Ungeimpfte haben es im Alltag immer schwerer. Nur am Arbeitsplatz nicht. Verbände und Gewerkschaften beklagen große Verunsicherung in Unternehmen und sehen den Betriebsfrieden in Gefahr. Sie fordern von der Politik dringend Nachbesserung.
Keine Impfung – kein Stadion: Wer Fan des 1. FC Köln ist, muss sich entscheiden, denn der Verein lässt nur noch Geimpfte oder Genesene zu den eigenen Heimspielen zu. Weitere Klubs der Fußball-Bundesliga wollen dem 2G-Weg der Kölner folgen, um so mehr Publikum in die Stadien zu bekommen. Auch die Landesregierung in Baden-Württemberg macht seit Mitte August den Impfverweigerern flächendeckend das Leben schwer. Sie müssen wesentlich öfter zum Testen, wollen sie noch am Alltag teilnehmen und beispielsweise in der Weinstube ihr Viertele genießen. 3G (geimpft, genesen, getestet) gilt im Südwesten für alle Innenräume vom Restaurant über Museum bis Fitness-Studio und Frisör. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) denkt sogar schon laut über 2G nach. Was die Politik aber geflissentlich verschweigt: Diese Regeln gelten nicht für alle. Am Arbeitsplatz können sich Impfverweigerer weiterhin frei bewegen.
"Arbeitgeber haben grundsätzlich kein Fragerecht bezüglich des Impfstatus", erklärt Philipp Merkel, Referatsleiter Arbeitsrecht bei Südwestmetall in Stuttgart. Das strenge Datenschutzrecht verhindere derzeit zudem, dass die Unternehmen erfassen können, wer in den eigenen Reihen bereits geimpft ist und wer nicht. Und den einzelnen Beschäftigten darf der Chef auch nicht fragen, geschweige dazu verdonnern, zum Spritzen zu gehen. "Solange keine Impfpflicht besteht, kann der Arbeitgeber auch die Mitarbeiter nicht sanktionieren, wenn sie sich verweigern", stellt Merkel klar. Das bringe die Unternehmen in große Planungsschwierigkeiten, wenn beispielsweise Monteure zu Kunden oder in Länder gehen sollen, die eine Impfpflicht vorschreiben. "Hier ist man aktuell auf das freiwillige Mitwirken der Mitarbeiter angewiesen", sagt Merkel. Im Fall des 1. FC Köln bedeutet das: Alle Fremdbetriebe müssen zusehen, wie sie geeignetes Personal finden und ins Stadion bekommen. Der Club selbst darf aber Betreuer, Balljungen und Spieler nicht fragen, ob sie den eigenen Regeln entsprechen.
Unauflösbarer Konflikt
Impfverweigerer können auf die vom Grundgesetz geschützte "körperliche Unversehrtheit" verweisen. Die Geimpften könnten das allerdings auch. Was also, wenn die Geimpften darauf bestehen, nicht mit einem Verweigerer zusammenzuarbeiten, weil sie beispielsweise zu Hause kleine Kinder haben, die man gar nicht immunisieren kann? Der IG Metall bereitet die offene Rechtslage ebenfalls Kummer. Sie schließt nicht aus, dass es in den Betrieben bald zu Reibereien kommen wird. "Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das passiert", befürchtet Roman Zitzelsberger, Chef der mächtigen Bezirksverwaltung in Stuttgart, angesichts des derzeit "unauflösbaren Konflikts".
In seltener Einigkeit haben deshalb Stefan Wolf, Präsident von Gesamtmetall, und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann an die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie appelliert: "Nehmen Sie – egal wo – Impfangebote an!" Nur wenn man eine hohe Impfrate erreiche, werde eine vierte Welle verhindert und die schnelle Rückkehr zur Normalität möglich."Selbstverständlich ist die Impfung eine persönliche Entscheidung. Aber es geht auch um unser gesellschaftliches Zusammenleben“, mahnen die beiden Spitzenvertreter, die sich sonst mit härtesten Bandagen bekämpfen. Auch die Betriebe werden aufgefordert, ihren Teil beizutragen und trotz der "hohen organisatorischen und finanziellen Belastungen" entsprechende Angebote einzurichten. "Ziel muss es sein, es den Menschen so einfach wie möglich machen, an ihre Impfung zu kommen. Dabei gilt es auch, kreative und neue Lösungen zu finden und zu nutzen", heißt es in der gemeinsamen Erklärung.
Selbst im Gesundheitswesen ist umstritten, ob die Arbeitgeber die Belegschaft in Kliniken und Pflegeheimen zum Impfen schicken dürfen. Das Infektionsschutzgesetz sieht in Paragraf 23 zwar vor, dass die Leiter von Krankenhäusern, Rettungsdiensten, Heimen und Arztpraxen alle notwendigen Maßnahmen ergreifen müssen, um eine Weiterverbreitung von Krankheitserregern zu vermeiden. Damit können sie neben der Einhaltung der Hygiene- und Abstandsmaßnahmen vom Personal ein gesteigertes Interesse an einer Impfung erwarten. Doch darf hier der Arbeitgeber fragen? Und dürfen die Beschäftigten wie in den anderen Betrieben lügen? Da gehen die juristischen Meinungen auseinander.
Große Ungewissheit
"Das Arbeitsrecht und die Corona-Regeln sind in weiten Teilen nicht kompatibel. Hierüber beklagen sich zunehmend auch Mitgliedsunternehmen", schimpft Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) in Frankfurt. Dort ist man angesichts der unklaren Lage spürbar ungehalten: "Es herrscht eine große Ungewissheit, wie mit Impfmuffeln umzugehen ist. Die Unternehmen sitzen zwischen den Stühlen", klagt Brodtmann. Auf der einen Seite gebe es keine gesetzliche Impfpflicht, auf der anderen Seite sei es datenschutzrechtlich heikel, den Impfstatus zu erfragen. Hinzu komme: Unternehmen müssten auch aus Fürsorgegesichtspunkten Infektionsrisiken gering halten."'Impfmuffeln' nur gut zuzureden, hilft wenig. Die Verunsicherung ist groß. Der Gesetzgeber ist dringend gefordert, hier etwas zu tun", macht der VDMA-Hauptgeschäftsführer klar. „Da besteht wohl Handlungsbedarf“, gibt Arne Braun, Sprecher der Landesregierung in Stuttgart, zu. Worin die Lösung aber bestehen könnte, darüber will er nicht spekulieren.
Prinzipiell darf der Staat die Menschen zu vernünftigem Verhalten verpflichten oder gar zwingen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erst vor wenigen Monaten bestätigt. Die Regierungen vieler europäischer Länder handeln entsprechend. Frankreich setzte eine Impfpflicht für Mitarbeiter des Gesundheitswesens und der Pflege durch. In Italien bekommen Lehrer und Dozenten kein Geld, wenn sie nicht geimpft erscheinen. In Griechenland und Großbritannien gelten ähnliche Regeln. Der Berliner Verwaltungsrechtler Ulrich Battis rechnet auch hierzulande mit einer Impfpflicht für staatliche Bedienstete, wenn es nicht gelingt, die Pandemie einzudämmen. Dies gelte jedenfalls für solche Berufsgruppen, in denen eine solche Vorgabe verhältnismäßig wäre, etwa bei der Polizei oder in der Bundeswehr. Auch in Krankenhäusern oder staatlichen Pflegeheimen sei dies möglich. Wer sich weigere, dem drohe ein Disziplinarverfahren – und am Ende auch die Entfernung aus dem Dienst. "Überzeugte Querdenker wird der Staat entlassen dürfen", sagte Battis kürzlich der FAZ.
Systematische Erfassung heikel
Die Politik in Berlin sträubt sich aber noch gegen klare Ansagen. Wobei auch hierzulande eine Impfpflicht nicht neu wäre. Zum Schutz vor den hoch ansteckenden Masern ist seit dem 1. März 2020 eine Impfung für Kinder in Kitas und Schulen Pflicht. Und auch am Arbeitsplatz gibt es keine Ausnahme. Betreuerinnen und Betreuer fallen ebenfalls unter diese Regelung. Über Verfassungsbeschwerden gegen diese Vorgabe will das Bundesverfassungsgericht noch in diesem Jahr urteilen. Eilanträge wurden bereits abgewiesen. Impfungen gegen Masern würden nicht nur das Individuum gegen die Erkrankung schützen, sondern gleichzeitig die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung verhindern, so die Begründung.
Solange die Politik aber das heiße Eisen Impfplicht meidet, bleiben nur wenige Möglichkeiten, um den Arbeitgebern aus dem Dilemma zu helfen. "Man muss durch gesetzliche Klarstellung den Unternehmen ein Fragerecht zugestehen", meint Arbeitsrechtsexperte Merkel. Das hätte immerhin den Vorteil, dass die Betriebe wissen, wen sie wo einsetzen können. Doch bereits das systematische Erfassen dieser Informationen dürfte dann heikel bleiben, denn dem steht das Datenschutzrecht entgegen. Skeptisch sieht Merkel auch Versuche, über einen externen Dienstleister alle Mitarbeiter zu kontrollieren, denn auch so ließe sich die geltende Rechtslage nicht aushebeln.
Denkbar ist aber auch, einen Bonus auszuloben und den Impfnachweis zur Anspruchsvoraussetzung zu machen. Dann können die Beschäftigten selbst entscheiden, ob sie sich offenbaren wollen. Allerdings muss ein solcher Bonus mit dem Betriebsrat abgestimmt werden. Der steht dann wiederum vor der heiklen Frage, ob so nicht doch erheblicher Druck auf die Kolleginnen und Kollegen ausgeübt wird. Wenn die Mitarbeiter Fußballfans sind, könnte aber auch eine Stadionkarte der Problemlöser sein. Zumindest in Köln.