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Personal > Mittelstand

Dem Mittelstand gehen die Führungskräfte aus

Testo, Mahle, Müller, Knorr – Chefs werden dringend gesucht. Sieben Maßnahmen, um das Problem zu lösen.

Die Gründe für den Mangel an Führungskräften sind vielfältigBild: Shutterstock

Dennoch ist die Fluktation in der Führungsriege hoch. Testo ist so ein Beispiel, Weltmarktführer bei mobiler Messtechnik. Oder Mahle: Der Autozulieferer verlor drei Chefs in vier Jahren. Oder Knorr-Bremse: Die Mitarbeiter warten seit Längerem auf stabile Führung, doch die Suche nach einem neuen CEO dauert – mal wieder. Ende August dann einige mal mehr, mal weniger freiwillige Abgänge: Kasper Rorsted geht als CEO nicht 2026, sondern 2023, Stephan Sturm räumt den Chefsessel bei Fresenius zum 1. Oktober und die Drogeriekette Müller sucht plötzlich einen Nachfolger für Günther Helm, langjähriger Kronprinz des Firmenpatriarchen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Topunternehmen finden kein Führungspersonal – Fachkräftemangel in der Chefetage.

Oder doch nicht? Da sind die Mittelständler, bei denen Personalthemen leise und oft intern geregelt werden. Die Fluktuation ist niedrig, die Zufriedenheit hoch. Werkzeugmaschinenbauer Trumpf ist so ein Unternehmen oder Türsteuerungsspezialist Marantec: Hier stehen nicht nur Kickertische herum, sondern gerade auch junge Führungskräfte haben das Gefühl, dass sich die Arbeit agil verändert, Innovation möglich ist, Werte gelebt werden – kurzum der Job zum eigenen Lifestyle passt.

Also läuft es doch? „Wir gehen davon aus, dass Mittelständler, Betriebe und Behörden im Zuge der in den vergangenen Jahren gestiegenen Arbeitskräfteknappheiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt vermehrt Schwierigkeiten haben werden, ihre Führungspositionen adäquat zu besetzen“, sagt Mario Bossler vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dass es einen Fachkräftemangel gibt, ist schon länger bekannt. Nach der Corona-Pandemie fehlt Personal auch auf unteren Ebenen. Aber der wesentliche Teil des Problems ist, dass besonders den mittelständischen Unternehmen die Führungskräfte ausgehen. Damit sind vor allem, aber nicht nur Mitglieder des Vorstandes gemeint, rund 3,2 Millionen Menschen, die in deutschen Firmen Personal führen und wichtige Kontroll- und ­Planungsaufgaben wahrnehmen.

„Der Kampf um hinreichend qualifizierte Führungskräfte ist deutlich härter geworden. Die Zahl der qualifizierten Führungskräfte nimmt stark ab. Wir haben inzwischen eindeutig einen Kandidatenmarkt“, fasst Marco Henry Neumueller seine Erfahrungen zusammen. Der Partner der Personalberatung Odgers Berndtson ist seit Jahren auf Mittelständler spezialisiert. „Vor Corona habe ich vielleicht 80 Leute angesprochen, um eine Topposition zu besetzen. Heute sind es stellenweise über 250.“

Besonders problematisch sei die Suche, wenn die Position eher bei einem Hidden Champion zu besetzen ist, also einem eher unbekannten Unternehmen, das zudem weit entfernt von einer Großstadt seinen Sitz hat. Neumueller geht davon aus, dass es noch schwieriger wird. „Die Long­list wird immer länger, die Shortlist kürzer.“ Sehr ähnliche Erfahrungen macht Nils Juncken. „Auch wenn in Deutschland häufig vom Fachkräftemangel gesprochen wird: Führungskräfte sind gleichermaßen knapp“, sagt der Berater und Experte von Kienbaum aus dem Bereich Executive Search. „Eine Folge ist die Zunahme von Unternehmensverkäufen an Private-Equity-Unternehmen.“

Firmennachfolger fehlen

Wie stark das Problem auch im Hinblick auf die Nachfolgeregelung von Familienunternehmen ist, hat hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) im August in einem groß angelegt Report ermittelt: Hierzulande sind danach immer weniger Menschen bereit, selbst Unternehmer zu werden. Just zu einer Zeit, in der immer mehr Unternehmen eine Nachfolgeregelung brauchen. „Neben dem Fachkräftemangel steuert unsere Wirtschaft auch auf eine Unternehmerknappheit zu“, sagt DIHK-Präsident Peter Adrian. „Vor allem in Handel, Gastronomie und bei den Dienstleistungen – also den von der Pandemie am stärksten betroffenen Branchen – droht vielen Unternehmen beim Generationswechsel mangels Nachfolger das Aus.

Die Gründe für den Mangel an Führungskräften sind vielfältig. Da ist die demografische Entwicklung: Es gehen mehr Menschen in Rente, als dazukommen. Hinzu kommt speziell beim Thema Unternehmensnachfolge laut DIHK, dass viele Unternehmer angesichts der Herausforderungen durch die  Corona-Pandemie um die Existenz ihres Betriebes gekämpft haben. Die Nachfolgesuche war da eher nicht wichtig. Die Bürokratie, die mit Führungsaufgaben einhergeht, sieht die jüngere Generation zudem skeptischer. „Die Attraktivität von Führungsrollen nimmt ab. Die Menschen reflektieren seit einigen Jahren intensiver, ob sie in einer Führungsrolle ‚glücklich‘ werden“, bilanziert Kienbaum-Berater Juncken seine Erfahrungen. Gleichzeitig werden Experten- und Beraterkarrieren viel attraktiver, weil auch hier hohe Gehälter zu holen sind und all die anderen Vorteile, die bisher nur Führungskräfte für sich in Anspruch nehmen konnten.

Apropos Vergütung: Wenn das Angebot an Führungskräften knapper wird, steigen die Gehälter stark. So sucht der US-Chiphersteller Intel für seine neue Fabrik in Magdeburg eine Standortleitung. Dafür ist von einem Jahresgehalt in Höhe von 750.000 Euro die Rede. Viele Firmenbeiräte akzeptieren aber nicht, dass die Gehälter kräftig steigen. „Ich nehme immer wieder einen gewissen Geiz bei Gehältern wahr. Mittelständler müssen guten Führungskräften heute schlichtweg mehr bezahlen als früher“, sagt Marco Henry Neumueller mit dem Wissen, dass Aufsichtsräte im Sinne der Good Governance die Gehaltsschere im Unternehmen möglichst klein halten wollen.

Was können Unternehmen tun, um bei der Suche nach Topführungskräften nicht nur über das Geld zu punkten? Und das Personal dann auch zu halten? Ein einfaches Rezept gibt es nicht, aber sieben Maßnahmen, die helfen können:

  1. Die Situation akzeptieren. „Viele Mittelständler haben immer noch nicht verstanden, wie hart der Kampf um Führungskräfte ist und dass man sich als Unternehmen bewerben muss“, sagt Headhunter Neumueller.

  2. Hinreichend flexibel sein. Viele Kandidatinnen und Kandidaten, denen Flexibilität bei Arbeitszeit und Arbeitsort sehr wichtig ist, erleben Unverständnis. „Es gibt immer noch viele Mittelständler, die da nicht mitgehen. Insbesondere für die Generation Y ist die Vereinbarkeit von Job und Privatleben sehr wichtig“, meint Neumueller. Gerade viele Familienunternehmen erwarten nach wie vor, dass die Leute für Top-Führungspositionen umziehen. „Sonst würde das fehlendes Commitment beweisen.“

  3. Retention-Maßnahmen clever einsetzen – dafür sorgen, dass möglichst wenig Führungskräfte gehen. Neben den finanziellen Bestandteilen wie Gehalt und Boni gibt es finanzäquivalente Bestandteile wie Dienstwagen, Dienstfahrrad oder Weiterbildung. Und – gern vergessen – nicht monetäre Anreize wie flexible Lösungen bei Arbeitsort und -zeit. Hier sind auch Faktoren wie ein empathischer Umgang, Wertschätzung oder wahrgenommene Aufstiegschancen ­wichtig.

  4. Mehr Verständnis – vor allem für diejenigen, die noch nicht 30 Jahre alt sind. Die Generation Z, die zwischen 1995 und 2010 Geborenen, genießen in Umfragen unter Personalverantwortlichen einen zweifelhaften Ruf. Sie gelten als die bestausgebildete Generation aller Zeiten, wobei man die Abiturientenquote hier als Maßstab nicht zu hoch hängen sollte. Unmotiviert seien die jungen Leute aber eben auch, illoyal, weil ständig auf dem Sprung. Und sie würden sehr viel vom Arbeitgeber fordern. Unternehmen müssen sich auf eine Generation einstellen, die ihre Zeit lieber mit dem wirksamen Bearbeiten von Projekten verbringt und weniger gern mit Führungsaufgaben im althergebrachten Stil. Außerdem sei Sinnstiftung für viele bedeutender, als es bei den älteren Generationen war, sagt Headhunter Neumueller. Stichwort Purpose.

  5. Förderung der eigenen Talente. „Es wird immer schwieriger, Führungspositionen aus eigenen Reihen nachzubesetzen. Die Durchlässigkeit innerhalb der Hierarchien mittelständischer, familiengeführter Unternehmen ist häufig relativ begrenzt“, sagt Kienbaum-Berater Juncken. Firmen müssten hinreichend Aufstiegschancen und Entwicklungsmöglichkeiten anbieten. Damit ist nicht unbedingt ein ein hierarchischer Aufstieg gemeint. Top-Talente zu Experten zu entwickeln, einschließlich ähnlicher Vorteile wie bei Führungskräften, sei oft ein gutes Mittel.

  6. Frühzeitig erkennen, welcher Bewerber zu einem passt. Das ist offenbar nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Nicht jede und jeder ist geeignet für eine Karriere in einem mittelständischen Unternehmen. „Wer weniger Lust auf Bürokratie hat und kurze Entscheidungswege liebt, ist hier richtig“, sagt Headhunter Neumueller. Das Leben in einer Konzernkultur ist anders, mit entsprechenden Vor- und Nachteilen. Bei mittelständischen Betrieben könne man häufig selbst entscheiden, müsse aber auch kleinere Tätigkeiten selbst übernehmen, statt jeden unangenehmen Handgriff zu delegieren. 

  7. Den Blickwinkel weiten und in anderen Ländern nach Kandidaten oder Kandidatinnen suchen. Bisher ist Neumueller zufolge selten: „Die Sprache ist sicherlich ein vermeintliches Hindernis. Dabei gäbe es hier erhebliche Möglichkeiten. Es ist gefühlt einfacher, einen Belgier nach Stuttgart zu bringen, als einen Hessen an den ­Bodensee.“

Zu den sieben Maßnahmen kommt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Helfen würde, das Imageproblem von Unternehmern und Führungskräften zu mindern. Das Klischee ist allzu oft dasselbe – alte, weiße Männer, die nichts außer sie selbst, ihr Geld und ihr Status interessiert. Meister der Selbstinszenierung, Kontrollsüchtige – und niemand ist im „Tatort“ häufiger der Mörder. Dass diese Vorstellung mit modernem Management nicht viel zu tun hat, sollte sich schleunigst herumsprechen. 

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