„Blond, jung, unerfahren“ tritt Nachfolge an
Mit 30 Jahren wird Ricarda Kusch Nachfolgerin des Familienunternehmens Kusch+Co. Dabei sah ihr Lebensplan einmal ganz anders aus.
Ricarda Kusch gehören 97 Prozent des Unternehmens Kusch+Co, das mit 420 Mitarbeitern etwa 50 Millionen Euro erwirtschaftet. Im Jahr 2011 hat ihr Vater ihr seine Anteile, knapp 60 Prozent, überschrieben. „Da musste ich mir sicher sein, dass ich wirklich die volle Verantwortung tragen wollte“, sagt Nachfolgerin Ricarda. Sie war sich sicher. Sechs Jahre in operativer Verantwortung hatte sie auf dem Buckel: Sie hat das Unternehmen durch die Weltwirtschaftkrise gesteuert, sich als „blonde, junge, unerfahrene“ Designerin den Respekt der Belegschaft erarbeitet. Die Nachfolgerin wurde vom Wettbewerb erst belächelt, um jetzt geachtet zu werden. Einen Tag vor ihrem 30. Geburtstag sagt sie: „Ich bin angekommen. Ich weiß, wer ich bin und wo ich hingehöre.“
Viele Entscheidungen haben Ricarda Kusch dorthin geführt, wo sie heute steht. Ihrer Heimat kehrt sie mit 16 Jahren den Rücken und besucht ein Internat in England, wo sie die darauffolgenden sieben Jahre lang lebt. „Nach England zu gehen war die beste Entscheidung meines LebensIm ländlichen Umfeld bleibt nichts unbeobachtet oder unkommentiert.“ Der Drang nach Freiheit und Anonymität bewegt Nachfolgerin Kusch zum Ausbruch. „Nie hatte irgendetwas mit meiner eigenen Leistung zu tun. Ich hatte das große Bedürfnis, mich frei zu schwimmen.“
Aus England zur Unternehmensnachfolge
Wirtschaft studiert sie in Newcastle upon Tyne nahe der schottischen Grenze. „Ich wollte ein solides Fundament in meiner Ausbildung.“ Danach besucht die Nachfolgerin eine Akademie für Innenarchitektur in London. OIhren ersten Job findet sie als Innenarchitektin in London.
Ihr fünf Jahre älterer Bruder Andreas besucht sie oft in London. Er hatte die Nachfolge bereits angetreten, der Vater hatte sich zurückgezogen. „Mein Bruder hat mir ordentlich Zunder gegeben, als ich in England war.“ Er habe immer wieder gefragt, was sie denn mit ihrem Leben machen wollte. Er habe zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Fragen gestellt. „Er hat mich herausgefordert, war kritischer als meine Eltern.“
Tod des Bruders führt zur Nachfolge
Als ein großes Architekturprojekt, an dem sie arbeitet, auf Eis gelegt wird, bietet ihr Bruder Ricarda an, Projekte für das Marketing und Design im Familienunternehmen zu übernehmen – „nur als Überbrückung“. Sie arbeiten 15 Monate lang zusammen, teilen sich ein Büro. Ricarda bewundert ihren Bruder. „Er war ein unglaublich begabter junger Mann.“ Dann verunglückt Andreas während einer Geschäftsreise in China tödlich. Mit 28 Jahren. Innerhalb von kurzer Zeit trifft Ricarda eine Entscheidung, die ihr Leben ein zweites Mal völlig umkrempelt. Während sich die Eltern, Mitarbeiter und ein ganzer Ort im Schock- und Trauerzustand befinden, verkündet Nachfolgerin Ricarda während der Trauerfeier, dass sie „weitermachen wird“. Ricarda war Alleinerbin der Anteile ihres Bruders, das waren zu jener Zeit 40 Prozent.
In jenen Tagen, als sie durch die „persönliche Hölle“ geht und sich „am Limit bewegt“, stellt sie sich zwei Fragen: Wie möchte ich mein Leben gestalten? Bin ich fähig, das Unternehmen zu führen? „Nachdenken konnte ich eigentlich nicht. Aber ich war die Einzige, die irgendwie handlungsfähig zu sein schien.“ Wären nicht ihre Eltern und einige wenige Vertraute gewesen, die sie in ihren Fähigkeiten bekräftigten, hätte sie sich gegen den Einstieg entschieden. Und sie erinnert sich an die Worte ihres Bruders: Du verkaufst Dich unter Wert, habe er ihr oft gesagt. Sie würde häufig nur reagieren statt zu agieren.
Der Weg zur Unternehmensnachfolge
Die Entscheidung für das Weitermachen empfand die Nachfolgerin schließlich als Befreiungsschlag. „Erwartungen hatte niemand. Da war nur die Hoffnung.“ Die Nachfolgerin spürte, dass die Menschen ihr eine Chance gaben. „Das nahm mir den Druck.“ Seitdem hat sie viele Entscheidungen für das Unternehmen getroffen.
Die große Linie, die ihr Bruder in seiner Zeit gezogen hatte, hat die Nachfolgerin fortsetzt: Sie stellt den Vertrieb und das Marketing in den Fokus und treibt die Internationalisierung voran. Sie knüpft internationale Vertriebspartnerschaften und setzt stärker auf eigene Vertriebsleute in den Weltmärkten. Die Exportquote von gut 55 Prozent „hat viel Platz nach oben“. Sie setzt eigene Akzente: Interne Prozesse werden optimiert, mit Intranet und einem Projekt-Office führt sie die Mitarbeiter noch enger zusammen, Nachhaltigkeit und Energieeffizienz stehen auf der Agenda. „Wir müssen noch fokussierter am Markt agieren.“ Das ist Ricardas Aufgabe: Design und Marke nach vorn bringen. Nach der Kooperation mit Porsche Design Studio „habe ich da noch ein paar Asse im Ärmel“.
Es läuft prima für Nachfolgerin Ricarda Kusch. „Kusch + Co. ist ein Teil von mir geworden. Das hatte ich so nicht erwartet.“ Bei all den Entscheidungen, die sie für das Unternehmen getroffen hat, stellt sie allerdings fest: „In den vergangenen sechs Jahren habe ich zwar viel gestalten können, aber mir ist auch ein Stück Freiheit geraubt worden.“ Um ihren 30. Geburtstag herum hat sie daher eine weitere Entscheidung getroffen: „Ich werde mich mehr um mein Privatleben kümmern.“ Um Freunde, die sie viel zu selten sieht. Und irgendwann möchte die Nachfolgerin auch eine Familie haben.
Das Unternehmen und die Familie
Das Unternehmen und die Familie
Im Jahr 1939 gründet Ernst Kusch sein Unternehmen in Hallenberg. Er fertigt mit 15 Mitarbeitern Sitzmöbel aus Holz. „Qualität ist durch nichts zu ersetzen“, hat er gesagt. Das ist auch heute noch der Leitspruch für das Unternehmen. Ende der Sechziger Jahre übernimmt sein Sohn Dieter die Führung. Er hält später 60 Prozent der Anteile, sein Bruder, der früh verstirbt, 40 Prozent. Seine Anteile gehen auf die beiden Kinder über. Im Jahr 1998 steigt Dieters Sohn Andreas ein, der die Anteile seiner Cousine und seines Cousins kurze Zeit später übernimmt.
Dieter Kusch zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück. Im Jahr 2006 verunglückt Nachfolger Andreas tödlich. Seine Schwester Ricarda übernimmt die Geschäftsführung gemeinsam mit ihrem Vater. Seit 2011 gehören Nachfolgerin Ricarda 97 Prozent der Anteile, ihrem Vater Dieter restlichen 3 Prozent. Die Familie installiert einen Beirat, deren Vorsitzender Dieter Kusch sein wird.