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Personal > Gleichberechtigung bei MINT-Berufen

Die Macht der Stereotype

Viel zu wenige Frauen studieren MINT-Fächer. Das hat nichts mit Talent zu tun, sondern vor allem mit Rollenbildern.

Mädchen spielen mit Hula-Hoop-Reifen. Jungs gelten als Draufgänger. Schon den Kleinsten werden Eigenschaften zugeordnet.

„Ich dachte, wir wären schon viel weiter“, zürnt Charlotte Helzle. Die Ingenieurin und Unternehmerin hat bereits in den 70er-Jahren gegen überkommene Rollenmodelle gekämpft und gewonnen. Vor Kurzem übergab sie die Geschäftsführung des Aalener Familienunternehmens Hema Electronic an ihren Sohn Oliver. Helzle ist nah dran an jungen Menschen – und sie sieht eine Rückkehr überwunden geglaubter Rollenbilder. Ihre Erkenntnis: „Mädchen sollen vor allem wieder schön und angepasst sein. Intelligent und ehrgeizig bringt auf Instagram ja keine Likes. Während bei den Jungen gar kein Zweifel besteht, dass sie später Geld verdienen und Verantwortung übernehmen.“ Sie sieht kluge junge Mädchen um sich herum und staunt: „Viele träumen immer noch völlig realitätsfremd von der Versorgerehe.“ Die Unternehmerin analysiert aber nicht nur, sie handelt. Das fordert sie auch von Eltern, Lehrern und Unternehmen.

Die Hirnforscherin Iris Sommer beschreibt in „Gehirn, weiblich“ die Macht dessen, was sie Stereotype nennt. Deren Erkenntnis: Abgesehen von der Beschaffenheit des weiblichen Gehirns werden Menschen von ihrer Umgebung geprägt. Die Gesellschaft – einschließlich der Eltern – behandelt Jungen und Mädchen unterschiedlich. Zwar ändert sich das, aber Stereotype bilden sich immer noch. Einige Berufe gelten als typisch männlich, andere als typisch weiblich, und das jeweils andere Geschlecht muss hart kämpfen, dort akzeptiert zu werden. Männliche Hebammen werden von einer werdenden Mutter im Kreißsaal ähnlich angeschaut wie weibliche Lkw-Fahrerinnen auf dem Rastplatz. Frauen werden bevorzugt, wo Fürsorge und Einfühlungsvermögen gefragt sind, während Männern eher Entscheidungsfreude nachgesagt wird. Dabei gibt es im Sinne der Gehirnforschung keinen Anlass für solcherlei Klassifizierungen.

Etwas läuft also falsch. Womöglich sogar schon in der Schule?

Das wollten im vergangenen Jahr Forscherinnen der Internationalen Hochschule (IU) Erfurt wissen. Denn Jungen sind während der Grund- und Sekundarschulbildung kein bisschen besser in Mathe oder Informatik als ihre Klassenkameradinnen. Denen werden allerdings seltener relevante Fähigkeiten für Technik- und naturwissenschaftliche Branchen zugesprochen als den männlichen Klassenkameraden.

Schon das erste Ergebnis der Studie „MINT-Bildung. Was junge Frauen darüber denken“ ist ein Schlag ins Kontor für Schulen, Ausbildungsbetriebe und Hochschulen. 70 Prozent der befragten Schülerinnen hatten ein persönliches Interesse an den Disziplinen Mathe, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik. Aber 40 Prozent befürchteten Schwierigkeiten und Überforderung schon in der Ausbildung. Nur 14 Prozent hielten sich für ausreichend vorbereitet auf ein technisches Studium, 16,2 Prozent waren es in Informatik. Knapp 45 Prozent fanden die MINT-Fächer und deren Vermittlung in der Schule trocken und langweilig.

Die Forscherinnen leiten Handlungsempfehlungen ab. Schulen sollten mehr Orientierung wie Praktika und Mentorenprogramme für die Berufs- und Studienwahl anbieten, Unternehmen mehr Girl’s Days. Ausbildungsbetriebe am Puls der Zeit erreichen auf Instagram, TikTok und Facebook ihre Zielgruppe – Hauptsache, digital. Die Folgen mangelnder Begeisterung für die MINT-Fächer sieht man an den Hochschulen. Dort liegt der Frauenanteil bei Bachelorabschlüssen in Technikfächern hierzulande nur bei 22 Prozent – zehn Prozentpunkte unter dem EU-Schnitt.
Effizienteres Gehirn

Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung der Frauen in MINT-Berufen: Es mangelt dem Nachwuchs an weiblichen Vorbildern. Die hätten enormen Einfluss auf die Berufswahl, stellen die Wissenschaftlerinnen aus Erfurt fest. Aber: Nur wenige der befragten Schülerinnen hatten eine Freundin oder weibliche Verwandte, die in technischen Berufen arbeite. Schlimmer noch: Mehr als ein Drittel kannte gar keine Frau mit MINT-Beruf.
„Wir arbeiten immer noch mit Stereotypen und kultureller Befangenheit“, sagt Henning Soller, Partner der Beratungsfirma McKinsey. Zum Beispiel in Konferenzen: Frauen erhalten – trotz einer etwas besseren Sprachkompetenz – seltener das Wort als Männer. Und sie werden häufiger unterbrochen. Solche genderstereotypen Verhaltensweisen sind auch der Grund, warum gemischte Teams in Studien nicht per se besser abschneiden als solche, die nur aus Männern oder Frauen bestehen. Es kommt immer darauf an, wie die Mitglieder einer divers aufgestellten Gruppe miteinander umgehen.

Hirnforscherin Sommer hat die Biologie hinter den Verhaltensmustern ins Visier genommen. Sie schreibt: Wenn das weibliche Gehirn ein Auto wäre, wäre es wohl ein Sportflitzer. Das männliche wäre ein SUV – größer, aber nicht schneller. Frauen liegen bei IQ-Tests gleichauf. Frauen haben zwar weniger Gehirnzellen, aber diese stellen mehr Verbindungen zu anderen Nervenzellen her. Zudem gleichen Frauen die geringere Gehirnmasse unter anderem durch eine höhere Verbrennungsrate pro Kubikzentimeter Hirnvolumen aus. Um den Autovergleich zu bemühen: Der Tank ist kleiner, aber bei effektiverer Nutzung des Sprits kommt man genauso weit. Und ja: Frauen verfügen im Schnitt über einen leicht größeren Wortschatz und reden tatsächlich schneller als Männer – wenngleich der Unterschied deutlich geringer ist, als manche Männer glauben wollen.

Das bei Männern stärker ausgeschüttete Hormon Cortisol lässt sie heftiger als Frauen auf Stress reagieren.

Frauen sind also das deutlich coolere Geschlecht. Dank ihres Östrogens schätzen sie zudem Risiken besser ein. Angetrieben vom Testosteron und dem Bedürfnis nach Belohnung nehmen Jungen und Männer deutlich höhere Gefahren auf sich. Doch gerade an dieser Stelle spielen Stereotype eine enorme Rolle: Während viele Eltern Jungs eher zum Abenteuer ermuntern, bieten sie Mädchen eher Hilfe an.

Unternehmerin Helzle sähe mehr Unterstützung für Mädchen und junge Frauen lieber an anderen Stellen. „Ich gehe in Schulklassen, berichte aus meinem Leben und von meiner Arbeit als Unternehmerin. Das Interesse ist groß. Auch Ausbildungsbetriebe sollten viel öfter in den Schulen begeisternd von ihrer Arbeit berichten.“ Langfristig gehe es auch um das Image der MINT-Berufe. „Viele Eltern, Schulen, Ausbildungsbetriebe und Hochschulen können Mädchen immer noch nicht vermitteln, dass, wer Technik liebt, noch lange kein Nerd ist“, sagt Helzle. Techniker müssten stattdessen kreativ und teamfähig sein, weil niemand allein eine funktionsfähige Lösung konstruieren kann. „Und noch einen gerade für junge Frauen wichtigen Punkt müssen die Unternehmen besser vermitteln: Techniker haben eine zutiefst sinnvolle Arbeit. Sie schaffen neues Wissen. Nur Technik hilft uns dabei, unsere ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlagen zu bewahren.“

 

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