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Personal > Neues Sozialpartnermodell

Die betriebliche Altersvorsorge wird komplizierter

Das neue Sozialpartnermodell sollte kleine und mittlere Unternehmen motivieren, ihren Mitarbeitern verstärkt eine betriebliche Altersversorgung anzubieten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das neue System ist noch komplizierter als bisher. Die Folgen: Keiner will’s, und niemand bietet’s an.

Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG), das im Januar in Kraft trat, sollten vor allem kleine und mittlere Unternehmen motiviert werden, ihren Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung (bAV) anzubieten. Noch ist aber vollkommen offen, ob das gelingen wird, denn: Der ohnehin schon zähe Brei der bAV bekommt zwei Köche mehr. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mischen in Zukunft verstärkt in der Altersvorsorge mit.

In der „alten bAV-Welt“ sind fünf Durchführungswege der Betriebsrente vorgesehen: Direktzusage, Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds. Ein Kernelement in der „neuen bAV-Welt“ stellt das sogenannte Sozialpartnermodell dar. Als Sozialpartner fungieren Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Sie sollen gemeinsam neue bAV-Modelle im Rahmen von Tarifverträgen entwickeln.

Keine verbindlichen Zusagen

Die neue bAV bringt zwei Besonderheiten mit sich. Erstens: Es gibt keine verbindlichen Zusagen für eine bestimmte Leistung des Arbeitgebers. In der alten bAV-Welt müssen Unternehmen für die vereinbarte Leistungs- bzw. Beitragszusage einen Kapitalwert oder Ratenzahlungen garantieren und bei Nichteinhaltung haften – ein finanzielles Risiko und somit ein Grund für viele Firmen, keine bAV anzubieten oder bestehende Pläne zurückzufahren. Künftig wird nur eine Zielrente genannt. Eine dauerhafte Betriebsrentenhöhe wird zwar angestrebt. Der Arbeitnehmer erhält jedoch kein vom Arbeitgeber garantiertes Leistungsniveau. Stattdessen schwankt es – innerhalb einer gewissen Range – je nach Ertragslage.

Zweitens verzichten Mitarbeiter in der neuen bAV-Welt auf ein Kapitalwahlrecht. Damit entfällt die Möglichkeit, die Rentensumme später als einmaligen Gesamtbetrag zu erhalten. Stattdessen beziehen sie eine monatliche Rente. „Für mich läuft das Sozialpartnermodell auf zwei Dinge hinaus: Zunächst planen die Gewerkschaften mehr Einfluss auf Unternehmen, vor allem auf die, in denen sie bisher nicht aktiv waren.

 

Außerdem wird den Anlegern das Mitspracherecht entzogen, wie und in welchen Beträgen sie ihre Rente beziehen“, kritisiert Thomas Haßlöcher von der bAV-Beratung Deutsche Pensexpert. Das neue Betriebsrentenstärkungsgesetz überfordere die Arbeitnehmervertreter, weil sie nicht über die Beratungspraxis verfügten, die sie für eine fachmännische Beratung der Angestellten brauchten. Auch hätten beide Sozialpartner – Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände – eine eingeschränkte Sichtweise auf die Absicherung im Alter und könnten so keinen unabhängigen Rat geben. Stattdessen, so empfiehlt Haßlöcher, könnten die großen Versicherer die Beratung übernehmen. Die Aufsicht über die Anlagerisiken, das legt der Gesetzgeber klar fest, liegt bei den Tarifvertragsparteien.

Mehr Rendite, mehr Risiko

Doch die Novelle hat auch ihre guten Seiten: Wenn Versicherer keine Garantie auf eine bestimmte Rente mehr geben müssen, sondern nur Beiträge zusagen, können sie freier – und renditeaffiner – anlegen. „Eine garantierte Rente ist auch ein Renditekiller. Zumindest für jüngere Arbeitnehmer, die noch viele Jahre vor sich haben“, weiß Finanzberaterter Dieter Homburg von Globus Consulting.

Denn in Zeiten niedriger Zinsen wendeten die Versicherer einen Großteil der Sparbeiträge auf, um die Garantie sicherzustellen. Dann bleibe vom Betrag nur wenig Geld übrig, das chancenorientiert und frei angelegt werden könne, rechnet Homburg vor, der das Buch „Altersvorsorge für Dummies“ geschrieben hat. Am Ende sollte der Sparer dann mit kaum mehr als den eingezahlten Beiträgen rechnen. „Nach Abzug der Inflation ergibt sich ein deutliches Minusgeschäft“, moniert Homburg.

Viel Unsicherheit

Im Gegensatz zur Leistungszusage einer garantierten Rente ist die Beitragszusage das Versprechen des Arbeitgebers, einen bestimmten Beitrag für die Versorgung des Arbeitnehmers aufzuwenden. Dabei gibt es jedoch keine Gewähr, dass eine bestimmte Versorgungsleistung auch erreicht wird. Ob und in welcher Höhe aus dem Beitrag eine Leistung wird, liegt im Risiko des Arbeitnehmers. Um ein bestimmtes Versorgungsniveau möglichst zu erreichen, kann im Tarifvertrag ein zusätzlicher Sicherungsbeitrag vereinbart werden, den die Arbeitgeber zahlen.

Ziel der Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter ist es, das Prinzip bAV stärker zu etablieren. Denn Studien zeigen, dass gerade Geringverdiener zu wenig für das Alter vorsorgen. Wenn nun die Gewerkschaften wie die IG Metall für die Seriosität des Modells bürgen, könnten vielleicht mehr Menschen Vertrauen in die Vorsorgemöglichkeit fassen. Hinzu kommt als positiver pädagogischer Effekt: „Den Menschen wird die Möglichkeit entzogen, bei der Auszahlung in einem Betrag alles sofort zu verprassen“, stellt Homburg fest. Damit spare sich der Staat möglicherweise die Zahlung von Sozialhilfe. Last, but not least könne es für den Einzelnen auch aus steuerlicher Sicht sinnvoll sein, eine monatliche Rente zu beziehen.

Große Pläne, großer Aufwand

Dass die Haftung des Arbeitgebers ausgeschlossen ist, dürfte die stärkste Wirkung pro Betriebsrente haben: Chefs werden aus der Haftung für eine bestimmte Rentenhöhe entlassen und erhalten einen Teil ihres Zuschusses an Geringverdiener in Form einer Lohnsteuererstattung zurück – zwischen 72 und 144 Euro. „Darin und in der Freiheit bei der Kapitalanlage besteht die eigentliche Attraktivität des Sozialpartnermodells“, heißt es von Seiten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Ein Nachfrageboom täte der bAV gut: Deren Verbreitung stagniert laut BDA seit fünf Jahren. Zwischen 2001 und 2012 war noch ein stetiger Anstieg verzeichnet worden. Bestehende Sozialpartnerschaften, beispielsweise im Rahmen der Metallrente, der Bäckerrente oder des Chemie Pensionsfonds, dienen als Vorbild für die ausgeweiteten Kooperationen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern. Auch bis dato nicht tarifgebundene Unternehmen können sich künftig in den Tarifvertrag ihrer Branche einklinken, in dem eine Pensionsregelung besteht – jedenfalls wenn die Vereinbarung dies gestattet. „In großen Kollektiven, die auf der Grundlage der tarifvertraglichen Lösungen entstehen sollen, lassen sich individuelle Risiken besser abfedern“, heißt es in einem Verdi-Strategiepapier: „Betriebsrenten waren und sind Ausdruck tarif- und betriebspolitischer Gestaltungsoptionen.“

Kritik am System

Seitens des Gesetzgebers sind die Sozialpartner angehalten, nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Zugang zu ihren Betriebsrentenmodellen zu gewähren. Allerdings unterliegen die Tarifpartner keiner Haftung oder Strafe, sollten sie ihre Modelle exklusiv nur ihren Vertragspartnern zur Verfügung stellen. Dass eine Altersvorsorge nur über einen Tarifvertrag zu erhalten sei, kritisiert der BDA als kontraproduktiv. Außerdem würden Branchen benachteiligt, die nicht gewerkschaftlich vertreten seien, zum Beispiel die freien Berufe. Etliche kleinere und nicht tarifgebundene Betriebe fürchten zudem, dass durch das Sozialpartnermodell der „neuen bAV“ der Einfluss der Gewerkschaften zunehmen könne.

Kritik vieler Berater: Nur die Sozialpartner dürfen ein Modell anbieten, das ohne garantierte Rente arbeitet und auf diese Weise mehr Rendite verspricht. „Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass einige Gestaltungsoptionen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes nur tarifexklusiv möglich sind“, betont die IG Metall gegenüber „Markt und Mittelstand“. Es gehe darum, dass die Interessen beider Seiten und ohne betriebliche Einflüsse vertreten würden: „Das geht nur auf der Ebene der Tarifvertragsparteien.“

Noch keine tragfähigen Sozialpartnermodelle

Dabei wird das eine Modell, wie alle anderen auch, über eine Versicherungsgesellschaft oder einen anderen Finanzpartner abgewickelt. Zahlreiche Versicherungskonzerne wie HDI, R+V oder Debeka bieten bereits branchenweite bAV-Konzepte im Auftrag der Sozialpartner an. Problematisch ist allerdings, dass es seitens der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände derzeit noch keine tragfähigen Sozialpartnermodelle gibt, um die betriebliche Altersversorgung insbesondere in kleinen Betrieben zu etablieren. Erst vom kommenden Jahr an soll es so weit sein, glaubt der BDA.

Und auch die Gewerkschaft Verdi räumt ein, dass die Neuerungen der bAV großen Aufwand mit sich bringen: „Dieser Umstand stellt für die Gewerkschaften eine enorme kommunikative Herausforderung dar.“ Die IG Metall gibt sich zuversichtlich: Von Überforderung könne keine Rede sein, heißt es auf Nachfrage. In der ersten Tarifrunde des laufenden Jahres, in der südwestdeutschen Metall- und Elektroindustrie, spielte das Sozialpartnermodell freilich noch keine Rolle.


Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 05/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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