht.“ Auf diesem gefährlichen Terrain vom Informieren zum Propagieren braucht es Profis. 

Da geht es auch um Struktur von Reden und Antworten. Wie ordnet man Inhalt, mit dem man überzeugen will? Die neue Rhetorik ist eine inhaltlich getriebene – niemand redet mehr von Körpersprache. Die Strategieberatungen bilden hier die Spitze der Bewegung. Sie haben den Modus gewechselt: Der langweilige Erklärbär- und Expertenmodus wird abgelöst von einer Art „Executive Modus“. In diesen wechseln Konzernvorstände und Manager:innen, wenn sie eher überzeugen und propagieren anstatt informieren wollen.

Alle schalten in der Redekultur von Seuche und Krieg um auf Wirkung. Die klassische Struktur mit dem Wichtigsten am Anfang (s. Barbara Minto „The Pyramid Principle“) wird seltener. Das betrifft Charts, vor allem aber auch Reden und Antworten. Jetzt braucht es die alten rhetorischen Tugenden: Zugang zum anderen, Flughöhe der Argumente am Anfang, Pointierung im Zielsatz, „Reversed Pyramid“ oder „Das Zielsatz Prinzip“. Proklamierte Notlagen wie Seuchen und Kriege wirken sich in der Redekultur aus: Die daraus folgende Kultur der Aus- und Abgrenzung verlangt „deutliche Ansagen“, die Pointierung auf einen Punkt hin. Dessen bedienen sich Wolodimir Selenskij („Massenmörder“) gleichermaßen wie Benjamin Netanyahu („gnadenlos“) oder Waldimir Putin („Bastard“ / „Idiot“), und Trump ohnehin. Die alle in Trichtern sprechen, mit Zielsatz am Ende. 

Diese drei Trends der Rhetorik dürften langlebig sein, denn auch ihre Ursachen sind langlebig: Wiederkehrende Seuchen, lange Kriege, die Falle kontrafaktisch-ideologischer Versprechen („whatever it takes“). Es stehen also Turbos bereit, die immer noch einen draufsetzen. Vielleicht aber tut es der früher rhetorikfeindlichen deutschsprachigen Kultur ganz gut.

Dr. Stefan Wachtel, Frankfurt, ist Autor des Buches „Das Zielsatz Prinzip“.

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