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Fünf Ratschläge für den deutschen Mittelstand im Krisenzeitalter

Was bedeutet die Krisenerfahrung der vergangenen Jahre für den deutschen Mittelstand? Welche Schlussfolgerungen sollten die Unternehmen aus den aktuellen Entwicklungen rund um Covid, Ukrainekrieg und Inflation ziehen? Der ehemalige Chefökonom der Allianz, Michael Heise, macht fünf Vorschläge, die aufhorchen lassen.

Chefökonom Michael Heise spricht über Krisenerfahrungen für Unternehmen
Michael Heise, ehemaliger Chefvolkswirt Allianz, Bildnachweis: picture alliance / dpa | Tobias Hase

Das Jahr 2022 war von zahlreichen politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen geprägt. 2023 hat für die Wirtschaft und die Kapitalmärkte etwas ruhiger begonnen, aber es wäre unrealistisch, die Krisen als überwunden anzusehen. Nach wie vor gibt es erhebliche makroökonomische Unsicherheiten – eine viel zu hohe Inflation und die Möglichkeit einer noch deutlich strafferen Geldpolitik – den unabsehbaren Krieg in der Ukraine und beträchtliche geopolitische Spannungen zwischen den USA und China, die für die gesamte Weltwirtschaft von Bedeutung sind.

Änderungen der weltweiten Handels- und Kapitalströme und neue Formen der Globalisierung haben begonnen, die für das Geschäftsmodell Deutschland von besonderer Bedeutung sind. Denn der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands ist auf eine hohe Internationalisierung der Wirtschaft gegründet, die von einem starken Mittelstand und einer leistungsfähigen Industrie vorangetrieben wurde.

Eine besonders sichtbare geoökonomische Veränderung ist, dass China und Russland wirtschaftlich immer stärker zusammenwachsen, während sich deutsche Unternehmen, die in Russland einst eine dominante Bedeutung hatten, aufgrund der Sanktionen weitgehend zurückgezogen haben. Bedeutsamer noch ist, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und seinem größten Handelspartner China inzwischen auch als riskante Abhängigkeiten angesehen werden, die aufgrund der schwer kalkulierbaren politischen Entwicklungen in diesem riesigen „Einparteienland“ gefährlich werden könnten.

Es wird kaum möglich sein, das Geschäft mit China in überschaubarer Zeit durch andere Länder zu ersetzen, sondern es wird eher ein längerfristiger Trend sein, die Wirtschaftsbeziehungen zu anderen asiatischen Partnerländern und darüber hinaus mit den Partnern im westlichen Wertebündnis zu verstärken. Unter den großen Schwellenländern Asiens dürften Indien und Indonesien profitieren. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika dürften aufgrund der politischen Rahmenbedingungen, einer sicheren Energieversorgung und hohen Subventionen für die Investitionen europäischer und deutscher Unternehmen sehr attraktiv sein. Es ist also mit deutlichen Veränderungen der internationalen Produktions- und Lieferketten zu rechnen.
 

Welche Schlussfolgerungen sollten vor allem mittelständische Unternehmen in Deutschland aus den Entwicklungen ziehen? Dazu fünf Vorschläge, die ein Gedanke verbindet: Gewinne sind wichtig, Widerstandsfähigkeit auch.

Erstens: Die Unternehmen sollten auf scheinbar „Unabsehbares“ gefasst sein. Nach Jahren einer „Polikrise“, die mit der Covid-Pandemie begann, sollte man gegenüber zukünftigen Überraschungen widerstandsfähig sein und auch Krisenszenarien überleben können.

Zweitens: Der deutsche Mittelstand hat vor der Covid-Pandemie hohe Eigenkapitalquoten ausgewiesen, die ihn ohne große Insolvenzwellen durch die Krisen haben kommen lassen. Für Finanzoptimierer stellen die Eigenkapitalquoten zwar eine Begrenzung der möglichen Renditen dar, aber Renditemaximierung nützt wenig, wenn das Überleben in Krisen nicht gesichert ist.

Drittens: Auch mittelständische Unternehmen sollten starke einseitige Abhängigkeiten von einzelnen Partnern reduzieren. Das kann die Bezugsquellen von Vorprodukten betreffen, die für die Stabilität von Wertschöpfungsketten wichtig sind, es kann die Diversifizierung von Absatzmärkten und Produktionsstätten bedeuten. Daneben werden etwas höhere Lagerbestände und weniger Just-in-time-Optimierung die neue Realität prägen.
 

Viertens: Es ist richtig und wichtig, dass mittelständische Unternehmen auch in Zukunft nicht auf eine Besserung der Standortbedingungen durch die Politik warten, sondern sich auch widrigen Bedingungen anpassen. Verbesserungspotential in der Wirtschaftspolitik gibt es reichlich: beim Bürokratieabbau, der Mittelständler besonders am Herzen liegt, bei der in Deutschland besonders hohen Steuer- und Abgabenbelastung, bei einer sicheren und günstigen Versorgung der Wirtschaft mit Energie, beim Ausbau der Infrastruktur. Ändert sich an diesen Rahmenbedingungen nichts, werden weitere Anpassungsmaßnahmen der Unternehmen zu erwarten sein, um die Wettbewerbsfähigkeit trotz schwieriger Standortbedingungen zu erhalten, etwa arbeitssparende Rationalisierungen, Produktionsverlagerungen ins Ausland, wie sie im energieintensiven Bereich, aber auch bei Forschung und Entwicklung derzeit wieder geschehen, oder aber eine verminderte Fertigungstiefe und der Import von benötigten Produktkomponenten. Solche Strategien haben die Unternehmen auch in der Vergangenheit wettbewerbsfähig gehalten, sie gehen allerdings vielfach zulasten der Investitionen und der Beschäftigung am Standort Deutschland. 

Fünftens: Die Lehre aus vielen Krisen der Vergangenheit ist es, gerade in schwierigen Zeiten Innovationsanstrengungen nicht zu reduzieren, sondern eher noch zu erhöhen. Neue Technologien, oder neue Wege, den Kundenbedarf noch besser zu treffen, sind oft das Grundgerüst für langfristige Markterfolge.

Fazit  

Eine starke und erfolgreiche Entwicklung des Mittelstandes ist für den Wohlstand in Deutschland von essentieller Bedeutung. Diese Erkenntnis wird kaum bestritten, führt aber leider nicht dazu, dass die Rahmenbedingungen für die mittelständische Wirtschaft durchgreifend verbessert werden. Wir diskutieren zwar die sogenannte Deindustrialisierung und beobachten seit fünf Jahren einen tendenziell fallenden Trend der deutschen Industrieproduktion, aber können offenbar keinen Konsens für wirksame strukturelle Maßnahmen finden. Entlastungsmaßnahmen im Rahmen des (Energie-)Krisenmanagements sind wichtig, werden aber die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht auf lange Sicht verbessern

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