
Ein Industriegebiet in Ulm, vor einem Flachbau flattern rot-blaue Liqui-Moly-Fahnen, drinnen empfängt ein Unternehmer von besonderem Kaliber: Ernst Prost, der Motoröl-Fabrikant und Schrecken des Establishments. Herzhaft teilt der 61 Jahre alte Selfmade-Unternehmer aus gegen „Zockergesindel“ und „Finanzterroristen“. Seine Angestellten nennt er „Mitunternehmer“ und spendiert ihnen jedes Jahr eine „Siegprämie“. Ende 2017 hat Prost sein Unternehmen an den Schrauben-Milliardär Reinhold Würth verkauft.
Herr Prost, vor Jahren haben Sie sich einmal als „Anfangsmillionär“ bezeichnet. Vor einem halben Jahr haben Sie Ihr Unternehmen an Würth verkauft: Sind Sie jetzt ein „Anfangsmilliardär“?
Milliardär, geht’s noch? Nein, so viel ist es nicht. Aber ich darf jetzt immerhin einen dreistelligen Millionenbetrag versteuern. Aufgrund des Verkaufs der Firma überweise ich 40 Millionen Euro ans Finanzamt.

Dort wird man sich freuen.
Bestimmt. Das Geld von Herrn Würth hat seinen Weg in die Gesellschaft gefunden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Darüber bin ich happy. Ich jammere nicht über Unternehmenssteuern.
Steuern zahlen ist sexy, haben Sie mal gesagt.
Ja, klar. Die 40 Millionen Euro von mir bedeuten umgerechnet 50 Cent für jeden Deutschen, das ist doch klasse. Mir tut das nicht weh. Ich habe nie fürs Geld gearbeitet. Für die Anerkennung ja, für den Erfolg natürlich. Das Geld ist dann automatisch gekommen.
Warum haben Sie Ihr Unternehmen überhaupt verkauft?
Ich wollte, dass Liqui Moly Bestand hat, dass mit Firma und Arbeitsplätzen nichts passiert, wenn mir was passiert. Das habe ich jetzt geregelt, dieser Sicherheitsgedanke war mir schon vor 20, 25 Jahren wichtig. Deshalb habe ich mit der Firma Würth verschiedene Verträge abgeschlossen, die gegriffen hätten, wäre mir etwas zugestoßen. Im Gegenzug habe ich Würth Anteile an Liqui Moly über eine stille Beteiligung zugestanden.
Seit jeher preisen Sie Schraubenkönig Würth als Vorbild an – neben Mutter Teresa.
In beiden Fällen zu Recht. Beim Gutes-Tun ist Mutter Teresa absolut vorne dran. Und bei den Unternehmern kenne ich weltweit keinen, der so erfolgreich ist und dabei so bodenständig geblieben ist wie Reinhold Würth. Außerdem haben wir manches gemeinsam, etwa, dass wir beide viel Geld stiften.
Aber er druckt Kunstbände und Sie Kalender mit Fotos von nackten Frauen. Das ist ein Unterschied.
Och, das muss ja kommen. Immer diese Fragen nach den nackigen Mädels. Aus der Frauenwelt habe ich dafür nie einen Anpfiff bekommen, erst recht nicht von unseren Kunden. Aber gut, wir haben unsere Mädels bei den Aufnahmen für den neuen Kalender angezogen. So hatten wir es beschlossen.
Was machen Sie jetzt mit dem vielen Geld von Herrn Würth?
40 Millionen sind, wie gesagt, fürs Finanzamt weg, noch mal 30 Millionen Erbschaftsteuer zahlt mein Sohn, wenn ich eines Tages sterbe, was gut möglich ist. Vier Millionen gehen an meine Stiftungen. Und mir wird noch mehr einfallen, was man mit Geld Sinnvolles tun kann. Ich selbst brauche die viele Kohle definitiv nicht. 100.000 Euro gebe ich an die „Deutschland Stiftung Integration“, wo Angela Merkel Schirmherrin ist. Integration halte ich für wichtig, schließlich bin ich ja selbst ein Flüchtlingskind.
Wie war das damals in Ihrer Kindheit in Altötting?
Wir wurden schon als „Huflü“ bezeichnet.
Als Huflü?
„Hurenflüchtling“. Das ist heute noch ein gängiges Schimpfwort im Süden. Der Mensch ist nun mal eher so, dass er trennt – und nicht das Gemeinsame sucht. Das ist bei mir anders: Ich sehe im Unterschiedlichen das Ergänzende, das Belebende. Es muss nicht jeder Bayern-Fan sein und eine Lederhose tragen, um der heimischen Kultur zu entsprechen. Man muss andere Lebensmodelle, andere Religionen, andere sexuelle Orientierungen zulassen. Auf der anderen Seite müssen Flüchtlinge die Sprache lernen. Das ist das A und O. Rechnen, lesen, schreiben. Wie will man vorankommen, wenn man nichts weiß und nichts kann?
Woher kommt Ihr Ehrgeiz?
Antrieb kann man nicht anordnen. Das muss von einem selbst kommen. Es ist nur wichtig, dass in einem Land Entwicklungen wie meine möglich sind, dass einer aus armen Verhältnissen reich werden kann. Mit einem Staat als reiner Umverteilungsmaschine, die den einen Geld nimmt, um es nach Gutdünken zu verteilen, entwickelt niemand Ehrgeiz. Den Spitzensteuersatz für Millionäre kann die Politik gerne wieder raufsetzen. Es ist aber irre, wen das deutsche Steuerrecht alles als Spitzenverdiener einstuft: Angestellte, Handwerksmeister, kleine Unternehmer. Das zerstört die Lust auf Leistung.
Jetzt klingen Sie wie die FDP.
Wenn Sie mögen, kann ich auch reden, als wäre ich ein Grüner, weil ich für den Umweltschutz bin. Das Leben ist nicht schwarzweiß, sondern grau. Oder bunt. Bunt gefällt mir noch besser.
Ist der Aufstieg für junge Leute heute schwieriger als für Sie damals?
Zumindest lässt die Neigung nach, sich selbständig zu machen. Das finde ich sehr schade. Wir brauchen neue Unternehmer, nicht nur Großkonzerne oder gar Staatsbetriebe. Eine Firma zu gründen ist natürlich eine Last. Was heißt selbständig? Ich arbeite selbst und ständig. Dieser platte Spruch hat schon einen wahren Kern.
Das Unternehmen
Liqui Moly wurde 1957 von Hans Henle in Ulm gegründet und hat sich auf die Herstellung von Additiven, Schmierstoffen und Motorenölen spezialisiert. Ab 1990 übernahm Ernst Prost Firmenanteile, acht Jahre später wurde er Alleininhaber. Heute beschäftigt das Unternehmen 835 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von rund 530 Millionen Euro. Seit Ende 2017 gehört Liqui Moly zur Würth-Gruppe.
Warum haben Sie sich selbständig gemacht?
Weil ich keinen Chef über mir haben kann. Ich kann Obrigkeit schlecht ertragen. Das war schon in der Schule so. Außerdem wollte ich meine Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit umsetzen. Wenn ich heute meine Siegprämie verteile, dann fühle ich mich saugut.
11.000 Euro Bonus pro Kopf haben Sie dieses Jahr wieder ausgeschüttet, doppelt so viel wie Daimler.
Wenn die Leute das ganze Jahr schaffen wie die Brunnenputzer, dann haben sie das verdient. In Südafrika, wo wir eine Tochtergesellschaft haben, entspricht die Prämie zwei Jahresgehältern.
So viel Wohltätigkeit ist verdächtig. Warum behalten Sie das Geld nicht und gönnen sich etwas?
Ich brauche nichts. Wenn man zu viel Geld hat, macht es einem Sorgen, vielleicht macht es sogar krank. Es ist doch herrlich, wenn man mit Geld etwas bewirken kann. Ich fühle mich nie so gut wie an dem Tag, an dem die Bilanz erstellt wird, das ist der 14. Februar, mein Geburtstag. Da setzen wir das Rundschreiben mit der Prämie auf. Ohne die 11.000 Euro Prämie hätten wir 62 Millionen Euro Gewinn, so sind es 52 Millionen. Das ist doch völlig wurscht! Ich muss keine Aktionäre glücklich machen. Ich muss keine Vorstandsboni rausquetschen. Ich muss keine geldgeilen Private-Equity-Investoren vollstopfen, und ich muss keinen Zins an Banken zahlen, da wir keine Schulden haben. Deshalb gebe ich am Jahresende einen Teil der fetten Beute ab an meine Leute, die sie erarbeitet haben. Das ist für mich so logisch, wie es logischer nicht geht. Quasi alternativlos.
„Es ist doch herrlich, wenn man mit Geld etwas bewirken kann.“
Wird es mit den Gewinnen in Ihrem Geschäft denn ewig so weitergehen? Elektroautos brauchen bekanntlich kein Motorenöl.
Alles ist endlich. Als Unternehmer müssen Sie sich permanent anpassen an den Wandel. Meguin, unsere Tochterfirma im Saarland, wurde vor 160 Jahren gegründet, da war das Automobil noch nicht mal erfunden. Damals haben die dort Fette produziert für Pferdekutschen und Petroleum für Straßenlaternen. Ich bin sicher: Wir werden auch den nächsten technologischen Wandel begleiten, wenn wir uns nicht ganz dumm anstellen. Aber wer weiß, was in 10, 20 oder 100 Jahren ist?
War diese Ungewissheit auch ein Motiv für den Verkauf der Firma?
Überhaupt nicht. Wir lieben Herausforderungen. Das ist doch schön, wenn ich am Abend sagen kann: Problem gemeistert. Die Ungewissheit muss man positiv angehen. Jeden Tag tun sich neue Chancen auf, auch wenn ich nicht jeden Tag Halleluja-singend in die Firma reinmarschiere.
Was treibt Sie überhaupt noch jeden Tag ins Büro?
Die reine Lust. Ganz ehrlich.
Es gäbe auch andere Arten des Zeitvertreibs.
Klar, ich habe aber mittlerweile erkannt: Arbeit ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Das hätte ich früher nicht gedacht. Da habe ich mich aufs Motorradfahren gefreut, auf dieses oder jenes. Das tue ich immer noch, die Wahrheit aber ist: Ich brauche die Arbeit, sie verschafft mir einen Lustgewinn. Nicht das Geld wohlgemerkt, die Arbeit ist es, der Kampf, die Siege.
Sie sind abhängig von der Arbeit?
Ja, total. Das habe ich mit Erschrecken eingestehen müssen, als ich mit dem Gedanken gespielt habe, die Firma zu verkaufen. Da habe ich einsehen müssen, wie wichtig mir die Arbeit ist. Fast wie ein Suchtmittel. Ist aber nicht weiter schlimm, mache ich halt weiter.
Sie verspüren keinen Schmerz, dass die Firma Ihnen nicht mehr gehört? Für viele Familienunternehmer wäre dies der Horror.
Ja, ich weiß. Genau das wollte ich vermeiden. Ich wollte auch nicht festkleben, bis ich 80 oder 85 bin und sie mich entfernen vom Chefsessel und ich nichts mehr kapiere vor lauter Demenz.
Der dynastische Gedanke, Sinn und Streben vieler Familienunternehmer, ist Ihnen fremd?
Ich weiß, für viele ist dies das Wichtigste. Und dann kommen Kinder, die es vielleicht nicht so auf dem Kasten haben. Oder die nicht wollen. Ich liebe meinen Sohn zu sehr, als dass ich ihn in irgendwas hineinzwängen würde.
War Ihr Sohn nicht beleidigt, dass Sie mit Würth verhandelt haben?
Benjamin ist 25, ein junger Kerl, der sucht noch den eigenen Weg. Der guckt noch: Wo gibt es was zu trinken, wo sind die hübschen Frauen? Das ist gut so. Es gibt ein Leben vor dem Tod. Und es gibt was anderes als Motoröle und Additive. Das soll er genießen, dann sehen wir weiter. Die Geschichte kennt genügend Beispiele, wo die zweite oder dritte Generation alles zerstört hat.
Haben Sie Fehler gemacht – als Mensch oder als Unternehmer?
Ich habe mal zusammengezählt: In meinem Leben habe ich exakt 14.518 Fehler gemacht. Nein, im Ernst: Wichtig ist, dass die Gesamtbilanz passt. Und das Wichtigste überhaupt: Ich lebe immer noch, bin mit 61 noch bei Sinnen. Dafür danke ich dem Herrgott jeden Tag.
Wer Sie enttäuscht, der wird verstoßen. So wie der Manager, den Sie intern als „jämmerlichen Spesenbetrüger“ beschimpft haben sollen, weil er – so Ihr O-Ton – „hinterfotzig auf Firmenkosten mehr auf Lustreisen als auf Dienstreisen“ war.
Stimmt, das war so. Ich nenne die Dinge eben gerne beim Namen, schwäbisch-derb. Für manche Zeitgenossen ist das vielleicht zu hart formuliert. Erst gestern habe ich hier wieder einen geschüttelt, zu ihm „Schafseckel“, „Grasdackel“ und was noch alles gesagt.
Was muss denn passieren, damit jemand so von Ihnen beschimpft wird?
Wenn einer einen Fehler macht, habe ich kein Problem damit. Aber Faulheit ertrage ich nicht so gut. Wenn einer nicht mitzieht, der Verantwortung nicht gerecht wird, dann kriege ich einen Hals. In der Firma wie überhaupt. Wenn Leute sich die Taschen vollstopfen, sich nicht um andere kümmern oder ihren Egotrieb ausleben, dann bringt mich das auf die Palme.
Herr Prost, Sie leben im Schloss und geben den Kämpfer für die Armen – passt das zusammen?
Muss ich arm sein, um gegen Armut zu kämpfen? Was für ein Blödsinn! Warum sollte ein Schlossherr nicht für höhere Mindestlöhne sein? Ein Reicher mit Einfluss hat mehr Möglichkeiten, soziale Missstände zu bekämpfen. Die Arbeitskraft wird in Deutschland zu wenig honoriert, sonst brauchten wir keine Sozialtransfers, keine Aufstocker. Mit einem Mindestlohn von 8,84 Euro kann man nicht leben. Das sind 1.400 Euro brutto im Monat. Da sind schon die Mieten in Ulm oder Landshut höher.
Die Löhne müssen also rauf?
Eindeutig ja. Die Gewinne sprudeln in den deutschen Unternehmen, also gebt den Leuten ein anständiges Gehalt! Voraussetzung ist natürlich, dass jemand auch was dafür leistet. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen hat das deshalb auch nichts zu tun.
Mit dieser Idee können Sie nichts anfangen?
Gar nichts. Du musst was schaffen, dann sollst du ein gutes Geld verdienen. Wichtig ist: Jeder muss von seinem Lohn leben können. Bei dem Satz kriege ich immer Buhrufe von Unternehmern, die mir dann vorhalten: Du versaust unsere Preise, du treibst die Lohnkosten in die Höhe.
Was entgegnen Sie?
Dass sie nicht im Mercedes vorfahren sollen, um über den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit zu jammern. Wenn ich als Unternehmer den Leuten nicht genügend Geld zahlen kann, weil das Geschäft sich sonst nicht trägt, dann muss ich mir ein anderes Geschäft suchen. Oder bei mir selbst Abstriche machen. Ich kenne ganz wenige Unternehmer, die verarmen. Die meisten werden irgendwann Millionäre, Multimillionäre, Milliardäre.
Die Löhne sind in den vergangenen Jahren doch auch gestiegen.
Nur wo? Wenn Leute, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht anständig leben können, dann ist was faul im Staat. Nehmen Sie Krankenschwestern und Pfleger: Die Entlohnung für die Berufe ist ein einziger Skandal. Das Gesundheitssystem in Deutschland? Asozial! Das Pflegewesen? Asozial! Hör mir auf! Aber jetzt haben wir gar nicht über Motoröl und Additive geredet.
Das Interview mit Ernst Prost erschien erstmals in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 4. März 2018. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.