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Arbeitsmarkt-Realismus in Italien: Warum Flexibilität mehr zählt als Kündigungsschutz

Italiens Arbeitnehmer lehnen mehr Schutzrechte ab – und setzen auf Flexibilität statt Kündigungsschutz. Ein Signal mit Botschaft für ganz Europa.

(Foto: picture alliance / Westend61 | Emma Innocenti)

Italiener wollen kein Recht auf Weiterbeschäftigung: Was sich aus dem Referendum lernen lässt

 

von Thorsten Giersch

Faule Südeuropäer? Von wegen: Die Italiener votierten in einer Volksabstimmung gegen Dinge wie ein Recht auf Weiter­be­schäf­ti­gung, selbst wenn man zu Unrecht entlas­sen wurde. Warum Arbeiter auf mehr Rechte verzichten.

 

Italien ist uns nah, Millionen Deutsche urlauben in Kalabrien, Capri und Co. Doch im Hinblick auf Arbeitnehmerrechte trennen uns scheinbar Welten. Diesen Eindruck könnte man zumindest gewinnen im Hinblick auf das Referendum, das in Itali­en am Montag scheiterte: Die Gewerk­schaf­ten hatten dazu aufgerufen, den „Jobs Act“ zurückzudrehen. Den hatte Mitte des vergan­ge­nen Jahrzehnts der damalige italie­ni­sche Minis­ter­prä­si­dent Matteo Renzi zur Flexi­bi­li­sie­rung des Arbeits­mark­tes eingeführt.

50 Prozent der Abstimmenden hätten sich für die Abschaffung der Maßnahmen finden müssen. Das wurde deutlich verfehlt. Nicht einmal jeder Dritte nahm an der Abstim­mung teil. Der „Jobs Act“ besagt zum Beispiel, dass es in Itali­en kein Recht auf Weiter­be­schäf­ti­gung oder Wiedereingliederung gibt, auch wenn ein Unter­neh­men einen Arbeit­neh­mer zu Unrecht entlas­sen hat. Es gibt lediglich eine Entschädigung – und die ist auch noch gedeckelt. Hierzulande ist das gänzlich anders. Aber der überwiegende Teil der Italiener sah keinen Anlass, an ihren Regelungen etwas zu ändern.

Bei der Frage nach dem Warum fällt ein naheliegender Grund aus: An fehlender Bekanntheit oder Komplexität der Themen kann es nicht gelegen haben: Die Medien berichteten umfangreich und erklärten die zugegeben technischen Fragestellungen sehr gut. Für die Italiener ist es vielmehr normal und nötig geworden, auf dem Arbeits­markt beweg­lich sein müssen. Laut Ökonomen interessieren sie sich für zwei Dinge viel mehr als rigiden Kündigungsschutz: Wie hoch ihre Löhne sind – die stehen angesichts der niedrigen Produktivität nämlich stark unter Druck. Und ob sie mit dem techni­schen Fortschritt mithalten können.

Den drei Regie­rungs­par­tei­en unter Giorgia Meloni passt das Ergebnis gut. Sie hatten Renzis „Jobs Act“ erweitert mit dem Abschluss von befris­te­ten Arbeits­ver­trä­gen, die länger als zwölf Monaten laufen. Auch durch diese Maßnahmen hat Itali­en den Rekord­wert von 24 Millio­nen Beschäf­tig­ten erreicht. Das sind rund eine Milli­on mehr als vor fünf Jahren. Die Arbeits­lo­sig­keit sank von rund zehn auf sechs Prozent.

Deshalb ist noch lange nicht alles gut im Alpenland: Die Beschäf­ti­gungs­quo­te bei Jungen und Alten ist vergleichsweise niedrig und die Reallöh­ne sind rund sechs Prozent unter dem Niveau vor der Pande­mie. Das hat kein anderes größe­res OECD-Land zu vermelden. Aber auch in der Bevölkerung ist wohl angekommen, dass die Arbeitgeber mehr Beweg­lich­keit brauchen. Das würde sich in Deutschland wohl auch viele Unternehmer wünschen.

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