Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Personal > Karriere-Killer

Die Homeoffice-Falle

Homeoffice ist für viele hilfreich, um Beruf und Familie besser in Einklang zu bringen. Doch es kann auch ein Karrierer-Killer sein. Besonders Mütter stehen unter Druck. Und viele Führungskräfte sind nicht vorbereitet. Doch es gibt Abhilfe.

Radikale Rollenteilung: Albert Einstein arbeitete lieber an seinem Ruhm als Physiker, als sich zu Hause um seine Kinder zu kümmern. Das überließ er seinen Frauen.© picture alliance / opale.photo | Darchivio

Ob der Vater von Hans, Eduard und Lieserl auch im Homeoffice zum Superstar der Physik aufgestiegen wäre? Von Nobelpreisträger Albert Einstein ist jedenfalls bekannt, dass er sich mit kompromisslosem Einsatz seiner Karriere widmete. Seine Kinder überließ er ihren Müttern. Der Meister wollte ungestört denken. Man muss die Relativitäts­theorie nicht verstehen, um zu wissen, dass dieser Ansatz 2023 für Väter und Mütter relativ out ist.  
Denn wann läuft das E-Mail-Fach von berufstätigen Eltern im Homeoffice voll? Nach 20 Uhr. Wenn die Kinder versorgt sind. Wenn Ruhe einkehrt. Dann setzen sich viele Mütter und manche Väter selbstverständlich wieder an ihren Dienst-Laptop. Anders würden sie ihre beruflichen und privaten To-do-Listen zu Hause gar nicht abarbeiten können. Zu oft werden sie über den Tag beim Denken unterbrochen, beim Telefonat gestört. Solche Unterbrechungen perfektionieren nicht nur Babys und Grundschüler am freien Nachmittag. Selbst Teenager stehen noch mit erstaunlicher Beharrungskraft im Türrahmen, um irgendetwas mal eben zu diskutieren.

Mehr als die Hälfte der neuen Heimarbeiter beklagen in einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung, ihre Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit würden zunehmend verschwimmen. Zudem fühlten sie sich verpflichtet, auch außerhalb der Bürozeiten erreichbar zu sein. Entgrenzte Arbeit nennen das Psychologen, von unbezahlter Mehrarbeit sprechen die Gewerkschafter. Und selbst HR-Experten warnen davor.

Große Frustgefahr

Aus Sicht von Christian Lorenz, Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung, wird das Homeoffice nur dann zum langfristigen Erfolg für alle Beteiligten, wenn auch die Personalabteilungen umdenken. Während das bei großen Unternehmen meist schon Standard sei, gebe es aus seiner Erfahrung bei Mittelständlern, vor allem aber bei kleinen Firmen, oft noch Handlungsbedarf. „Es geht nicht mehr nur um Administration in den Personalabteilungen. Heute müssen sie ein waches Auge darauf haben, ob sich die Versprechen und Erwartungen, die innerbetrieblich mit dem Angebot zum Homeoffice verbunden sind, auch bewahrheiten.“ Wenn nicht, wären frustrierte Mitarbeitende und Führungskräfte die Folge.

Arbeiteten vor der Corona-Pandemie weniger als 15 Prozent der Deutschen zumindest zeitweise im Homeoffice – und das oft hart erkämpft –, sind es inzwischen rund 25 Prozent. Viele Unternehmen geben Büroräume auf, um hohe Mietkosten zu senken. Ausschließlich am heimischen Schreibtisch arbeiteten vor Corona gerade einmal vier Prozent der Erwerbstätigen, 2021 waren es zehn Prozent. Von diesem „Sockel“ gehen vor allem in bürolastigen Branchen viele Personaler auch in Zukunft aus.

 

Dann empfiehlt sich ihnen womöglich ein Blick in eine Umfrage zur Arbeitszufriedenheit der Heimwerker. Denn bei diesem Thema klafft eine Wahrnehmungslücke zwischen beiden Seiten. Auf die Frage, wie gut der Arbeitgeber individuelle Bedürfnisse in der betrieblichen Termingestaltung berücksichtigt, lobten 59 Prozent der Unternehmer ihren Einsatz mit der Bestnote „häufig“. Bei ihren Mitarbeitenden waren es 19 Prozent. Das zeigt: Homeoffice ist kein Selbstläufer. Vier Hindernisse, die Familie und Karriere gleichermaßen gefährden, und wie man sie lösen kann:

• Regeln: Noch vor gut einem Jahr arbeiteten nur knapp 20 Prozent der Beschäftigten auf Basis klarer rechtlicher Vereinbarungen mit ihrem Arbeitgeber im Homeoffice. Studien zeigen: Planungssicherheit, Zeiterfassung, Datenschutz, Arbeitssicherheit und Büroausstattung individuell diskutieren zu müssen, erhöht den persönlichen Stress enorm. Kluge Firmen formulieren mit dem Betriebsrat verbindliche Regeln. Dort sollte gelten: Gleiches Recht für alle.

• Rollen: Alte Rollenzuschreibungen leben in der modernen Heimarbeit wieder auf. Die Pflegearbeit, egal ob fürs Kleinkind oder die hinfälligen Eltern, bleibt weiterhin bei den Frauen hängen, selbst wenn beide Elternteile zu gleichen Anteilen von zu Hause arbeiten. Die Zahlen dazu variieren, aber das Ergebnis ist immer dasselbe. Unzufriedene Paare, die das nicht thematisieren und ausgleichen, stehen am Start einer Abwärtsspirale. Wichtig also: Miteinander sprechen.

• Teamarbeit: Je seltener Heimarbeiter sich im Unternehmen blicken lassen, umso schwieriger wird es, sie in das berufliche Team einzugliedern. Die Chancen auf den beruflichen Aufstieg sinken. Auch deshalb bevorzugen viele Unternehmen für postpandemische Zeiten „3:2“: drei Tage daheim, zwei Tage im Büro.

• Führungspersonal: Eine Unternehmensentscheidung steht und fällt mit den Führungskräften, die sie durchsetzen sollen. Die Hochschule der Bundeswehr in Hamburg ist nach einer Unternehmensbefragung von Führungskräften und Mitarbeitern zu einem desillusionierenden Ergebnis gekommen. Beide Seiten schätzten ihre jeweilige Leistung von zu Hause aus schlechter ein als die im Büro.
Yvonne Lott, Wissenschaftlerin der Hans-Böckler-Stiftung, hält in einer Studie fest: „Vorgesetzte beurteilten ihre Mitarbeiter im Homeoffice oft nicht nach fairen Kriterien.“ Zudem seien von negativen Bewertungen häufiger Frauen als Männer betroffen. Im Büro hielten 54 Prozent der Chefs und Chefinnen die Ergebnisse ihrer Mitarbeitenden für sehr gut bis exzellent. Im Homeoffice waren es nur noch 41 Prozent.
Aus Sicht der Führungskräfte dürfte auch ein anderes Ergebnis dieser Untersuchung zum Handeln zwingen. Teamführung mit Homeoffice-Anteilen belastete die befragten Chefs und Chefinnen psychisch und physisch, gleichzeitig sank die Verbundenheit mit dem Arbeitgeber. Deshalb müssen die HR-Abteilungen Führungspersonal und Mitarbeitende stärker als vor der Pandemie unterstützen, auch wenn es mehr Aufwand bedeutet.
„Sie sollten nicht nur den Führungskräften, sondern allen Mitarbeitenden Trainings für das Remote Arbeiten anbieten. So ist etwa eine gute Selbstorganisation nicht nur für Mitarbeiter eine Herausforderung“, ist Lorenz überzeugt. „Führungskräften helfen vor allem Fortbildungen, die ihre psychologische Wahrnehmung schärfen. Etwa, ob ein Teammitglied, das zu Hause arbeitet, womöglich mental verloren geht oder wie gut das mobile Team tatsächlich funktioniert.“ Auch alte Verhaltensmuster müssten abgelegt und das Bewusstsein der Führungskräfte dafür sensibilisiert werden, dass gerade Eltern im Homeoffice auch mal nicht erreichbar seien, weil sie den Nachwuchs aus dem Kindergarten abholten.
Für Chef und Chefin ist das eine enorme Herausforderung. „Die Individualität der Mitarbeiterbedürfnisse hat zugenommen, mit und ohne Kind. Teams werden in ihrer Arbeitsweise immer heterogener, die Bewertung von Leistungen, Boni und Aufstiegschancen immer herausfordernder“, beobachtet Lorenz. Doch auf solche vermeintlich weichen Kriterien wurde bei der Auswahl der aktuellen Führungskräfte, erst recht bei älteren Semestern, in der Vergangenheit oft nur wenig Wert gelegt. Da zählten vor allem das richtige Netzwerk, fachliche Expertise und Durchsetzungsvermögen.

Doch um es mit Albert Einstein zu sagen: „Nicht alles, was zählt, kann man zählen. Und nicht alles, was man zählen kann, zählt.“

Ähnliche Artikel