Der Mittelstand finanzierte sich traditionell über Banken, doch Krisen und gestiegene Zinsen erschweren die Kapitalbeschaffung. Neue Finanzierungswege sind nötig, um Investitionsstaus zu lösen.
Die deutsche Wirtschaft, geprägt von einem starken Mittelstand und traditionellen Familienunternehmen, kommt nicht voran. Das BIP stagniert bereits seit Ende 2019, während die Eurozone im gleichen Zeitraum um 3.5% gewachsen ist. Viele Firmen leiden unter der schwachen Auslandsnachfrage, hohen Energiepreisen, Fachkräftemangel und Inflation. Gleichzeitig bringen Klimapolitik und Transformationsdruck hohe Kosten mit sich. Um Wandel und Wachstum zu finanzieren, braucht es frisches Kapital.
ESG, Branchenumbrüche, Transformation – alles kostet
Der Investitionsbedarf im Mittelstand ist groß: veränderte Marktstrukturen und Wettbewerbsbedingungen im Zuge der Pandemie, die Absicherung von Lieferketten und die Umstellung auf erneuerbare Energien. Gerade das Thema Nachhaltigkeit trifft durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die von Zulieferern börsennotierter Unternehmen geforderte Transparenz den Mittelstand vollumfänglich, der für die Umsetzung Investitionen und Expertise benötigt.
Und gleichzeitig gilt: nur wer in Schlüsselbereichen wie ESG, KI und Digitalisierung gut positioniert ist oder sein Portfolio zügig darauf ausrichtet, hat Chancen, vom Wandel zu profitieren. Davon gibt es in Deutschland – den vielen pessimistischen Stimmen zum Trotz – sehr viele Unternehmen. Aber: Auch sie brauchen Kapital, um Wachstum und eventuelle Umpositionierung zu finanzieren.
In fast jedem Gespräch, das wir als Bank derzeit mit familiengeführten Unternehmen führen, wird dieses Thema deutlich: mittelständische und große Familienunternehmen in Deutschland bewegt gerade ein erheblicher Kapitalbedarf zur Wahrung langfristiger Unternehmensziele. Investitionen sind an verschiedenen Fronten notwendig, die man in der Vergangenheit nicht gleichzeitig bewältigen musste.
Veränderte Spielregeln an den Finanzmärkten
Historisch gesehen waren deutsche Unternehmen in privater Hand oft konservativ finanziert. Der Kapitalbedarf wurde überwiegend von Banken gedeckt oder war durch das Vermögen der Eigentümerfamilie abgesichert. Diese Strukturen haben in Zeiten von Null- und Niedrigzinsen gut funktioniert und den deutschen Mittelstand stark gemacht.
Doch die Spielregeln haben sich geändert: Angesichts gestiegener Zinsen und der schwachen Konjunktur kommen Unternehmer in Deutschland derzeit deutlich schlechter an neue Bankkredite – was wiederum Wirtschaftsaktivitäten bremst und Preissteigerungen eindämmt. Gleichzeitig wurde in den letzten Krisenjahren zu wenig investiert. So kommen zwei Dingen zusammen: viele Finanzierungen laufen ab, die jetzt teurer sind. Und Investitionen haben sich angestaut, für die der Mittelstand jetzt innovative Wege braucht, um Kapital zu beschaffen.
Gerade jetzt, wo das Geld am dringendsten benötigt wird, sind die Finanzierungskosten gestiegen. Für ein Unternehmen mit Investment Grade Rating (BBB) sind die Zinskosten von um die 0.5 Prozent im Jahr 2021 auf derzeit knapp unter 4 Prozent gestiegen. Häufig sind auch Finanzierungsvolumina problematisch – es wird auf “Loan-to-Value“-Basis weniger Geld zur Verfügung gestellt, weil Banken größere Risikopuffer bei Finanzierungen benötigen. Dies vergrößert Finanzierungs- und Refinanzierungsrisiken, belastet die Ertragskraft und stellt viele Unternehmer vor eine große Herausforderung.
Zeit für Wandel: alternative Finanzierungswege gefragt
Um den Investitionsstau zu lösen, müssen Mittelständler auf einen breiteren Finanzierungsmix setzen. Dabei spielt der Kapitalmarkt eine zentrale Rolle. Das muss nicht gleich einen Börsengang bedeuten – auch die Kapitalbeschaffung über Investoren kann ein effizientes Mittel sein, um die finanzielle Basis zu sichern. Private Unternehmen verfügen aber oft nur über einen eingeschränkten Zugang zum Kapitalmarkt. Dann sind Bankfinanzierungen oder Schuldscheindarlehen bisher die einzigen Optionen gewesen. Sicherlich, die Familie kann mehr Eigenkapital einbringen. Dies birgt jedoch oft Risiken, die anderen Plänen entgegen stehen – und in vielen Fällen ist das meiste Vermögen bereits im Unternehmen gebunden.
Neue Wege öffnet die Suche nach einem Eigenkapitalinvestor, der Transformation und Wachstum mitfinanziert. Hier bieten sich langfristige Investoren wie Staats- und Pensionsfonds, andere Familienvermögen oder Industrieholdings an. Auch Private Equity ist eine Option, die zwar mit einem oft begrenzteren Investitionszeitraum verbunden ist, aber auch Expertise für die Transformation mit an den Tisch bringt. Bei vorangeschrittener Repositionierung und ab einer gewissen Unternehmensgröße bietet sich auch der Schritt an die Börse an, der aber auch genutzt werden kann, um die genannten Kapitalgeber nach einigen Jahren abzulösen.
In Frage kommen zudem strategische Partnerschaften, auch auf regionaler Ebene. Die Bündelung von Kapital und Know-how schafft nicht selten Synergien und ermöglicht es, Investitionen effizienter aufzustellen oder Risiken zu teilen. Ein anderer Weg ist der mehrheitliche Verkauf des Unternehmens mit anschließender Rückbeteiligung. Er bietet frisches Kapital und gleichzeitig die Möglichkeit, einen Teil der Kontrolle und des Upsides zu behalten.
Als Bank führen wir mit Unternehmern vermehrt Gespräche über die genannten Optionen, bekommen aber auch von Investorenseite ein gestiegenes Interesse vermittelt. Vom sogenannten „Dry Powder“ gibt es genug. Und: Mit der richtigen Strategie und den richtigen Finanzierungspartnern lässt sich die Transformation nicht nur meistern, sondern auch gezielt für sich nutzen – davon bin ich überzeugt.
Über den Autor:
Tobias Vogel ist CEO der UBS Europe SE, unter deren Dach zehn europäische Länder und rund 3.000 Mitarbeitende vereint sind. Nach langjähriger Tätigkeit im Investmentbanking der Schweizer Bank in London – zuletzt als Head EMEA Equities & Head Equities Distribution – wechselte er 2019 zurück nach Deutschland. Für die Stärkung des Banken- und Finanzsektors engagiert sich Vogel unter anderem als stellvertretender Vorsitzender des Verbands der Auslandsbanken in Deutschland, Vorsitzender des Börsenrats der Eurex Deutschland und Börsenratsmitglied der Frankfurter Wertpapierbörse, sowie als Vorstandsmitglied des Deutschen Aktieninstituts.