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Management > Osteuropa-Boom

Auslandsexpansion: Standorte sichern, Wachstum fördern

Viele Unternehmen setzen auf neue Standorte, vor allem in Osteuropa. Spannend dabei: Diese neuen Werke helfen oft, bestehende Jobs in Deutschland zu sichern.

Deutsche Mittelständler verlagern zunehmend Produktionsstandorte ins Ausland, um Kosten zu senken, bürokratische Hürden zu umgehen und Fachkräfte zu gewinnen. (Foto: picture alliance / Zoonar, Robert Kneschke)

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BU: Erfolgreicher Nachwuchs: Die neuen Fachkräfte beim Zahnrad- und Getriebespezialisten IMS Gear in Baden-Württemberg posieren für den Fotografen. Sie haben eine Ausbildung oder ein Duales Studium bei dem deutschen Mittelständler abgeschlossen. Das Unternehmen ist in den vergangenen Jahren auch im Ausland gewachsen, was ebenfalls den heimischen Standorten geholfen hat.
© IMS Gear

 

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Wer im deutschen Südwesten im Dreiländereck nahe Frankreich und der Schweiz lebt, ist mit dem Thema Pendeln vertraut: Nachbarschaftliche Ausflüge für Einkauf und Kultur nach Straßburg, Freiburg, Colmar oder Basel sind üblich. Die Schweiz ist das allmorgendliche Ziel vieler Arbeitnehmer aus den beiden anderen Ländern. Schließlich ist das Durchschnittsgehalt in der Schweiz 70 Prozent höher als in Deutschland. Das erklärt zugleich, warum deutsche Mittelständler Produktion oder andere Bereiche eher nicht dort ansiedeln werden. Auch das französische Elsass verschmähen die Unternehmen. Vielfach nennen sie die französische Bürokratie als Grund. Schon Mitarbeiter zu schicken, die Aufträge annehmen, gilt als schwierig, beispielsweise für Handwerksbetriebe. Dafür pendeln viele Menschen, die in Frankreich wohnen, auch zum Arbeiten in die Schweiz. Oder nach Deutschland.

Dass deutsche Mittelständler in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, auf der anderen Seite der Grenze ein weiteres Werk eröffnen, ist im Dreiländereck unüblich. Verlagert wird, wie in ganz Deutschland, vor allem in Richtung Osteuropa – nach Polen, in die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und Rumänien. Zentral- und Osteuropa liegt einfach näher als China oder Indien.

Die geografische Anbindung an manche deutsche Region, die Qualifikation der Arbeitskräfte, aber auch Infrastruktur und wirtschaftliche Dynamik seien wichtig, sagt Petr Prokop von Give Management. Sein Unternehmen hilft bei der Suche nach Interimsmanagern für entsprechende Aufgaben im Ausland, unter den 100 größten Automobilzulieferern sind rund die Hälfte Auftraggeber für Give. Die Branche ist vor allem im Süden und Südwesten Deutschlands stark. „Mit der E-Mobilität entwickeln sich auch die Zielländer von Autoherstellern und Zulieferern noch einmal in eine andere Richtung“, sagt Prokop. Die Nähe zu veränderten Märkten ist dabei das eine, die Suche nach Experten für Software, Datenanalyse und KI das andere. „Die Diversifizierung in Mobilitätsdienstleistungen führt zu einer Expansion in Regionen mit hoher Nachfrage und einfacher Regulierung“, sagt Prokop.

Um welchen dramatischen Anteil an Unternehmen es dabei bei mittelständischen Automotive-Betrieben gehen könnte, legte im Mai eine Umfrage des Branchenverbands VDA nahe. Mit 37 Prozent der befragten Firmen gaben so viele wie noch nie an, eine die Produktion ins Ausland verlagern zu wollen. Lediglich ein Prozent wollte in den Standort Deutschland investieren. Als Gründe gaben die 134 befragten Mittelständler vor allem die Skepsis bei den Absatzerwartungen an, 83 Prozent erwähnten die überbordende Bürokratie. Es folgten die hohen Abgaben und Steuern und die Energiepreise. Unter dem Fachkräftemangel leiden 68 Prozent der Befragten. Als Standortvorteil für Deutschland wurden noch immerhin das industrielle Netzwerk, die duale Ausbildung, die Infrastruktur und die politische Stabilität genannt.

Verzögerte Genehmigungen

Im südwestdeutschen Dreiländereck setzt sich die Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein nicht nur für Erleichterungen im täglichen Nachbarschaftsverkehr ein. Es dreht sich dort auch um grenzüberschreitende Zukunftsprojekte, die im Verbund laufen sollen, beispielsweise eine Wasserstoff-Initiative.

Geschäftsführer der IHK mit Sitz in Freiburg ist Dieter Salomon (Grüne), früher Oberbürgermeister der Stadt. Nicht nur deshalb ist Salomons Meinung zu Themen wie Verlagerung und Bürokratie über die Kammergremien hinaus gefragt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat ihn zum Vorsitzenden des Normenkontrollrats im Auto-Ländle bestellt. Als obersten „Bürokratiebekämpfer“ bezeichnet ihn deshalb der Staatsanzeiger von Baden-Württemberg.

Als wirtschaftlichen Bremsklotz sieht er vor allem die Genehmigungspraxis von Behörden. Ein Unternehmer mit erfolgreichem Betrieb werde diesen nicht erweitern, wenn er wisse, „dass das sieben Jahre dauert, bis er eine Genehmigung bekommen und gebaut haben wird“. Bis dahin sei nicht nur unklar, ob es dann noch Personal vor Ort gebe. „Wenn es gleichzeitig Länder gibt, wo er das in anderthalb oder zwei Jahren hinbekommt, dann investiert er nicht in Deutschland in seinen Standort“, sagte Salomon kürzlich in einem Interview.

Eines der 70.000 Unternehmen in Salomons Einzugsgebiet am Oberrhein ist der Mobilitätszulieferer PWO (Umsatz 2023: 556 Millionen Euro). Das Unternehmen der Metallindustrie unterhält neben dem Stammsitz in Oberkirch nahe Offenburg insgesamt acht weitere Standorte, fünf davon in China, Mexiko und Kanada, drei in der Tschechischen Republik sowie den jüngsten in Serbien. Bei der Werkseröffnung Ende Mai in Kragujevac nannte Chef Carlo Lazzarini Gründe für die neueste Firmenanschrift. Serbien sei ein Gewinner der laufenden Neuordnung in der europäischen Mobilitätsindustrie.

„Wir sind von diesem Standort überzeugt, so wie eine Reihe unserer Kunden ebenso überzeugt ist, die hier bereits seit einigen Jahren entwickeln und produzieren.“ In Serbien sind schon jetzt tausende Mitarbeiter deutscher Unternehmen in diesem Sektor tätig, künftig werden neben der Produktion wohl auch Forschung und Entwicklung vermehrt angesiedelt. Auch das Anfragevolumen aus Osteuropa war ein Grund für die Ansiedlung. „Derzeit verlagern unsere Kunden in hohem Tempo Entwicklung und Fertigung aus Deutschland nach Osteuropa. Wachstum und vor allem Innovationen finden inzwischen immer stärker dort statt und nicht mehr in Deutschland“, sagt Lazzarini über das Serbien-Engagement. „Wir folgen damit unseren Kunden.“

Die Unterschiede zu Deutschland? „Wir erleben überall eine zupackende Mentalität, einen hohen Gestaltungswillen und eine klare Zukunftsorientierung der Menschen und der Behörden“, sagt Lazzarini. „Die lokalen Politiker an allen unseren Standorten ebnen den Unternehmen Wege und unterstützen unbürokratisch mit sehr viel schnelleren Entscheidungen.“

Der Neu-Standort ist für den PWO-CEO keine Verlagerung von deutschen Arbeitsplätzen, sondern eine Stärkung der Marktposition: „Unsere internationale Präsenz sichert die Arbeitsplätze an unserem Heimatstandort.“ Wachstum und Ertrag der PWO-Gruppe würden fast ausschließlich von ihren internationalen Standorten getragen, antwortet Lazzarini auf die Frage zu mögliche Schließungen in Deutschland. Zum Thema Fachkräftemangel und Bürokratie äußert er die klare Erwartung an die Regierung, ihre Politik des Klein-klein aufzugeben. Grundlegende Reformen sollten Unternehmen wieder „Luft zum Atmen“ verschaffen.

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Neubau in Kroatien

Ein weiterer Automobilzulieferer aus Baden-Württemberg, eine vergleichbare Situation: Beim Unternehmen IMS Gear aus Donaueschingen kommen auf vier Standorte im Schwarzwald drei in den USA und Mexiko sowie drei weitere in China, Japan und Südkorea. Die nächste Eröffnung plant der zu 60 Prozent im Besitz der Gründerfamilie Zimber-Morat befindliche Mittelständler allerdings in Kroatien.

Auch hier steht Vorstand Wolfgang Weber die Fertigung zu wettbewerbsfähigen Preisen im Vordergrund. Auch folgt das Unternehmen Kunden, die bereits in Südosteuropa angesiedelt sind. Zugleich gibt es am Standort Osijek dank der Hochschule gut ausgebildete Arbeitnehmer. Allerdings sei auch hier keine Verlagerung heimischer Arbeitsplätze geplant, wenn ein neues Werk entstehe, sagte Weber.

IMS Gear ist zu 90 Prozent für die Automobilbranche tätig. Die elektronischen Teile für Verbrenner passen auch in E-Autos. Und so stieg der Umsatz im Vorjahr um acht Prozent auf 591 Millionen Euro. 1700 Menschen im Schwarzwald und 1400 im Ausland erwirtschaften ihn.

Also allerorten „Go East“ bei deutschen Mittelständler und ihren Produktionsstandorten? Nein. Sensopart aus Gottenheim, ein Hightech-Betrieb im Südwesten, dessen Produkte ebenfalls für Elektromobilität gebraucht werden, hat aktuell keine Pläne für neue Standorte und will auch nicht abwandern. Den Veränderungen auf den Weltmärkten trage der Sensorikhersteller Rechnung, indem die Vertriebsstruktur im Ausland gestärkt werde, sagt Gründer Theodor Wanner der „Badischen Zeitung“.

Die Hoffnung auf hoch qualifizierte Fachkräfte aus der Region, vor allem aus dem Bereich der Informatik, halte ihn vor Ort. Dennoch seien das Lieferkettengesetz, die Zeiterfassungspflicht und die Datenschutzgrundverordnung Beispiele für Verordnungen, die nur mit viel Aufwand zu erfüllen seien. Zudem gibt es keine Kapazitäten, die diese Verordnungen kontrollieren können, wie Bürokratiebekämpfer Salomon von der IHK Südlicher Oberrhein andeutet. Senso­part-Chef Wanner glaubt indes, dass „die Politik einsichtig wird“ und wieder stärker auf die Eigenverantwortung der Unternehmen setzen wird.

Für das aktuelle Jahr hat er eine Steigerung des Vorjahresumsatzes von 35 Millionen Euro um zehn Prozent eingeplant. Seine Erwartungen an die Zukunft des Standorts Deutschland hängt ebenfalls mit dem Thema Fachkräfte zusammen: „Einer meiner innigsten Wünsche ist, dass mehr Mädchen und Jungen Informatik in der Bundesrepublik studieren oder andere technische Berufe ergreifen. Davon hängt der Wohlstand unseres Landes ab.“

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