50 Jahre nach Ende der Hausfrauenehe: Warum Deutschland Frauen im Job noch immer bremst
Tradwife-Trend, Equal Pay & Arbeitsmarkt: Was Deutschland 50 Jahre nach 1975 bewegt.
5.10.2025 von Thorsten Giersch für Markt und Mittelstand
Vor ziemlich genau 50 Jahren haben die Politiker in der Bundesrepublik Deutschland den bis heute wichtigsten Schritt für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen gewagt. Der Gesetzgeber beendete 1975 die „Hausfrauenehe“, was es Frauen erheblich erleichterte, einen Beruf auszuüben. Millionen Frauen konnten so in den Arbeitsmarkt eintreten, ein enormer Gewinn für die deutsche Wirtschaft. Der Staat ließ fortan die Eheleute unter sich ausmachen, wer welche und wie große Teile der Familienarbeit übernimmt. Vorher durften Frauen nur dann einen bezahlten Job annehmen, wenn „ihre Pflichten in Ehe und Familie“ nicht darunter litten.
Wenn Ökonomen heute gefragt werden, was am schnellsten und nachhaltigsten für mehr Wachstum sorgen kann, antworten die meisten: Bringt mehr Frauen in Jobs. Was ist in den vergangenen 50 Jahren passiert oder vielmehr nicht passiert? Deutschland hat zwar im europäischen Vergleich eine der höchsten Erwerbstätigenquoten, aber 50 Prozent der Frauen arbeiten dauerhaft in Teilzeit. Bei den Männern sind es zum Vergleich zwölf Prozent. Kein Wunder, dass es im Koalitionsvertrag mehrere Stellen gibt, um die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern.
Umso verärgerter ist vor allem Familienministerin Karin Prien (CDU) über den weltweit grassierenden Trend, dem man den schönen Namen Tradwives gegeben hat. Die Kurzform von Traditional Wives beschreibt die Haltung vieler Frauen, daheimzubleiben und sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen – teils prominent über soziale Medien verkündet. 50 Jahre nach dem Ende der Hausfrauenpflicht kehren Millionen freiwillig zu Kind, Herd und Garten zurück?
Für Politik, Ökonomen und Unternehmen mag der Trend ein Desaster sein, beschäftigen müssen sie sich damit – und mit den Gründen. Die Renaissance des „Traumjobs Hausfrau“, wie der Spiegel titelte, hängt damit zusammen, dass viele Frauen zwischen Lohnarbeit und Familienjob überlastet sind. Väter beteiligen sich zwar etwas mehr als früher, aber Frauen übernehmen immer noch 44 Prozent mehr Familienarbeit. Eine Idee: die Ganztagsbetreuung an Grundschulen auszubauen. Dann hätten Frauen mehr Zeit, arbeiten zu gehen – wenn der Mann schon nicht bei der Betreuung einspringen will. Den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gibt es, nur fehlen Plätze. Familienministerin Prien will den Bundesländern bis 2029 dafür 3,5 Milliarden Euro geben.
Dann können es sich die jüngeren Generationen offenbar einfach leisten, nicht zu arbeiten. Das betrifft gerade diejenigen, die ein umfangreiches Erbe erhalten haben oder kommen sehen. Zusätzlich begünstigt der Staat mit dem Ehegattensplitting, dass Männer die Familie ernähren, Frauen sich eher zurückhalten. Wobei so manche auch unterschätzt, was es bedeutet, sich gegebenenfalls finanziell abhängig vom Ehemann zu machen. Ein weiterer Grund für die Rückkehr an Heim und Herd: Die Jüngeren glauben, sie könnten den Wohlstand vorheriger Generationen ohnehin nicht mehr erreichen. Wofür sich also den Stress antun? Für den Wirtschaftsstandort ist dieser Trend brandgefährlich. Unternehmen brauchen angesichts der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren jede Person, die zu haben ist.
Faktenbox: Frauen, Arbeit & Gleichberechtigung
- 1975: Ende der „Hausfrauenehe“ – Frauen dürfen ohne Zustimmung des Ehemanns arbeiten.
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50 % der Frauen arbeiten dauerhaft in Teilzeit (Männer: 12 %).
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44 % mehr Familienarbeit leisten Frauen im Vergleich zu Männern.
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3,5 Mrd. Euro will Familienministerin Prien bis 2029 in Ganztagsbetreuung investieren.
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16 % der deutschen Stellenanzeigen nennen ein Gehalt (Frankreich: 50 %).
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10 % der Unternehmen haben einen Plan zur Gehaltstransparenz (Mercer-Studie).
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2026: EU-Richtlinie zur Vergütungstransparenz tritt in Kraft.
Rollenmuster in Anzeigen
Auffällig ist die Diskrepanz zwischen dem Wunsch von Beschäftigten, Familien- und Lohnarbeit in Einklang zu bringen – und dem, womit Arbeitgeber für sich werben. In Stellenanzeigen bekannten 2024 nur wenige, familienfreundlich zu sein, wie die Bertelsmann-Stiftung errechnet hat. Nur jede achte nahm Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hilfe bei der Kinderbetreuung stand nur in knapp vier Prozent der Stellenanzeigen. Auch die Arbeitszeit flexibel zu gestalten, war eher ein Randthema. Die Experten der Bertelsmann-Stiftung entdeckten, dass in Stellenbeschreibungen Rollenmuster zementiert werden. Während in typischen „Männerberufen“ so gut wie nie angeboten wird, über die wöchentliche Arbeitszeit mitzuentscheiden, ist das immerhin in jedem vierten „Frauenberuf“ der Fall, also zum Beispiel der Altenpflege. Arbeitsmarktexperten bemängeln: Wer so handelt, braucht sich nicht zu wundern, dass sich nicht genug qualifizierte Interessenten bewerben.
Angesichts der Tatsache, dass auch Gehaltsspannen hierzulande selten in Stellenausschreibungen genannt werden, fragt man sich, welche wichtigen Informationen dort überhaupt zu finden sind. Der Jobplattform Indeed zufolge enthalten lediglich 16 Prozent der Stellenanzeigen in Deutschland eine Gehaltsangabe, in Frankreich ist es jede zweite. Geld ist in Deutschland ein Tabuthema, ganz anders als im Ausland, was qualifizierte Zuwanderer abschreckt. Nicht nur bei Bewerbungen, sondern generell spricht man ungern offen übers Geld.
Die Beratung Mercer fand in einer Studie heraus, dass hierzulande nur zehn Prozent der Unternehmen einen Plan haben, wie sie Gehälter offenlegen wollen. Der öffentliche Dienst ist weitaus transparenter als die Privatwirtschaft, wo die ausgeprägte Verschwiegenheitskultur Konflikte vermeiden soll – gerade auch zwischen Männern und Frauen. Deswegen gibt es seit 2017 das Entgelttransparenzgesetz, das aber weitgehend wirkungslos ist. Die Transparenzanforderungen gelten nur in Unternehmen mit mindestens 200 Angestellten, da fällt die Hälfte der Arbeitnehmer in Deutschland weg. Das könnte sich ändern. Von Juni 2026 an greift eine europäische Richtlinie zur Vergütungstransparenz. Die EU geht weit über das deutsche Gesetz hinaus. Für dessen praktischen Nutzen kann das gut sein. Fachleuten zufolge fördert das Gesetz „horizontale Transparenz“. Man kann erfahren, was alle anderen auf derselben Stufe verdienen, was Neid fördert, aber nicht motiviert. Bei „vertikaler Transparenz“ sieht man, was man weiter oben bekommen kann. Das motiviert, zeigen Studien aus anderen Ländern.
Gehalt nach Belieben
Die Unternehmen wissen, dass die Richtlinie kommt. Einer Umfrage der Beratung Willis Towers Watson (WTW) zufolge sind aber 40 Prozent immer noch nicht vorbereitet. Das muss nicht repräsentativ sein, aber der Trend ist klar: Neben Investmentbanken und Vermögensverwaltungen wird auch im familiengeführten Mittelstand über viele Gehälter nach Belieben entschieden, wie WTW berichtet. Dabei muss gar nicht böser Wille vorliegen, wenn Frauen trotz gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation weniger verdienen als Männer. Oft fehlt eine einheitliche Datengrundlage zu Gehältern, Benefits und Arbeitszeiten, um beurteilen zu können, ob Lohnlücken wegen des Geschlechts existieren, die geschlossen werden müssen.
Nun kommt immer mehr Bewegung in das Thema: Auch bei der Personal- und Managementberatung Kienbaum machen die Fachleute einen stark erhöhten Bedarf aus. „Das geht los bei Unternehmen mit 50 Beschäftigten“, sagt Beraterin Vera Bannas. Obwohl hier die Berichtspflicht noch gar nicht greift, will man am Arbeitsmarkt keine Nachteile haben – und sich für etwaige Auskunftsanfragen der Mitarbeitenden wappnen. Früher sei das wesentliche Problem gewesen, dass die Firmen überhaupt erkennen wollten, ob und wo sie ungerecht vergüteten. Das sei nun anders. „Die Überzeugung ist da. Equal Pay ist auf der Chefetage der Mittelständler angekommen“, sagt die Beraterin. „Im Mittelpunkt steht jetzt die Frage, wie das Thema pragmatisch angegangen werden kann.“
Wer Equal Pay anpackt, die Beschäftigten sortiert und dann vergleicht, erlebt viele Überraschungen. Man könnte denken, dass es in strengen Tarifstrukturen zu gar keinen Ungerechtigkeiten kommen kann – weit gefehlt. Viele Tarifverträge enthalten nicht alle erforderlichen Elemente, die zur Bestimmung von Entgeltgerechtigkeit erforderlich wären. Herausfordernd in der Praxis sind zudem Zulagen, verschiedene Benefits oder die Frage, wer in welche Schicht eingruppiert wird. Eine sehr große Veränderung ist, dass die Sechs-Personen-Regelung entfällt. So viele mussten bisher in einer Abteilung sein, damit Gehälter überhaupt verglichen werden konnten. Stattdessen gilt nun „Gleichwertigkeit“: Auf Grundlage von vier Kriterien müssen Arbeitgeber nun Gruppen gleichwertiger Arbeit definieren. Die Tätigkeiten sind egal. Wird eine Lücke von mehr als fünf Prozent zwischen Männern und Frauen sichtbar, muss das Unternehmen das rechtfertigen.
Meilensteine der Frauenrechte in Deutschland
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1918: Frauen erhalten das Wahlrecht in Deutschland.
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1949: Artikel 3 Grundgesetz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
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1958: Gleichberechtigungsgesetz – Männer verlieren das alleinige Bestimmungsrecht in der Ehe.
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1975: Ende der „Hausfrauenehe“ – Frauen dürfen ohne Zustimmung des Ehemanns arbeiten.
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1977: Reform des Ehe- und Familienrechts – Frauen können berufstätig sein, auch wenn Familienpflichten betroffen sind.
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1980: Erstes Gleichbehandlungsgesetz für Männer und Frauen am Arbeitsplatz.
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2001: Einführung des Elterngeldes, später erweitert zu ElterngeldPlus (2007).
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2015: Frauenquote (30 %) in Aufsichtsräten großer börsennotierter Unternehmen.
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2017: Entgelttransparenzgesetz – Anspruch auf Auskunft über Gehälter in Unternehmen ab 200 Beschäftigten.
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2026: EU-Richtlinie zur Vergütungstransparenz tritt in Kraft.
Drohender Reputationsverlust
„Oft können Betriebe die Unterschiede erklären. Aber sie sind jetzt stärker in der Beweispflicht, dass keine Ungleichbehandlung vorliegt“, sagt Beraterin Bannas. Gibt es keinen guten Grund für die Gehaltslücke, muss der Betriebsrat eingeschaltet werden. Gibt es keinen Betriebsrat, werden Arbeitnehmer benannt, die über Maßnahmen mit der Geschäftsführung verhandeln. Wenn der Arbeitgeber auch hier nicht hinreichend reagiert, drohen empfindliche Strafen. „Viel schlimmer ist aber der Reputationsverlust“, erwartet Bannas. „So etwas spricht sich schnell herum.“ Kein Wunder, dass die nächsten Gehaltsrunden spannend werden. Viele Unternehmen werden Lücken schließen wollen, indem sie die Gehälter der Frauen dort, wo die Unterschiede groß sind, so weit wie nötig erhöhen.
Das neben der Erwerbstätigkeit von Frauen zweite große Argument, das Ökonomen gern anführen, wenn es um mehr Wachstum trotz Fachkräftemangel geht, lautet: Wir müssen länger arbeiten. Nur wird es politisch schwierig bis unmöglich, das Renteneintrittsalter zu erhöhen – so notwendig und gerechtfertigt es wäre angesichts der Tatsache, dass die Menschen länger leben und mit 67 deutlich gesünder sind als früher. Aber gerade für die SPD ist das Thema nicht diskutabel, wie auch Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) im Sommer feststellen musste, als sie für eine längere Lebensarbeitszeit warb. Aber es muss auch gar nicht ein höheres gesetzliches Renteneintrittsalter sein: Es würde schon reichen, das reale Eintrittsalter hochzusetzen, das derzeit fast zwei Jahre unter dem gesetzlichen liegt. Da ließen sich verschiedene Regeln abschaffen, die es den Beschäftigten ermöglichen, früher in Rente zu gehen. Und es wäre sehr wirkungsreich, die über 55-Jährigen stärker einzubinden, mehr wertzuschätzen.
Das belegt auch die Hirnforschung: Das Gehirn eines 50-Jährigen ist wegen des angehäuften Wissensschatzes stärker gefordert, beim Abrufen von Einzelheiten langsamer und das Denken ist nicht mehr so flexibel. Aber Ältere sind mitnichten weniger kreativ. Sie können auch komplexe Situationen besser einschätzen als jüngere, weil sie die Erfahrung haben, und zum Beispiel wissen, worauf sie nicht achten müssen. Die Gehirne von älteren Beschäftigten im klassischen Arbeitsleben sind demnach leistungsfähiger als die der jüngeren, vor allem wegen des großen Wissensschatzes. Zudem sind sie besser in der Lage, Dinge zusammenzufassen und präzise zu beschreiben.
Wissenschaftlich ausgedrückt: Die „kristalline Intelligenz“, das Expertenwissen, kann bis ins hohe Alter wachsen. Wenig überraschend ist, dass die Älteren beim Umgang mit Emotionen besser sind. Hirnforscher empfehlen Unternehmen, ältere und jüngere Beschäftigte in Teams gemeinsam arbeiten zu lassen. Die unterschiedlichen Fähigkeiten führen unter bestimmten Ergebnissen zum besten Ergebnis – wenn sich beide Seiten wohlwollend betrachten und die Älteren in Besprechungen nicht allzu dominant auftreten.
Von der Tendenz, ältere Beschäftigte mit üppigen Abfindungen aus dem Unternehmen zu bugsieren, hält die Forschung nichts. Hier gehe es eher um Vorurteile als um wissenschaftlich belegbare Nachteile im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit. Umgekehrt verneinen Wissenschaftler die These der Gewerkschaften, dass mit 67 Schluss sein sollte mit Arbeiten. Teilzeit-Optionen mit kürzeren Laufzeiten würden Tausende vor einer Depression bewahren, in die viele Menschen beim Übergang in die Rente fallen, und vor allem vor der zunehmenden Einsamkeit.
Viele Tarifverträge enthalten nicht alle erforderlichen Elemente, die zur Bestimmung von Entgeltgerechtigkeit erforderlich wären.
Thorsten Giersch, Chefredakteur
Der Artikel erschien in der Print-Ausgabe Nr. 8 (Oktober 2025) von Markt und Mittelstand.
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