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Management > Von Menschen und Märkten

Entwicklungssprung

Wer Entwicklungsländer erobern will, versucht es oft mit simplen Produkten und Lösungen von gestern. Versucht es doch mal mit dem Gegenteil.

Der Eindruck trügt. Noch heute fahren unzählige Peugeot-, Citroen- oder Mercedes-Autos vergangener Jahrzehnte über afrikanische Straßen; finden sich in indischen Nähstuben an der Straße die längst ausrangierten Nähmaschinen europäischer Herkunft. Eine Textilfabrik im heutigen Bangladesch erinnert an die verblichenen Fotos europäischer Produktionsstätten von vor hundert Jahren.

Schon der Begriff „Entwicklungsland“ trägt es in sich. Wir die Entwickelten, dort die sich Entwickelnden. Wir leben die wirtschaftliche Entwicklung vor, die Entwicklungsländer folgen nach. Das führt dazu, dass unser Altes, Überschüssiges, bestenfalls Aktuelles in den neuen Märkten zum Verkauf angeboten wird.
Die typische Formel für Entwicklungsländer lautet: Das bestehende Business Model minus Unzulänglichkeiten in Infrastruktur, Ausbildung, Kaufkraft. Damit wir trotz geringer Einkommen noch etwas verdienen, werden die Produkte simpler, vor Ort von Billiglöhnern produziert. Das ist in vielen Bereichen auch richtig – mehr in den Entwicklungsländern, etwas weniger in den Schwellenländern.

Technologiesprung

Aber andere Strategien werden wichtiger. Schon vor zwanzig Jahren konnte man in China beobachten, wie das „entwickelnde“ Land nicht mühselig ein Telefon-Festnetz aufbaute, sondern gleich in die Funk-Telefon-Ära gesprungen ist. Seitdem haben es viele andere Länder so gemacht. Ähnlich läuft es mit Mobile Payment, dezentraler Stromgewinnung und Versorgung, Elektrofahrzeugen und neuen Lösungen für Massentransport.

Ein großer deutscher Handelskonzern ist gerade dabei, in der Türkei seine Elektrohandelskette als Filialgeschäft aufzubauen. Doch wozu eigentlich? In Istanbul braucht man viel länger zur nächsten Filiale als in Frankfurt, weil man permanent im Stau steht. Außerdem haben alle potentiellen Kunden wegen des Wildwuchses der Stadt und den damit verbundenen Herausforderungen eh ein Mobiltelefon. Smartphones werden immer günstiger und leistungsfähiger. Warum also investiert das Unternehmen noch in Filialen, statt voll auf E-Commerce zu setzen und ein cleveres Abholstationensystem, das beispielsweise die weite Verbreitung von kleinen Läden als Distributionsnetz nutzt, aufzubauen?

Es sind nicht nur Produkte und Anwendungen der Zukunft, bei denen wir von den Entwicklungsländern lernen können. In Entwicklungsländern werden, weil qualifizierte Arbeitskräfte auch dort sehr teuer sind, die Konsumkraft in der Bevölkerung aber noch immer sehr niedrig ist, neue Produktionsmodelle für anspruchsvolle Tätigkeiten ausprobiert. In indischen Aravind-Augenkliniken führt ein Augenarzt rund 2.000 Operationen im Jahr durch – viermal so viele wie üblich. Qualifizierte Zuarbeiter und eine fabrikartig aufgebaute Krankenhausstruktur sind der Schlüssel zu dieser Produktivitätssteigerung.

Funktionierende Fernbeziehungen

Schlechte Infrastruktur verlangt nach dezentralen Systemen, die dennoch intensiv miteinander kommunizieren. Das führt dazu, dass beispielsweise Kindernahrungsergänzungsmittel dezentral in kleinen, lokal geführten Fabriken hergestellt werden. Oder dass mobile Krankenhäuser über das Land fahren. Oder dass Unternehmen deshalb schon früh gelernt haben, über große Distanzen miteinander oder für ihre Kunden zu arbeiten. So ist es wohl nicht allein der Sprachvorteil gewesen, dass ausgerechnet im verkehrsinfrastrukturschwachen Indien anspruchsvolle, kontinentübergreifende Outsourcing-Leistungen erfolgreich angeboten werden. Längst werden nicht nur Call Center-Aufgaben, sondern auch wirtschaftsjuristische Dienstleistungen oder Zeitungslayout zentral erbracht.

Wir sollten uns solche Entwicklungen ganz genau anschauen – nicht nur, damit wir vor Ort Erfolg haben können, sondern weil diese neuen Geschäftsmodelle uns schon bald selbst Konkurrenz machen können. Wer in Entwicklungsländern Erfolg haben will, muss neue Wege beschreiten.

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