Führungswechsel meistern: So gelingt der Start im Chefsessel
Neue Chefinnen und Chefs geben immer früher auf. Richtig vorbereitet, lassen sich Missverständnisse und Fehler vermeiden. Wichtig: Nicht alles geht sofort.

Von Thorsten Giersch
In Deutschland werden Top-Führungsjobs zum knappen Gut: Unternehmen und öffentliche Einrichtungen haben 2024 bundesweit rund 20 Prozent weniger Positionen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder ausgeschrieben als 2023. Der Berliner Personalmarktforschung Index Research und ihrer riesigen Stellenanzeigen-Datenbank zufolge waren es 45.000. Zwar tauchen dort viele Top-Jobs nicht auf, weil sie intern vergeben oder über persönliche Netzwerke und Headhunter besetzt werden, aber dennoch zeigt die Statistik klar, dass Unternehmen wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit vorsichtiger geworden sind und Spitzenpositionen deutlich seltener neu besetzen. Umso mehr sollen diejenigen, die einen Posten angehen, auch durchstarten.

Doch das gelingt offenbar immer weniger. Die durchschnittliche Verweildauer auf Spitzenpositionen sank zuletzt deutlich – derzeit hält ein neuer Chef im Schnitt weniger als vier Jahre durch, wie mehrere Personalberatungen berechnet haben. Ein wesentlicher Grund ist die enorm gestiegene Dynamik im Markt. Digitaler Wandel, disruptive Geschäftsmodelle oder neue Herausforderungen wie ESG-Auflagen erhöhen den Druck, schnell Resultate zu liefern. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen in der Transformation stecken.
Wer da als Chef die notwendigen Veränderungen nicht zügig vorantreibt, wird oft vorzeitig ausgetauscht. „Wenn spürbare Erfolge ausbleiben, ziehen Aufsichtsgremien oder Gesellschafter heute rascher Konsequenzen als früher“, sagt Marco Henry V. Neumueller, Partner und Gesellschafter bei der Personalberatung Odgers Berndtson. Gleichzeitig ist ein Generationenwechsel im Gange – junge Führungskräfte sind mobiler, und erfahrene Inhaber geben den Spitzenjob ab, was ebenfalls zu häufigeren Wechseln an der Spitze führt. Dieser „CEO-Verschleiß“ sei im Mittelstand entgegen dem Klischee keinesfalls weniger stark ausgeprägt als bei börsennotierten Unternehmen, meint Fachmann Neumueller. „Inhaberfamilien reagieren schnell, wenn die Chemie oder Performance nicht stimmt.“
Für neue Chefinnen und Chefs gilt es also, Vertrauen zu gewinnen, die anderen von ihrer Führungsstärke zu überzeugen. Aber wenn das so einfach wäre, würde es ja jeder machen. Studien zeigen, dass neue CEOs das Thema unterschätzen. Sie nehmen sich zu viele Themen in zu kurzer Zeit vor, ohne sich intern die notwendige Unterstützung gesichert zu haben. Sie stecken in einem Dilemma: Wenn eine neue Führungskraft – praktisch egal auf welcher Ebene – nichts Nennenswertes ändern will, macht sie sich angreifbar, keine Ideen zu haben. Wirft er oder sie zu viel in zu kurzer Zeit um, geht das in der Regel auch schief.
Ein Grund für die Tempofalle ist die Legende von den 100 Tagen. In der Praxis hänge es stark von der Ausgangslage des Unternehmens ab, wie viel Zeit man einem neuen Geschäftsführer gibt, sagt Experte Neumueller. „In Krisensituationen hat man häufig nur wenige Wochen, um entscheidende Weichen zu stellen. Da erwarten Gesellschafter oft schon nach 30 Tagen erste sichtbare Maßnahmen.“ In stabilen, langfristig orientierten Mittelstandsunternehmen hingegen sei man eher bereit, dem neuen Geschäftsführer einige Monate Zeit zum Eingewöhnen zu geben. „Die ersten 100 Tage sind wichtig, aber sie entscheiden nicht endgültig über Sieg oder Niederlage.“ Ein neuer Chef muss situativ handeln: Schnell dort, wo es nötig ist, aber auch geduldig zuhören und lernen, wo das Fundament tragfähig ist. Wichtig ist, früh kleine Erfolge zu erzielen und diese zu kommunizieren.
Ein durchdachter Einarbeitungsprozess hilft hier, im richtigen Tempo zu starten. Personalberater nennen einen Zeitraum von zwei Jahren, der nötig ist, um hinreichend Vertrauen aufzubauen. Damit ist die Fähigkeit gemeint, andere zu beeinflussen. Ein sozialer Wert, dessen Bedeutung man gerade in Krisenzeiten nicht hoch genug einschätzen kann.

Im Mittelstand ist das schwieriger, schließlich sagt die Dicke des Auftragsbuches nicht alles aus. Immerhin bekommen Chefinnen und Chefs in der Regel mehr Zeit als in der von Quartalsberichten getriebenen Börsenzunft. Wie lassen sich vom Gesellschafter bis zum Pförtner, vom Großkunden bis zum kleinen Lieferanten alle gewinnen? Fünf Eigenschaften sind entscheidend:
- Geschickt kommunizieren: Es gibt viele kluge Ratschläge für Führungskräfte. Ein wesentlicher für Führungskräfte lautet: „Mach, was du sagst.“ In den Wochen nach Amtsantritt geht es um Wahrhaftigkeit. Instinktiv mag das ständige Wiederholen der eigenen Botschaften schwierig erscheinen, aber es ist für neue CEOs genau die richtige Maßnahme. Den Beschäftigten kann man praktisch nicht oft und klar genug sagen, was erwartet wird. Den Gesellschaftern sollten Neulinge lieber einmal zu oft erklären, was schon erreicht wurde – seien es auch nur kleine Schritte in vorher definierten Etappen. Dazu gehört ebenfalls, die zeitlichen Ziele für Meilensteine offen zu kommunizieren und Korrekturen an der Strategie nicht zu verheimlichen. Auch bei den Grenzen gilt es, offen zu sein. Führungskräfte können in der ersten Zeit weniger als sonst Sicherheit und Stabilität ausstrahlen. Viele fühlen sich unwohl dabei, zuzugeben, einige Dinge nicht zu wissen oder abschätzen zu können. Aber genau das bringt Glaubwürdigkeit.
- Tempo anpassen, Prioritäten setzen: Es ist menschlich, im neuen Job möglichst schnell möglichst große Erfolge vorweisen zu wollen. Aber neue Chefinnen und Chefs überdrehen am Anfang oft, verwechseln Tatkraft mit Aktionismus. „Geduld ist eine unterschätzte Führungsstärke, besonders im Mittelstand“, erklärt Neumueller. „Man darf nicht vergessen: Viele Mitarbeiter durchleben vielleicht zum ersten Mal einen größeren Umbruch und brauchen Zeit, um Vertrauen zum neuen Chef zu fassen.“ Der Erfolg ist ein Marathon, keine Ansammlung von Sprints. Wer zu viele Projekte gleichzeitig startet, fährt auch viel an die Wand. Besser ist, die eigene Energie gut zu steuern und Prioritäten zu setzen. Erfolgreiche Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie eher wenige, aber dafür gut durchdachte Initiativen starten. Umso wahrscheinlicher sind Erfolge und dadurch erzeugt der oder die Neue ein Momentum. Das Problem ist, dass beim Start viele mit ihren Anliegen kommen und ihr Thema oben sehen wollen. Die Kunst ist, dem Impuls zu widerstehen, sich sofort um alles kümmern zu wollen. Unternehmen sollten ihren Teil beitragen, zum Beispiel durch einen strukturierten Onboarding-Prozess: Schon vor Vertragsunterschrift sollten beide Seiten über die Unternehmenssituation, Ziele und Erwartungen offen diskutieren. In den ersten Monaten sollte „der Neue“ einen Mentor oder erfahrenen Beirat zur Seite gestellt bekommen, der als Sparringspartner dient. Es sollte Ziele für die Einarbeitungszeit geben, keine Ergebnisziele, sondern was der oder die Neue in den ersten Quartalen verstanden und erarbeitet haben sollte. Zudem sollte die Arbeitgeberseite eine vernünftige Fehlertoleranz in der Anfangsphase mitbringen.
- Treue Gefolgsleute um sich scharen: Es gibt praktisch keine Heldenreise in Büchern oder Kino, bei der es ohne ein Team enger Vertrauter geht. Bis der Meisterdieb Daniel Ocean seine „Oceans Eleven“ zusammengestellt hat, dauert es eine Zeit. Aber umso realistischer wird danach ein Erfolg. Entsprechend sollten Managerinnen und Manager genügend Gespräche mit den wichtigsten Mitgliedern des inneren Zirkels führen, statt sofort jede Menge Initiativen zu starten. Denn die neue Führungskraft braucht ein Team, das hinter ihr steht, geschlossen auftritt, auch gegenüber der Belegschaft. Wer von außen kommt, sollte hier ansetzen. Wer intern aufgerückt ist, kennt alle gut, aber in einer anderen Rolle. Auch hier sind Gespräche nötig. Die faire Behandlung des inneren Zirkels ist wichtig, denn „die Zeit der autokratischen Macher, die mit eiserner Hand durchregieren, ist vorbei“, sagt Neumueller. Moderne Führung – gerade im Mittelstand – verlange einen kooperativen Stil. „Gefragt sind Chefs, die Wandel erklären können, Mitarbeiter mitnehmen und Empathie zeigen. Die neue Generation von Führungskräften ist reflektierter und demütiger.“ Was nicht heißt, dass Entschlossenheit unwichtig wäre, ganz im Gegenteil. In unsicheren Zeiten müsse ein Geschäftsführer mutige Entscheidungen treffen können, sagt Neumueller. „Aber wie er oder sie das tut, macht den Unterschied. Erfolgreiche Mittelstandslenker kombinieren heute Durchsetzungskraft mit Dialogfähigkeit“, meint Neumueller.
- Stakeholder einbinden: Noch bevor der erste Tag als Geschäftsführer beginnt, können kaum wiedergutzumachende Dinge passiert sein. „Ein häufiger Fehler ist, im Bewerbungs- oder Vorstellungsprozess zu viel zu versprechen“, sagt Berater Neumueller. Aus übergroßem Ehrgeiz tönen manche Kandidaten, sie würden „alles anders und besser machen“ und in kürzester Zeit maximale Erfolge erzielen. Damit weckt man unrealistische Hoffnungen – vor allem bei den Eigentümern oder dem Beirat. Wenn diese großen Versprechen dann nicht eingehalten werden, ist die Enttäuschung entsprechend gewaltig. Lieber authentisch bleiben und ehrlich kommunizieren, was machbar ist. „Natürlich soll man ambitionierte Ideen präsentieren und Optimismus ausstrahlen. Aber man darf sich nicht verbiegen oder ein falsches Bild vermitteln“, warnt Neumueller. Ebenso problematisch sei das Gegenteil: sich zu defensiv zu geben. Wer keine klare Vision zeigt, hinterlässt Zweifel, ob er oder sie dem Job gewachsen ist. „Und bitte keine Management-Buzzwords ohne Substanz. Wer nur Floskeln drischt und nicht greifbar wird, wirkt unauthentisch.“ Am Ende zählt, dass Mittelstandsgesellschafter Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit spüren.
In börsennotierten Konzernen sind Entscheidungsstrukturen recht transparent. Vor allem ist klar festgelegt, wie die Rollen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat verteilt sind. Das ist in familiengeführten Betrieben anders: Hier existieren oft komplexe, historisch gewachsene Strukturen, die sich stark unterscheiden können. Mal ist der Gesellschafterausschuss ein Abnick-Gremium, mal das Zentrum der Macht, mal gibt es gar keinen. Die Rolle des Beirates und seiner Mitglieder müssen neue Geschäftsführer erst einmal herausfinden. Und bisweilen kommen vonseiten der Eigentümerfamilie Anforderungen, die in der formellen Struktur gar nicht verankert sind. Ohne diese Feinheiten zu kennen und die Dynamik der Rollenverteilung zu verstehen, werden sich Neulinge immer schwertun. Und das kann noch einige Zeit dauern.
In Familienunternehmen sitzen im Beirat oder Gesellschafterausschuss oft Familienmitglieder mit ganz eigenen, teils unausgesprochenen Vorstellungen. Da kann es Zielkonflikte geben, zum Beispiel zwischen älteren Gesellschaftern, denen Tradition wichtig ist, und jüngeren, die Wachstum wollen. Diese Erwartungen sind für einen Neuling schwer zu durchschauen. Häufig fehlen schriftliche Vorgaben. Hilfreich ist ein sogenanntes Gesellschafter-Positionspapier, in dem die Familie ihre Erwartungen an die Geschäftsführung und die langfristige Ausrichtung festhält. Falls es solcherlei nicht gibt, kann es für die neue Führungskraft sinnvoll sein, proaktiv um einen Workshop zu bitten, wo die Eigentümer ihre Vorstellungen darlegen. Die Gesellschafter wollen sehen, dass der neue Chef ihre Werte respektiert und „zu uns passt“. Diese weichen Faktoren abzuschätzen ist schwieriger als rein finanzielle Kennziffern zu erfüllen. Auch den Beschäftigten sollte der oder die Neue gerade am Anfang besonders intensiv zuhören. Aber Vorsicht: Was versprochen wird, muss dann auch gehalten werden! - Nie mit sich zufrieden sein: Vermutlich würde kaum ein Manager widersprechen, wenn es um kontinuierliche Weiterentwicklung geht. Doch in Wahrheit ist es eben nicht so leicht und selbstverständlich, permanent an sich zu arbeiten. Denn hier ist von weit mehr die Rede als zum Beispiel technologisch in der Lage zu sein, die neuesten Trends zu kennen. Wer die Organisation verändern will, muss auch sich selbst verändern. „Wenn neue Strategien scheitern, liegt es oft daran, dass Führungskräfte zwar Veränderung von ihren Mitarbeitern fordern, aber ihr eigenes Verhalten nicht anpassen“, sagt Neumueller. „Vorleben ist entscheidend. Die Belegschaft schaut sehr genau hin, ob Worte und Taten übereinstimmen.“ Ein Unternehmen könne sich nur so weit erneuern, wie seine Leitung bereit sei, sich selbst zu erneuern.
Wichtig ist auch ehrliches Feedback. Sparringspartner kann zum Beispiel die Kommunikationschefin sein. Viele der erfolgreichsten Führungskräfte scheuen sich auch nicht, einen Coach oder externen Mentor zurate zu ziehen. Das ist längst kein Zeichen von Schwäche mehr, sondern Ausdruck von Professionalität und Lernbereitschaft. Ein guter Coach bietet einen neutralen Blick von außen, stellt die unbequemen Fragen und fördert die Selbstreflexion. Gerade weil man als CEO intern nur schwer ehrliche Rückmeldungen bekommt, ist dieser Austausch auf Augenhöhe wichtig. Ein externer Mentor kann zum Beispiel ein ehemaliger Unternehmer oder Branchenkenner sein, der mit den spezifischen Herausforderungen im Mittelstand vertraut ist.
Auch der Austausch in vertraulichen Peergroups wie Unternehmerkreise oder CEO-Roundtables kann sehr hilfreich sein, um von den Erfahrungen anderer zu lernen. Entscheidend ist, dass man sich nicht isoliert, sondern bereit ist, Rat anzunehmen. Denn gerade im Mittelstand neigen Geschäftsführer dazu, alles mit sich selbst auszumachen.
Eine große Rolle für den Erfolg der oder des Neuen spielt auch die scheidende Führungskraft. Eine gute Beziehung erleichtert den Start – aber eben auch den Abschied des Vorgängers. Empathie für das Innenleben des Gegenübers braucht es auf beiden Seiten. „Allzu oft scheitert die Nachfolge daran, dass der Alte nicht loslässt und der Neue alles anders machen will“, sagt Personalberater Neumueller. Typische Fehler des scheidenden Chefs seien, sich weiterhin ins Tagesgeschäft einzumischen, wichtige Entscheidungen des Nachfolgers zu blockieren oder vor den Mitarbeitern die Autorität des Neuen zu untergraben.
Gerade in Familienunternehmen kommt es vor, dass der Seniorchef zwar formal übergibt, aber sich ein Nebenzimmer einrichtet und ständig „gute Ratschläge“ gibt. Nach der Übergabe ist also ein klarer Schnitt nötig. Idealerweise sollten Rollen und Kompetenzen im Vorfeld sauber geklärt sein, etwa durch einen Beirat oder schriftliche Absprachen, damit man als Altchef nicht in Versuchung gerät, doch wieder ins operative Geschäft reinzureden. Der Vorgänger sollte als Mentor oder Beirat zur Verfügung stehen – aber nur auf Anfrage und in definierten Grenzen, um Kompetenzgerangel zu vermeiden.

Wann es Zeit ist, den Chef zu tauschen
Acht Jahre an der Spitze mögen ideal sein, ersetzt werden muss
der oder die CEO, wenn …
- die Eigentümer anhaltend unzufrieden mit der Geschäftsentwicklung sind.
- sich der Zustand der Organisation verschlechtert und oft von einer vergifteten oder ängstlichen Unternehmenskultur die Rede ist.
- dauernd etwas über die ethische Haltung des CEO oder einen Stil zu hören ist, der die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team oder wichtige Beziehungen zu wichtigen Interessengruppen zerstört. Oder, wenn wichtige Personen ausscheiden.
- Energie oder Motivation der Führungskraft nachlassen.
Quelle: Egon Zehnder
