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Personal > Wachstumskritiker Niko Paech im Interview

„Früher oder später wird unser Wirtschaftssystem kollabieren“

Der Ökonom Niko Paech ist Deutschlands bekanntester Wachstumskritiker. Im Interview erklärt er, wieso Schluss mit Umsatzwachstum sein muss, wie das die Unternehmen verändern würde und weshalb politischer Zwang beim Umweltschutz nicht die Lösung sein kann.

Herr Paech, Sie gelten als Begründer der Postwachstumsökonomie. Weshalb brauchen wir aus Ihrer Sicht einen Wandel hin zu einem Wirtschaftssystem, das nicht auf Produktionswachstum beruht?

Bis heute sind alle Versuche gescheitert, das auf Wachstum basierende Wirtschaftssystem von ökologischen Schäden zu entkoppeln. Hinzu kommt: Immer mehr Menschen wünschen sich kürzere Arbeitszeiten als eine klassische 40-Stunden-Woche. Wenn weniger produziert werden muss, können die Menschen auch weniger arbeiten.

Dann verdienen sie aber auch weniger.

Natürlich, aber durch eine Reduktion des ohnehin ruinösen Mobilitäts- und Konsumniveaus ließe sich dies teilweise ausgleichen. Außerdem könnte die infolge der Arbeitszeitverkürzung freigewordene Zeit genutzt werden, um ergänzend zum geringeren Geldeinkommen eigenständige Versorgungsleistungen zu erbringen, etwa durch die Pflege, Reparatur und gemeinschaftliche Nutzung von Gegenständen. Dann müssten seltener neue Produkte gekauft werden. Wenn die Bewohner eines Wohnblocks etwa Waschmaschinen, Autos und Werkzeuge gemeinsam nutzen, können die Menschen mit deutlich weniger Geld einen angemessenen Lebensstandard halten. 

Welche Rolle spielen Unternehmen in der Postwachstumsökonomie?

In der Postwachstumsökonomie produzieren Unternehmen nur so viel Ware, wie benötigt wird, um einen ökologisch verträglichen, also geringeren Güterbestand zu erhalten, aber eben nicht zu erhöhen. Außerdem müssen die hergestellten Produkte eine deutlich längere Nutzungsdauer haben und vor allem reparabel sein. Zudem sind Verleihsysteme und der Gebrauchtgüterhandel ein weiteres postwachstumstaugliches Geschäftsfeld. Schließlich würden Unternehmen vermehrt Reparaturleistungen anbieten und Konsumenten dazu befähigen, kleinere Reparaturen selber zu übernehmen. 

 

Wie soll das gehen?

Im Preis eines Produktes sollte die Kunden die Teilnahme an einem Workshop oder Lehrgang enthalten sein, in dem die wichtigsten Praktiken vermittelt werden, um das Produkt selbst instand halten und reparieren oder wenigstens defekte Module austauschen zu können. Bei größeren Defekten kann sich der Kunde an den Produzenten oder regionale Reparaturdienstleister wenden, die die Schäden dann beheben.

 

Weshalb sollten Unternehmen das anbieten? Schließlich kaufen die Konsumenten dann weniger, was den Absatz der Unternehmen verringert.

Nicht wenige Unternehmer wollen Teil der Lösung ein, bekennen sich also zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, der CSR, und messen ihren Erfolg nicht mehr nur an betriebswirtschaftlichen Kennziffern, sondern an der Nachhaltigkeitsperformance. Weiterhin stellen immer mehr Kunden hohe Anforderungen an Nachhaltigkeit. Das heißt, wer sich als Unternehmen dieser Herausforderung stellt, erhöht die Kundenbindung, kann am Markt überleben und stärkt damit seine Fähigkeit, zukünftige Krisen zu überstehen. Denn wenn die Menschen weniger Kaufkraft haben, wählen sie zwangsläufig Anbieter aus, die sich für Nutzungsdauerverlängerung und Reparatur einsetzen. So können sie mit weniger Kaufkraft auskommen. 

Das Modell der Postwachstumsökonomie   

Als Postwachstumsökonomie wird eine Wirtschaft bezeichnet, die ohne Wachstum des Bruttoinlandsprodukts stabile Versorgungsstrukturen gewährleisten kann. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Produkte eine lange Nutzungsdauer haben und von den Konsumenten und Unternehmen repariert werden. Das Modell der Postwachstumsökonomie wurde 2007 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg der Öffentlichkeit präsentiert. Daran anknüpfend haben die Ökonomen Niko Paech und Werner Onken eine regelmäßig stattfindende Ringvorlesung zur Postwachstumsökonomie ins Leben gerufen.

 

Mehr als 200 Ökonomen, darunter auch Niko Paech, unterzeichneten 2018 einen offenen Brief an die Europäische Union, in dem die Unterzeichner forderten, dass die EU nicht länger abhängig von Wirtschaftswachstum sein dürfe. Gleichzeitig gibt es in der Wissenschaft aber auch Kritik an dem Modell. So kritisiert etwa der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Hermann Adam, dass die Postwachstumsökonomie den technischen Fortschritt der Gesellschaft nicht ausreichend berücksichtige. Dieser ermögliche es durchaus, dass mehr Güter produziert werden könnten, ohne dass dies automatisch zu mehr Ressourcenverbrauch und damit zu mehr Belastung für die Umwelt führe. 

Es stimmt zwar, dass immer mehr Unternehmen und Konsumenten auf Nachhaltigkeit achten, das ist aber immer noch eine ziemlich kleine Minderheit, oder?

Ja natürlich, aber jeder Wandel wird von einer Minderheit begonnen, die in Nischen etwas Neues erprobt. Und wenn sich die neuen Praktiken in solchen Reallaboren bewähren und eine Lösung für die drängenden Problem bieten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere Teile der Gesellschaft diese Innovationen übernehmen – spätestens wenn die ökologischen Krisen immer sichtbarer werden. 

Sollte die Politik Ihrer Meinung nach in das Wirtschaftssystem eingreifen und beispielsweise den CO2-Ausstoß so hoch besteuern, dass Unternehmen mit hohen Emissionen nicht mehr wirtschaftlich tragfähig sind?   

Das könnte sie gar nicht. Schließlich würde eine Partei, die so etwas versucht, nicht mehr gewählt. Nur wenn ein hinreichender Teil der Bevölkerung ein postwachstumstaugliches Leben eingeübt hat und ertragen kann, werden Regierungen diese Tendenz aufgreifen. Umgekehrt wäre es politischer Selbstmord, wenn Parteien der Wählermehrheit vorschreiben wollen, was sie restlos überfordert. Rettung verspricht deshalb nur ein dezentrales Netz von Störenfrieden und sozialen Nischen, die mit neuen Lebensstilen und unternehmerischen Strategien jene Lösungen vorwegnehmen, die schrittweise vom Rest der Gesellschaft und dann auch von der Politik akzeptiert werden. 

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