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Betriebsrat gegründet, Job verloren

Der Ampelkoalition will Arbeitgeber, die Betriebsratsgründungen verhindern, härter bestrafen. Arbeitsminister Hubertus Heil muss das nun umsetzen. Er weiß: Es geht um die Mitbestimmung und damit eine Idee, die zu den Grundüberzeugungen sozialdemokratischer Politik zählt. Das Problem: Offenbar interessieren sich dafür nicht mehr so viele.

Beispielbild eines Betriebsratraums
Der Minister hat angekündigt, diese Verschärfung im Arbeitsrecht, die bereits im Gründungsvertrag der Ampelkoalition verankert war, auch umzusetzen.

Wer in seinem Unternehmen einen Betriebsrat gründen will, stößt nicht selten auf Widerstand. Die Mitarbeiter der chronisch in den roten Zahlen agierenden Essens-Getränke- Lieferdienste wie Gorillas oder Flaschenpost oder auch diejenigen in privaten Sicherheitsdiensten wissen ein Lied davon zu singen. Hinter deren Klagen stecken oft handfeste Manöver der Arbeitgeberseite, die mit befristeten Verträgen agiert, die keine Zeit für den Betriebsratsaufbau lassen. Oder die auf Einschüchterungsversuche setzt, um die Bildung eines Gremiums, das die Arbeitnehmerinteressen vertritt, zu verhindern.

 

Verschärfung des Strafrechts

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das mit einer Verschärfung des Strafrechts ändern. Die Störung oder Behinderung von Betriebsratsgründungen soll künftig nicht mehr eine Art Kavaliersdelikt bleiben, das nur, wenn sich jemand offiziell beschwert, verfolgt wird, sondern sie wird wie eine Straftat behandelt: Hegt ein Staatsanwalt auch nur den Verdacht, es gehe nicht mit rechten Dingen zu, muss er Ermittlungen aufnehmen. Bei einer Verurteilung drohen am Ende Gefängnisstrafen.
Der Minister hat angekündigt, diese Verschärfung im Arbeitsrecht, die bereits im Gründungsvertrag der Ampelkoalition verankert war, auch umzusetzen. Die Behinderung ist laut dem Betriebsverfassungsgesetz schon jetzt verboten. "In der Realität aber sehen wir immer wieder, dass Menschen drangsaliert werden, die Betriebsräte gründen wollen", sagt Heil. "Deshalb werde ich dafür sorgen, dass diejenigen, die die Gründung von Betriebsräten behindern, es demnächst mit dem Staatsanwalt zu tun bekommen. "Bislang ist die Behinderung von Betriebsratswahlen laut Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes ein sogenanntes Antragsdelikt und kann deshalb nur auf Antrag von Arbeitnehmervertretern, Gewerkschaften oder seitens des Unternehmens verfolgt werden. Künftig wird es schon ausreichen, dass eine Strafverfolgungsbehörde Kenntnis von einem solchen Vorgang hat. Sie muss dann Ermittlungen aufnehmen. "Das Gesetz werden wir entsprechend ändern."

 

Hintergrund für das Vorhaben der Ampelkoalition ist ein leise vor sich hinsiechendes Wirtschafts- und Unternehmensmodell, auf das Deutschland mehr als ein Jahrhundert lang sehr stolz gewesen war. Es geht um die Mitbestimmung - um den Versuch also, dass nicht nur das Management und die Eigentümer die Geschicke eines Unternehmens lenken, sondern das auch die Belegschaft gefragt wird und Einfluss auf operative sowie ein Stück weit auch strategische Entscheidungen treffen kann.

 

Kernelement sozialdemokratischer Politik

Die Mitbestimmung ist ein Kernelement sozialdemokratischer Ordnungsvorstellungen und in einem langen historischen Prozess entstanden. Sozial eingestellte Unternehmer und Sozialreformer wollten Ende des vorletzten Jahrhunderts Arbeitnehmer nicht als Fabrikuntertanen, sondern als gleichberechtigte Bürger behandelt sehen, und setzten sich daher für Mitbestimmungsrechte ein. Der Kaiserstaat wiederum wollte mit einer neuen  Arbeiterpolitik die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Fabrikanten, die insbesondere im Ruhrgebiet ausgebrochen waren, schlichten. In der Weimarer Republik wurde das Mitbestimmungsrecht schließlich in der Verfassung festgeschrieben, und in der Bundesrepublik hat das Verfassungsgericht mit seinem maßgeblichen Mitbestimmungsurteil vom 1. März 1979 den Arbeitnehmern dieses Recht auch zugestanden. Für Gewerkschaften und damit für die Kernwähler der SPD ist die Mitbestimmung in Unternehmen ein zentrales Betätigungsfeld.
 
Doch das stolz hochgehaltene Modell findet immer weniger echte Fans. Von den Beschäftigten werden im Westen noch 41 Prozent durch einen Betriebsrat vertreten, im Osten sind 36 Prozent. 1996 lagen die Werte noch bei 50 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 40 Prozent in Ostdeutschland. Ganz genau sind die Zahlen, die die SPD selbst nennt, allerdings nicht, weil es zu dem Thema, das aus sozialdemokratischer Perspektive so zentral sein müsste, keine verlässlichen Daten gibt. Die Werte beruhen auf groben Schätzungen aufgrund von Stichproben. Es fehlen genaue, empirische Erhebungen und wissenschaftliche Untersuchungen über die Gründe, weil es kein verpflichtendes Betriebsratsregister gibt, in das Betriebsratswahlen und Betriebsratsgründungen eingetragen werden müssen. In den USA gibt es ein vergleichbares Register für Gewerkschaftswahlen seit 1936. Heil stützt sich hierzulande dagegen auf Einzelfallschilderungen.

 

Die allerdings häufen sich. So war der Arbeitsminister, der dieses Amt auch schon in der vergangenen Regierungskoalition ausgeübt hatte, im vergangenen Sommer mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite des Lieferdienstes Gorillas zusammengekommen, wo sich die Klagen über verhinderte Betriebsratsgründungen gehäuft hatten. Was er dabei hörte, dürfte zu den verschärften Regelungen geführt haben, die im Koalitionsvertrag stehen und die Heil jetzt umsetzen will. Auf rund sechs Seiten befassen sich die Parteien im Gründungsvertrag der Ampelkoalition mit ihren Vorhaben für die Arbeitswelt. Bei Experten stößt das, was dort in Sachen Mitbestimmung geplant wird, auf milde Kritik: "Recht schüchtern", lautet die Einschätzung von Gregor Thüsing, Professor und Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht an der Uni Bonn, die er gegenüber der Fachzeitschrift "Legal Tribune" äußerte. Er bemängelt, dass nach wie vor für viele Betriebsratsvorhaben, wie Homeoffice für Betriebsräte, die Zustimmung der Arbeitgeber nötig sei.

Betroffene Belegschaften versprechen sich von Heils Ankündigung allerdings eine ganze Menge. Im "Netzwerk für Sicherheitsbeschäftigte“ wird bereits heftig über das Vorhaben diskutiert. Es gebe deswegen so wenig Betriebsräte, weil es fast selbstverständlich erscheine, „schon beim Versuch einen zu gründen, den Job zu verlieren" berichten Betroffene da. "Und in der Regel sind die Arbeitgeber, die ihre Belegschaften auf diese Weise in Schach hielten, sogar davongekommen." Diese Klageführer jedenfalls wären offenbar noch froh, wenn sich das nun ändert.

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