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Personal > Fachkräftemangel

Internationale Rekrutierung: Erfolgsmodell für die deutsche Wirtschaft

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, setzen deutsche Firmen auf internationale Rekrutierung. Trotz Bürokratie zahlt sich die Integration langfristig aus.

Hilfe aus Mittelamerika: Jairo Galmadez (l.) und ­Francisco Jemenez aus El Salvador machten die Ausbildung zur Pflegekraft in der Lutherstadt Wittenberg und arbeiten dort jetzt auch. (Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow)

Nebelschwaden wabern über die schwäbische Provinz. Ein typischer Herbsttag in dieser ländlichen Gegend, wo die Leute gegenüber Fremden wie die grau-trübe Gegend wirken: rau und eher abweisend.

Ausgerechnet hier nach Rottenacker, einem ­Flecken knapp 30 Kilometer südwestlich von Ulm hat es Danica Sias und Kamva Somyali verschlagen. Die beiden 19-Jährigen sind Ende August aus der südafrikanischen Metropole Kapstadt in die 2000-Einwohner-Gemeinde gezogen. Sie haben sich in einem harten Auswahlverfahren durchgesetzt und so zwei Ausbildungsplätze bei der Spedition Stöhr ergattert. 

„Es ist schon auch ein Experiment“, gibt ­Stephanie Stöhr zu. Die Prokuristin hofft aber, dass die beiden Jugendlichen in dem mittelständischen Logistikunternehmen einen langen Karriereweg einschlagen und dem Familienbetrieb viele Jahre die Treue halten.

Die beiden haben bereits Deutschkenntnisse mit Level B1 mitgebracht und könnten auch zur Uni. Die kostet jedoch in der Heimat 4500 Euro im Jahr – unerschwinglich. „Ich habe deshalb meine Chance in Deutschland gesucht“, sagt Somyali mit entschlossenem Blick. 

 

In der schwäbischen Spedition beginnen die beiden Südafrikaner mit einer Ausbildung zum Fachlageristen. In der Zeit sollen sie ihre Sprachkenntnisse verbessern und sich einleben. Chefin Stöhr lässt aber schon durchblicken, dass sie den beiden jungen Leuten wesentlich mehr zutraut. Hier wird deutlich: Wer das Fachkräfte-Problem mit Bewerbern aus dem Ausland lösen will, braucht einen langen Atem. Bis der neue Mitarbeiter an Bord ist, vergehen viele Monate. „Dieser Weg bringt keine kurzfristigen Lösungen. Es ist vielmehr eine strategische Entscheidung“, unterstreicht Ingrid Kirchner, die Firmen bei der IHK Ulm gemeinsam mit vier weiteren Mitarbeitern in diesen Fragen berät.

Hürden und Frust

Die Kammer war vor zehn Jahren die erste in Baden-Württemberg, die ein Welcome-Center eingerichtet hat, um Betriebe und ausländische Interessenten zusammenzubringen. Hier können sich vor allem kleine und mittelständische Unternehmen beraten lassen, wie sie den langen Weg bis zum neuen Mitarbeiter aus einem Staat außerhalb der EU bewältigen können. Denn bis zu diesem Ziel hält die deutsche Bürokratie eine Vielzahl von Hindernissen bereit, die schnell Frust bei Betrieben wie Bewerbern auslösen können.

Das erstaunt, denn der Fachkräftemangel in Deutschland ist nicht neu. So gehen allein dadurch regelmäßig 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum verloren. Jedes Jahr müssten rund 400.000 Zuwanderer ins Land kommen, um die offenen Stellen zu besetzen. Dabei werden die Lücken immer ­größer, denn die Generation der Babyboomer steht vor dem Ruhestand. Allein im Kammerbezirk Ulm, einer der wirtschaftlich besonders dynamischen Regionen, suchen die Betriebe 23.000 Leute.

Doch trotz aller Versprechungen der Bundesregierung, etwas zu ändern, sind die Hürden hoch geblieben. So sind die Behörden weiterhin nur unzureichend miteinander vernetzt. Entsprechend wandern viele Papiere von Amtsstube zu Amtsstube.

Größtes Problem bleibt weiterhin die Anerkennung von Qualifikationen der begehrten Fachkräfte. Die Behörden erwarten einen schriftlichen Nachweis einer Berufsausbildung. Die Logik ist nicht immer nachvollziehbar: So kann ein gelernter Maurer in einer Küche arbeiten. Ein im Ausland über Jahre hinweg angelernter Koch aber nicht.

Hinter vorgehaltener Hand klagen viele Mittelständler, dass die vielen Verordnungen des Ausländerrechts derart verzwickt sind, dass selbst die Sachbearbeiter in den Behörden damit überfordert sind – und lieber kein Risiko eingehen, also eher ablehnen.

Viele Kammern kennen diese Probleme und beraten jene Mittelständler, deren Entwicklung gefährdet ist, weil ihnen die Leute fehlen. Sie helfen bei der Suche nach Wegen durch den Bürokratiedschungel und sprechen mit den Zuständigen bei Ausländerbehörden oder der Bundesagentur für Arbeit. Die IHK-Berater vermitteln auch Kontakte beispielsweise zu den deutschen Außenhandelskammern, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und verweisen auf Dienstleister, die beispielsweise Visaverfahren vor Ort begleiten. Denn auch damit wären die meisten Betriebe überfordert.

Den Weg der beiden Jugendlichen aus Kapstadt nach Oberschwaben hat Dienstleister Michael Kreutle geebnet, der über seine aus Südafrika stammende Frau gute Verbindungen ans Kap der Guten Hoffnung hat. „Wir haben einen guten Kontakt zur Botschaft, da bekommen wir viele Formalitäten schnell gelöst.“ Gleichwohl haben die ersten Vorbereitungen bereits vor einem Jahr mit dem internen Auswahlverfahren an der High School begonnen. Dabei wurde den Interessenten auch genau erläutert, welche Tätigkeit sie tatsächlich in Deutschland erwartet. „Das ist sehr wichtig, sonst kommen die Leute mit völlig falschen Erwartungen und sind auch schnell wieder weg“, erläutert Kreutle.

Für Chefin Stöhr und Ihre Personalverantwortliche Merve Sahin waren tatsächlich deutlich mehr Vorbereitungen nötig als bei anderen Auszubildenden. „Wir haben beispielsweise unser Team auf die Neuen vorbereitet“, sagt die Prokuristin. Auch eine Unterkunft zu finden, ist in der schwäbischen Provinz nicht so einfach. Da war Stöhr selbst lange aktiv. Die Unterkunft wurde jetzt erst fertig. Bisher lebten die beiden Südafrikaner im Hotel. Die jungen Leute bekommen einen Zuschuss für das Deutschland-Ticket, mit dem sie zur Berufsschule nach Neu-Ulm fahren können und auch sonst mobil sind. Den erhalten die anderen Auszubildenden inzwischen ebenfalls. „Wir wollten gar keine Neid-Diskussion aufkommen lassen“, erklärt Sahin.

Hilfe auch im Privatleben

Die Bemühungen des Logistikspezialisten, der mit 360 Mitarbeitern 40 Millionen Euro umsetzt, gehen aber weit über die Arbeit hinaus. Stöhr hat beispielsweise auch Kontakte zu Vereinen geknüpft, um den jungen Südafrikanern die Integration im Alltag zu erleichtern. „Ich beginne demnächst mit Reiten“, erzählt die 19-jährige Sias und strahlt. Ihr Kollege ist bereits in einem Boxverein untergekommen und kickt in einer Nachbargemeinde. „Die haben mich sofort gut aufgenommen“, sagt Somyali, der davor Deutschland nur vom Sprachkurs kannte.

Solch umfangreiche Vorbereitung und Zusatzbetreuung sind aus Sicht der Experten dringend notwendig, soll die Integration der Neuen langfristig erfolgreich sein. Darauf müssen sich die Betriebe einstellen. IHK-Spezialistin Kirchner räumt auch gleich mit einer weiteren Vorstellung vieler Mittelständler auf: „Im Ausland den fertigen Spezialisten zu finden, ist eine Utopie.“ Es brauche im Unternehmen also Prozesse, um die Wissenslücken schnell zu schließen. Oft fehle es an der nötigen Praxis, denn das duale System in Deutschland ist in den meisten anderen Staaten unbekannt. Zudem müsste sich auch die Grundeinstellung der Betriebe für eine internationale Belegschaft weiterentwickeln.

Diesen Wandel hat die Cteam Gruppe aus Ummendorf bei Biberach schon vollzogen. Das Unternehmen berät, plant, erstellt und wartet mit 1500 Beschäftigten Hoch- und Höchstspannungsleitungen sowie Mobilfunkmasten. Zuletzt hat das Unternehmen, das auch in Frankreich, Luxemburg und Österreich aktiv ist, 435 Millionen Euro umgesetzt. „Durch die Energiewende wachsen wir sehr schnell und brauchen pro Jahr etwa 100 zusätzliche Mitarbeiter“; sagt Alexander Nagl, Bereichsleiter Personal.

Gesucht werden vor allem Monteure, die quer übers Land neue Leitungen errichten. Das Beispiel zeigt: Der Mangel an Arbeitskräften reicht weit über die Spezialisten in IT, Pflege oder Fahrer hinaus. „Wir brauchen viele zupackende Hände, die oft aus verwandten Berufen wie Elektriker oder Gerüstbauer kommen.“

Cteam hat ganze Mannschaften von Monteuren aus Österreich, Portugal, Lettland oder den Balkanländern zusammengestellt, die miteinander in ihrer Sprache arbeiten. „Viele fahren dann am Wochenende wieder nach Hause oder wir ermöglichen es, dass sie für mehrere Tage wieder in die Heimat fahren können“, erklärt Nagl. Das Unternehmen sei komplett international aufgestellt. Informiert wird mehrsprachig. „So wird auch die Betriebsversammlung simultan in verschiedene Cteam-Sprachen übersetzt“, sagt der Personal-Experte, der merklich stolz hinzufügt: „Wir verstehen das als eine Wertschätzung ­unserer Mitarbeiter.“

Mitarbeiter aus 20 Nationen

Eine Belegschaft aus mehr als 20 verschiedenen Nationen, in der viele kein Deutsch beherrschen, stellt die Personalabteilung vor Aufgaben, die Mittelständler so kaum kennen. Nagls Kollegen begleiten die Mitarbeiter auch bei Arztbesuchen oder Behördengängen. Sie sind aber auch aktiv daran beteiligt, die Monteur-Mannschaften zusammenzustellen. „Wir achten darauf, dass Nationalitäten und Kulturen zueinander passen und es keine unnötigen Spannungen gibt.“ Der zusätzliche Aufwand rund um die ausländischen Beschäftigten sorgt bei den inländischen Mitarbeitern nicht für Neid, wie Nagl versichert: „Die spüren, dass ihre Kollegen große Entbehrungen auf sich nehmen, um bei uns zu arbeiten, während sie selbst am Wochenende zu ihren Familien können.“

Das schnell wachsende Unternehmen stößt inzwischen bei der Rekrutierung in Europa an seine Grenzen. „Wir prüfen deshalb, ob wir Personal in Brasilien oder Peru finden können“, bestätigt Nagl. Auf die Personaler kommen nun neue Herausforderungen zu. Denn Mitarbeiter aus Südamerika werden sich in Deutschland niederlassen und auch ihre Familien mitbringen. Sie brauchen also Wohnungen und eine umfassende Betreuung im Alltag, Zugang zu Schulen und Freizeitaktivitäten. Ob es so weit tatsächlich kommt, lässt Nagl noch offen. „Wir tasten uns jetzt heran und prüfen, ob wir die bürokratischen Hürden nehmen können.“ Im Inland ist das Unternehmen schon einmal am Ausländerrecht gescheitert. Hier hatte man die Idee, „zupackende Hände“ unter den vielen Asylbewerbern zu rekrutieren. Offenbar verspricht die Suche zwischen Rio und Lima mehr Erfolg.

Aber auch die ausländischen Beschäftigten müssen sich auf neue Bedingungen einstellen, wenn sie in Deutschland leben und arbeiten. Manchmal wundern sie sich über Details, die hierzulande gar nicht auffallen. „Die Leute schauen einen sehr intensiv und durchdringend an. Das kenne ich von meiner Heimat nicht“, erzählt Somyali. Auch seine Kollegin Sias wundert sich „Hier ist vieles noch sehr analog. Bei uns ist der Alltag schon wesentlich digitaler.“

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