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Personal > Regierungswechsel

Die schwere Erblast des Problembärs

Wirtschaftsminister Altmaier gilt für viele als die Fehlbesetzung in Merkels Kabinett schlechthin. Er hinterlässt der neuen Bundesregierung eine lange Liste unerledigte Aufgaben. Seinen Job hat er dennoch erledigt: Strippenzieher und verlängerter Arm der Kanzlerin.

Wenn Peter Altmaier auftritt, zieht er nicht nur wegen seiner massigen Gestalt schnell die Aufmerksamkeit auf sich. Das 63-Jährige kann reden und schafft es mit seiner jovialen Art, die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Der Mann ist seit 1976 Vollblutpolitiker und ein versierter Kommunikationsprofi. Er weiß ganz genau, welche Tasten er drücken muss, um das jeweilige Publikum für sich zu gewinnen. Altmaier bedient sich deshalb seit gut zehn Jahren auch Twitter, um breiten Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen. Und die Hintergrundgespräche mit Journalisten des Berliner Politikbetriebs waren lange Jahre begehrter Quell für Informationen und Einordnung – und subtiler Einflussnahme.

Kommunikator Altmaier ist aber auch ein mit allen Wassern gewaschener Strippenzieher über die Parteigrenzen hinweg. Altmaier zählt zu jenen CDU-Politikern, die sich noch in Bonn heimlich mit den grünen Kollegen beim Nobelitaliener "Sassella" zum Meinungsaustausch getroffen haben. Dort im Kellerraum, der nur durch die Küche erreichbar war, saßen dann mit Altmaier, Ronald Pofalla, Norbert Röttgen und Eckard von Klaeden regelmäßig zusammen mit Cem Özdemir, Volker Beck, Rezzo Schlauch und Steffi Lemke. Die engen und vertrauensvollen Verbindungen der inzwischen legendären "Pizza Connection" bestehen bis heute.

Nicht zuletzt wegen seiner vermittelnden Arbeit im Hintergrund ist er für Angela Merkel über ihre lange Regentschaft hinweg immer so wertvoll gewesen. Altmaiers Fäden reichen zudem tief in die Kapillarenden des komplexen EU-Betriebs hinein. Auch dort ist er sehr gut vernetzt und gilt als detailreicher Kenner der Abläufe in Brüssel und Straßburg. Der Sohn eines Bergmanns und einer Krankenschwester ist selbst EU-Beamter. "Nur beurlaubt", wie er immer mal wieder betont hat, um anzudeuten, dass es notfalls eine Rückfall-Lösung gibt, sollte es in Berlin mal schief gehen.

Merkels Allzweckwaffe

Altmaier ist Merkels Allzweckwaffe. Die Kanzlerin hat ihren Duzfreund immer da hingeschickt, wo es galt, ihre Position abzusichern: ob als parlamentarischer Geschäftsführer, oder später als Minister für Umwelt, Kanzleramt oder zuletzt für Wirtschaft. Der Jurist war 2015/16 auch der zentrale Ansprechpartner für die zugespitzte Flüchtlingslage. Also jener, der Merkels Versprechen "Wir schaffen das" am Ende einlösen musste und zuletzt auch hat. Altmaier ist in all diesen Positionen immer der verlängerte Arm der Kanzlerin gewesen. Drum ist seine Bilanz als Wirtschaftsminister auch die Summe der ökonomischen Politik von Angela Merkel.

Man kann zum Abgesang anstimmen, denn Peter Altmaiers Tage im Wirtschaftsministerium sind gezählt. Sobald die "Ampelparteien" sich zusammengerauft haben wird er seinen Posten räumen. Der Saarländische Jurist wird sich dann auch nicht mehr im Bundestag Blicken lassen. Vergangene Woche hat er zusammen mit Annegret Kramp-Karrenbauer den Verzicht auf das Bundestagsmandat erklärt. Altmaier verlässt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Das Land mit Öl, Strom und Gas zu versorgen ist eine Aufgabe, die Altmaier schon 2012 als Umweltminister übertragen wurde. Er sollte die Energiewende nach Fukushima umsetzen.br>

Zehn Jahre später bleibt die Feststellung, dass die Energiewende nur Stückwerk geblieben ist. Zwar ist der Ausstieg aus der mehrheitlich ungeliebten Kernenergie in vollem Gange. Damit hat Merkel den Grünen ein wichtiges Thema genommen. Gelungen ist auch, dass die Aufwendungen für die EEG-Abgabe wieder eingefangen wurden, die zwischenzeitlich unkontrolliert durch die Decke schoss. Erst vor wenigen Tagen konnte Altmaier eine Absenkung der EEG-Abgabe verkünden. Doch eine Alternative zur Atomwirtschaft ist nur ansatzweise gelungen. Vor wenigen Wochen war Kohle sogar mit einem Anteil von 50 Prozent der wichtigste Energieträger, weil nicht genug Strom durch erneuerbare Quellen erzeugt wurde. Der mangelhafte Ausbau von Wind, Solar und Biogas wird als "Altmaier-Delle" in die Geschichtsbücher einen Platz finden.br>

Völlig ungelöst ist die Frage, wie denn in wenigen Jahren Millionen von Elektroautos versorgt werden sollen. Will man das Land flächendeckend elektrifizieren, müsste die Kapazität um mindestens 60 Prozent erhöht werden. Passiert ist aber nichts. Im Gegenteil: Mangels eines ausreichenden Angebots zahlen die Deutschen Unternehmen und Verbraucher die höchsten Strompreise in ganz Europa. Ein klarer Wettbewerbsnachteil, den ein Wirtschaftsminister über die Versorgungssicherheit hinaus hätte angehen müssen. Ebenfalls ausgeblendet haben Merkel und Altmaier die Versorgung mit Wasserstoff, womit künftig Lastwagen, Schiffe oder die energieintensive Industrie klimafreundlich versorgt werden soll. Altmaiers Nachfolger darf sich hier auf einen Berg unerledigter Infrastrukturaufgaben freuen.

Fortschritt? Fehlanzeige

Aber auch den Umbau der Wirtschaft hat Altmaier mehr verwaltet als wirklich vorangetrieben. Mit seinem Papier zur "Nationalen Industriestrategie 2030‘", das er 2019 vorstellte, löste er sogar eine Welle der Empörung aus. Im Grundsatz setzte der Saarländer auf große Konzerne, die auf Augenhöhe mit Amazon, Google und Microsoft um die Fleischtöpfe der Weltwirtschaft ringen sollten. Der Mittelstand spielte in Altmaiers Industrie-Vision hingegen keine Rolle. Kein Wunder, dass der Verbandschef der Familienunternehmen, Reinhold von Eben-Worlée, den Minister als krasse Fehlbesetzung betitelte. Auch Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger sprach vom schlechtesten Minister in Merkels Kabinett. Der schwergewichtige Minister gilt bei vielen als der "Problembär im Kabinett".

Tatsächlich versäumte es Altmaier - somit am Ende auch Merkel - den eigentlichen Motor der deutschen Wirtschaft zu fördern: den Mittelstand. Dort ist jeder zweite Arbeitsplatz angesiedelt und jeder dritte Euro wird dort verdient. Ganz zu schweigen von guten Rahmenbedingungen für Unternehmensgründer, also jenen, die die Wirtschaft von morgen und übermorgen am Laufen halten werden. Zwar hat Altmaier erkannt, dass der größte Konkurrent nicht mehr die USA sondern China ist und er spricht es offen aus. Doch während Peking massiv in neue Technologien investiert, zeigt Berlin auf die Wirtschaft. So funktionieren viele Netzwerke zwischen Start-ups, etablierten Konzernen und Hochschulen eher trotz Wirtschaftsministeriums als mit.

Wichtige Entlastungen wie eine umfassende Unternehmenssteuerreform oder ein im Grundgesetz verankerter Sozialabgabendeckel blieben genauso Ankündigungen wie der immer wieder versprochene Bürokratieabbau oder die Unterstützung von Forschung und Entwicklung. Immerhin ist in diesem Jahr der Solidaritätszuschlag für die meisten Unternehmen endlich weggefallen. Die Klagen der Unternehmen, es fehlten hunderttausende Fachkräfte, wurden bestenfalls zur Kenntnis genommen. Was die Unternehmen aber benötigen ist ein langfristig ausgerichtetes Einwanderungsverfahren. Und einen beherzten Schub zum technologischen Umbau der Wirtschaft. Zwar fördert Berlin inzwischen den Ausbau der Batteriefertigung, den Aufbau der Quantentechnologie, die europäische Cloud Gaia-X und die Weiterentwicklung von wichtigen Softwarestandards. Am Ende sind dabei aber eher die großen und nicht die kleinen- und mittelständischen Unternehmen beteiligt. Die laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Unbestrittene Meriten hat sich Altmaier hingegen in der Corona-Krise verdient. Zusammen mit Finanzminister Olaf Scholz wurden mehr als 120 Milliarden Euro in die deutsche Wirtschaft gepumpt und dafür gesorgt, dass es bisher zu keiner Pleitewelle oder zu Massenentlassungen gekommen ist. Das hat für Sicherheit und Vertrauen im Land gesorgt. Wobei auch hier die Stoßrichtung klar war: je größer das Unternehmen, desto mehr Aufmerksamkeit bekam es aus Berlin. Kleine Betriebe und Selbständige wurden nach monatelangem Warten mit Krümel abgespeist. Viele haben inzwischen entnervt aufgegeben.

Ob die neue Bundesregierung Altmaiers Erblast abträgt, bleibt allerdings fraglich. Denn Merkels Vertrauter im Wirtschaftsministerium hat im Sinne seiner Kanzlerin vor allem eins gekonnt: verhindern. Ansinnen der SPD die Vermögenssteuer wieder einzuführen, oder die Steuern zu erhöhen, habe er vereitelt, betont er stolz. Und die Sozialabgaben seien unter 40 Prozent geblieben. Als Altmaier vergangene Woche seinen Rückzug ankündigte, gab er seinen politischen Nachfolgern eine Weisheit mit auf den Weg: "Erneuerung ist möglich. Man muss sie nur wollen."

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