Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Management > Chinas Datenverschleierung entlarvt

Chinas Wirtschaftsdaten: Täuschung oder Versehen?

Chinesische Behörden verschleiern den Zustand der Wirtschaft. Auch die internen Informationssysteme der Kommunistischen Partei könnten fehlerhaft sein. Eine Gefahr?

Symbolbild, Maulkorb bei einer asiatischen Winkekatze (maneki-neko)
Die Maneki-neko, hierzulande oft „Winkende Katze“ genannt, ist ein asiatischer Glücksbringer. Ihre winkende Geste soll Kunden anlocken und finanzielles Glück bringen. (Foto: KI-generiert, shutterstock)

Zhao Jians Artikel war am 16. August nur wenige Stunden lang online, bevor die Zensoren ihn löschten. Für westliche Leser wäre der Inhalt harmlos gewesen, aber für einen Beamten der Kommunistischen Partei war er mit gefährlichen Ideen gespickt. Zhao, ein angesehener Wirtschaftswissenschaftler, schrieb, dass es schwer zu verstehen sei, warum sich die chinesische Regierung nicht mehr anstrenge, die Wirtschaft anzukurbeln. Der schwerste Wirtschaftsabschwung seit einer Generation habe dazu geführt, dass sich die Unsicherheit über die Zukunft „in den Herzen der Menschen festgesetzt hat“, schrieb er. „Die Logik und die Zwänge der Entscheidungsträger können vom Markt nicht verstanden werden.“

Die Löschung des Artikels hat Zhao ironischerweise recht gegeben. Chinas Armee von Internet-Zensoren löscht routinemäßig Beiträge, die der Politik von Xi Jinping, dem obersten Führer des Landes, zuwiderlaufen. Doch der Bereich dessen, was als zu sensibel gilt, hat sich in den vergangenen Jahren rapide erweitert und umfasst nun auch viele Diskussionen über die Wirtschaft. Akademiker und Experten, die scheinbar banale wirtschaftliche Angelegenheiten diskutieren wollen, werden zum Schweigen gebracht. Daten, die früher leicht zugänglich waren, verschwinden aus dem öffentlichen Raum. Das schränkt nicht nur die ohnehin begrenzte Meinungsfreiheit der Bürger weiter ein, sondern schadet auch dem Wachstum, weil es Investitionen behindert. Vor allem aber unterstreicht es Zhaos drängende Frage: Auf welcher Grundlage wird die Wirtschaftspolitik gemacht? Was weiß die Regierung, was der Normalbürger nicht weiß? Und wie zuverlässig sind die Informationen, auf die sie ihre Entscheidungen stützt?

Die offiziellen Wirtschaftsdaten Chinas hatten schon immer ihre Tücken

Selbst Li Keqiang, ehemals Premierminister, hat ihre Genauigkeit einmal infrage gestellt. Wirtschaftswissenschaftler bemängeln seit langem, dass das Nationale Amt für Statistik (NBS) nicht genügend Einzelheiten über seine Methoden liefert. China-Beobachter gingen jedoch davon aus, dass die Daten nach und nach umfassender und zuverlässiger werden würden. Stattdessen scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Die jüngsten Daten zur Kapitalbilanz Chinas waren so widersprüchlich – in den vergangenen Jahren gab es eine Diskrepanz von etwa 230 Milliarden Dollar zwischen den Zoll- und den Zahlungsbilanzstatistiken –, dass das US-Finanzministerium chinesische Beamte aufforderte, die Zahlen zu klären. Die Erklärung war so verworren, dass sie die Dinge nur noch mehr durcheinanderbrachte. Am 19. August stellten dann die chinesischen Börsen zum Entsetzen der Anleger die Veröffentlichung täglicher Daten über ausländische Kapitalströme ein, die ein wichtiger Gradmesser für die Stimmung sind. Die Zahlen werden nun nur noch vierteljährlich veröffentlicht.

Inzwischen stimmen die veröffentlichten Daten immer weniger mit den Erfahrungen der Unternehmen und Investoren vor Ort überein. Aus den offiziellen Zahlen geht hervor, dass die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wieder auf das Niveau vor der Pandemie zurückgekehrt ist, trotz des maroden Wohnungsbaus und der geringen Investitionen in die Infrastruktur. Diese Behauptung sei lächerlich, sagt Logan Wright vom Beratungsunternehmen Rhodium Group. „Das größere Problem ist einfach, dass die BIP-Daten keine Ähnlichkeit mehr mit der wirtschaftlichen Realität haben.“

Die ständige Verdrehung der offiziellen Statistiken scheint dazu zu dienen, Nachrichten zu verschleiern, die die Regierung in Verlegenheit bringen könnten. So erklärte Mitte 2023 ein Professor der Universität Peking öffentlich, dass es 16 Millionen junge Menschen ohne Arbeit gebe, die in der Arbeitslosenstatistik nicht auftauchten, weil sie aufgehört hätten, nach Arbeit zu suchen. Würde man sie berücksichtigen, so der Professor, läge die Unterbeschäftigungsquote bei Jugendlichen bei über 46 Prozent. Binnen eines Monats stellte das NBS die Veröffentlichung von Daten zur städtischen Jugendarbeitslosigkeit ganz ein. Im Januar begann es dann, eine „verbesserte und optimierte“ Zahl zu veröffentlichen, die ebenfalls weitaus niedriger war. Wissenschaftler und Journalisten haben sich seither relativ wenig zu diesem Thema geäußert.
 

Die kühnen Behauptungen der Beamten über die Wirtschaft werden oft nicht geprüft, zumindest in der Öffentlichkeit. Die Regierung hat erklärt, dass in China niemand mehr in absoluter Armut lebt – eine Aussage, die natürlich alle möglichen Fragen aufwirft, ob die Daten korrekt sind und die richtigen Maßstäbe angelegt wurden. Dennoch gab es in den Medien fast keine Debatte darüber.

In ähnlicher Weise werden auch Themen, die für die Wirtschaft sehr wichtig, für die Beamten aber unangenehm sind, kaum untersucht. Die größten Opfer des Immobiliencrashs in China sind die 20 bis 30 Millionen Haushalte, die vermutlich für Wohnungen bezahlt haben, die nie fertiggestellt wurden. Für die Wiederbelebung des Immobilienmarktes ist es entscheidend zu verstehen, wer diese Menschen sind, wie sie wirtschaftlich zurechtkommen und was getan werden könnte, um ihnen zu helfen. Dennoch scheinen nur wenige Wirtschaftswissenschaftler die Fälle dieser betrogenen Millionen zu untersuchen.

Welche wirtschaftlichen Folgen es hatte, während der Pandemie in Städten wie Shanghai und Wuhan ganze Gebiete lange, streng und unpopulär abzuriegeln, ist nie vollständig öffentlich untersucht worden. In mehreren Fällen wurden Journalisten und Kommentatoren in den sozialen Medien, die solche Themen ansprachen, inhaftiert. Die wahre Zahl der Todesfälle durch Covid-19 in China ist unbekannt. Ein prominenter Wissenschaftler in Shanghai, der sich mit den Ursprüngen von Covid beschäftigte, wurde Anfang des Jahres aus seinem Labor ausgesperrt. Die Behörden scheinen viel mehr daran interessiert zu sein, die Diskussion über die Krankheit zu kontrollieren, als ihre Folgen zu verstehen.

Selbst leidenschaftliche Regierungsbefürworter werden manchmal zum Schweigen gebracht, wenn ihre Meinung nicht von offizieller Seite gebilligt wurde. Ende Juli lobte Hu Xijin, ein nationalistischer Journalist, die Richtlinien für die Wirtschaft, die auf einem Treffen hochrangiger Parteiführer verabschiedet wurden. Doch seine Interpretation dieser Richtlinien als Segen für die Privatwirtschaft sorgte offenbar für Irritationen. Entsprechende Posts wurden von seinen Social-Media-Konten gelöscht, die daraufhin verstummten. Die Partei begnügt sich nicht damit, die Märkte und die Wirtschaft zu regulieren und zu verwalten, sondern scheint auch ein Monopol auf deren Interpretation zu beanspruchen.

Die Zurückhaltung bei der Diskussion über die Wirtschaft erstreckt sich auch auf den privaten Umgang mit Ausländern. Theoretisch werben die Behörden um Investoren, um das Wachstum anzukurbeln. Geschäftsleute, die zu Besuch sind, bestätigen, dass es leicht ist, an Termine zu kommen. Aber den Gesprächen fehle es an Substanz, beklagen sie. Die Argumente, mit denen lokale Beamte um Investitionen in ihrer Region werben, seien vage und formelhaft geworden, sagt ein solcher Besucher. Es gebe nur wenige Einzelheiten zu den lokalen wirtschaftlichen Bedingungen. Und es ist sehr viel schwieriger geworden, substanziellere Treffen mit den Regulierungsbehörden zu bekommen.

Ausländische Akademiker berichten von ähnlichen Erfahrungen. Die Universitäten sind bestrebt, Professoren mit Fachkenntnissen in der Industrie aus dem Ausland anzuwerben, um auszugleichen, dass solche Personen während der Pandemie abgewandert sind. Doch der informelle Austausch ist angespannter geworden. Besucher mit langjähriger Erfahrung in China sagen, dass sie alte Kontakte wiedersehen können, ihre Treffen aber den Behörden gemeldet und von ihnen genehmigt werden müssen. Die Arbeit vor Ort in China sei zunehmend schwieriger geworden, sagt Huang Yanzhong von der Seton Hall University in den USA, weil der Kontakt mit Ausländern ein Risiko für die Einheimischen darstellen könne. „Man spürt das politische Umfeld und will nicht, dass die Leute in Schwierigkeiten geraten.“

Für Personen außerhalb des Landes ist es noch schwieriger, an Informationen über die Wirtschaft zu gelangen. Die Behörden haben offenbar chinesische Firmen, die Unternehmensdaten verkaufen, aufgefordert, den Verkauf bestimmter Statistiken an Ausländer einzuschränken. Ein solches Unternehmen, Wind, stellt keine Informationen über Onlineausgaben für Nutzer außerhalb Chinas mehr bereit. Eine Datenbank über Unternehmensbesitz, die die Firma Qichacha zusammenstellte, ist im Ausland nicht mehr zugänglich. Das Unternehmen stellte früher auch Daten über Insolvenzen zur Verfügung, sagt aber jetzt, die Informationen seien zu sensibel.

Als eine Sonderwirtschaftszone in Shanghai Anfang des Jahres Datenregeln aufstellte, verbot sie ausdrücklich die Weitergabe von Informationen über Aktienkurse oder Markttrends ins Ausland – eine überraschende Regelung für Chinas Finanzzentrum. Börsenmakler geben Analystenberichte immer ungern weiter; negative Einschätzungen der Wirtschaft oder der staatlichen Politik sind selten geworden. Einige offizielle Datenreihen über die Industrieproduktion verschwinden allmählich, sagt Wright von der Rhodium Group. Rory Truex von der Princeton University meint, dass eine legale Datenbank, die vor einem Jahrzehnt ins Netz gestellt wurde, immer weniger umfassend und schwerer zugänglich ist. Wenn es um die Beschaffung von Daten geht, sagt er: „Nichts Gutes in China kann von Dauer sein.“
 

Unis gesperrt

Auch der Zugang zu Chinas Universitäten wird immer mehr eingeschränkt, wodurch eine der wichtigsten Möglichkeiten für Ausländer und Einheimische, ihr Verständnis für die chinesische Wirtschaft zu verbessern, beschnitten wird. Während der Pandemie war der Zugang zu den Universitäten wie zu den meisten öffentlichen Räumen gesperrt und bedurfte einer Sondergenehmigung. Doch als ein Großteil Chinas Anfang 2023 wieder geöffnet wurde, blieben einige Universitäten geschlossen. Bis heute brauchen Besucher eine Genehmigung, um sie zu betreten. 

Seit Xi 2012 an die Macht kam, sind die Bedingungen, unter denen Akademiker arbeiten, weitaus restriktiver geworden. 2019 änderten mehrere Spitzenuniversitäten ihre Satzungen, um ausdrücklich auf ihre Loyalität gegenüber der Kommunistischen Partei hinzuweisen. 2023 begannen die Aufsichtsausschüsse der Partei an einigen Universitäten formell mit der Universitätsverwaltung zu verschmelzen. Dadurch erhält die Partei die alltägliche Kontrolle über den Betrieb der Universitäten. Dies ist Teil dessen, was Xi als „sozialistische Bildung mit chinesischen Merkmalen“ bezeichnet hat, was bedeutet, dass die akademischen Erfordernisse den Bedürfnissen der Partei untergeordnet werden. Die akademische Freiheit befinde sich auf einem der tiefsten Punkte seit der Kulturrevolution, einer Zeit des Fanatismus in den 1960er- und 1970er-Jahren, sagt Sun Peidong von der Cornell University.

Ein großer Teil der akademischen Forschung bleibt relativ frei von politischen Zwängen, weil sie nichts mit der heutigen chinesischen Gesellschaft zu tun hat. Die Regierung hat Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Medizin mit Geld überhäuft und so dazu beigetragen, dass sich China zu einem Kraftzentrum der wissenschaftlichen Forschung entwickelt hat. Doch die Erforschung von Themen, die mit den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnissen in China zu tun haben, hat nach Ansicht von Wissenschaftlern unter Xi stark gelitten.

Erkenntnisse versteckt

Chinas Universitäten sind voll von talentierten Lehrkräften, von denen einige immer noch Wege finden, über heikle Themen zu schreiben. Eine Methode besteht darin, kritische Ideen in einen politisch korrekten Mantel zu verpacken. Korruption zum Beispiel ist ein zu heikles Thema, um es in den Mittelpunkt eines Forschungsprojekts zu stellen, wie ein Wissenschaftler erklärt. Aber ein Projekt, das sich auf eine wichtige Regierungsinitiative konzentriert, könnte einen Teil darüber enthalten, wie diese Initiative durch Korruption beeinträchtigt wurde. Der Kern der Forschung ist im Wesentlichen in einer längeren Abhandlung verborgen. Diejenigen, die wissenschaftliche Arbeiten lesen, haben sich daran gewöhnt, sich durch lange Berichte zu wühlen, um kleine Perlen der Erkenntnis zu finden.

Kontroverse Themen können erörtert werden, solange sie die Politik der Zentralregierung nicht analysieren. Ein auf Taiwan spezialisierter Wirtschaftswissenschaftler sagt, er schreibe häufig Arbeiten, in denen die Positionen der taiwanesischen und der US-Regierung analysiert, die meisten Informationen über Chinas Herangehensweise an das betreffende Thema aber weggelassen würden. Einige Wirtschaftsforscher konnten vor Ort Erhebungen zu kontroversen Themen durchführen, haben aber nicht die Absicht, diese jetzt zu veröffentlichen. Stattdessen halten sie ihre Ergebnisse in der Hoffnung zurück, dass ein Zeitpunkt kommen wird, an dem es sicher ist, sie zu veröffentlichen, behauptet Sun von der Cornell University.

Allmählich von Informationen über die Wirtschaft abgeschnürt zu werden, ist nicht nur für ausländische Investoren und Wirtschaftswissenschaftler ärgerlich. Das Vorgehen wirft die gleiche Frage auf, die Zhao in seinem zensierten Artikel gestellt hat: Auf welcher Grundlage entscheiden Herr Xi und andere hochrangige Beamte darüber, wie sie die Wirtschaft steuern sollen? Sie tappen nicht im Dunkeln. China unterhält seit langem ein vertrauliches System, um Informationen aus der Wissenschaft, den Nachrichtenmedien und Denkfabriken zu sammeln. Journalisten, Forscher und Wirtschaftswissenschaftler werden gebeten, „interne Referenzberichte“ (Neican) auf Chinesisch zu schreiben. Diese Dokumente werden auf allen Ebenen der Regierung in Auftrag gegeben. Lokale Beamte haben Zugang zu Analysen, die lokale Forscher erstellen werden. Vertrauenswürdige Wissenschaftler an Spitzenuniversitäten und Denkfabriken erstellen Berichte für die obersten Führungskräfte in Peking.

Neican kann weitaus aussagekräftiger sein als Material für den öffentlichen Konsum. Ein Bericht könnte beispielsweise zeigen, dass lokale Beamte zwar begeistert von einem Boom bei Spitzentechnologien wie AI oder Robotik sprechen, der echte Nutzen dieser Branchen für die Wirtschaft aber erschreckend gering ist. Akademiker und Journalisten können eine Art Doppelleben führen, indem sie sowohl öffentliche Berichte als auch solche, die nur für die Augen von Beamten bestimmt sind, produzieren. Ein Reporter von Xinhua, der staatlichen Nachrichtenagentur, zum Beispiel, mag auf den ersten Blick nur Lobhudeleien von sich geben, aber hinter den Kulissen könnte er brisante Artikel schreiben, in denen er umweltverschmutzende Unternehmen oder korrupte Beamte bloßstellt. Es sei ein Privileg, interne Berichte schreiben zu dürfen, sagt ein solcher Autor und merkt an, dass es einen intensiven Wettbewerb darum gebe.

Türen zugeschweißt

Denkfabriken sind eine wichtige Stütze der Neican. Unter Xi wurden unabhängige Denkfabriken zwar gezwungen zu schließen, doch die staatlich orientierten haben sich vervielfacht. Die Türen des letzten prominenten marktwirtschaftlichen Think-Tanks in China, Unirule, wurden 2019 buchstäblich zugeschweißt, wobei einige seiner Forscher kurzzeitig eingeschlossen wurden. Aber Stadt- und Provinzregierungen, Ministerien und sogar einige staatliche Unternehmen gründeten Hunderte von „Denkfabriken mit chinesischen Merkmalen“. Zwischen 2018 und 2020 hat sich ihre Zahl von 507 auf 1413 fast verdreifacht. (Die Modeerscheinung lässt etwas nach: Ende letzten Jahres waren es nur noch 1096.) Der größte Teil der Forschung, die sie betreiben, ist nur für den internen Gebrauch bestimmt. Ihre Ergebnisse könnten Beamten ein gutes Verständnis für die lokalen Dimensionen von Problemen wie dem Immobiliencrash vermitteln, sagt ein Forscher. Ein anderer bestätigt, dass er in der Lage ist, offen über Verwaltungsprobleme zu schreiben, wie die Schwierigkeiten bei der Umsetzung widersprüchlicher Regierungserlasse.

Einige Experten haben spekuliert, dass Chinas riesige digitale Wirtschaft den politischen Entscheidungsträgern Zugang zu einer Fülle von hochwertigen Daten über Unternehmen und Verbraucher in Echtzeit verschafft. Der Staat baut Börsen auf, auf denen Daten, die Unternehmen über Transaktionen sammeln, gekauft und verkauft werden können. Diese Plattformen befinden sich jedoch noch in der Entwicklung. Ebenso betreiben Chinas Sicherheitsdienste eine enorme landesweite Überwachung, die naturgemäß den Personen- und Warenverkehr sowie die Meinungsäußerungen der Bürgerinnen und Bürger verfolgt. Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, dass die Beamten diese Informationen nutzen, um die Wirtschaft besser zu verstehen.

Letztlich stellt sich die Frage, wie viel von all diesen Informationen bis in die höchsten Ränge der Kommunistischen Partei durchdringt. Das ist schwer zu sagen. Die Autoren prahlten oft mit dem Einfluss ihrer Neican-Berichte, sagt Huang von der Seton Hall University, aber es gebe keine zuverlässigen Daten darüber, wer Einfluss auf die öffentliche Politik habe. Ein Forscher sagt, er werde darüber informiert, wenn ein hoher Beamter eine Anmerkung zu einem seiner Berichte gemacht habe. Aber er erfährt nicht, was in der Anmerkung steht. Die Vielzahl der Denkfabriken liefert vermutlich eine enorme Anzahl von Empfehlungen an verschiedene Regierungsstellen. Aber Bob Chen, ein in Shanghai ansässiger Investor, sagte kürzlich im lokalen Podcast Baiguan, dass die Zentralisierung der Macht an der Spitze der Partei bedeutet, dass die Empfänger nicht mehr die Autorität haben, die Reformen durchzusetzen, die in den Berichten befürwortet werden könnten.

Außerdem scheint es nur natürlich zu sein, dass Neican-Berichte dazu neigen, den Behörden zu schmeicheln. Ein Staatsforscher stellt fest, dass seine Analyse umso besser ankommt, je positiver sie ausfällt. Dies ist ein offensichtlicher Anreiz, die Dinge optimistisch zu sehen. Auch das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Derselbe Forscher, der sagte, er sei frei, Verwaltungsprobleme zu erörtern, gibt auch zu bedenken, dass er nie direkte Kritik an politischen Erlassen von oben übt.

Niemand außerhalb der höchsten Machtzentren weiß genau, was Xi liest und wie er die Informationen umsetzt. Chinas Wirtschaftspolitik war schon immer etwas undurchsichtig, aber das spielte kaum eine Rolle, als das Wachstum stark war und die politischen Entscheidungsträger pragmatisch erschienen. Jetzt, wo sich das Wachstum abschwächt und die Bürokratie ideologischer wird, ist der Mangel an guten Informationen über die Wirtschaft viel besorgniserregender. Er könnte für Chinas Führung zu einem ebenso großen Problem werden wie für irritierte Außenstehende.

© 2024 The Economist Newspaper Limited. All rights reserved.

Aus The Economist, übersetzt von der Markt & Mittelstand Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com

Ähnliche Artikel