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Personal > Vergütung

Geld ist nicht alles

Unternehmen heben die Gehälter an. Doch gute Leute verlangen mehr. Die Trends 2023.

Anonymer Protest: In Berlin demonstrieren Beschäftigte immer wieder für faire und vor allem höhere Löhne.© picture alliance / dpa | Rainer Jensen

Vor 1440 Jahren wurde in Japan Kongō Gumi gegründet. Es gilt als das älteste Unternehmen der Welt. Seitdem gab es zig Krisen, große und kleine. Gerade stecken Deutschlands Unternehmen in einer eher großen. Aber sehr wahrscheinlich wird es noch nie in diesen 1440 Jahren vorgekommen sein, dass Betriebe in einer wirklich schwierigen Zeit wie irrsinnig nach Verkäufern gesucht haben – bis jetzt: Deutsche Unternehmen haben im dritten Quartal 25 Prozent mehr Stellen für Sales-Manager ausgeschrieben als im Vorjahreszeitraum. Auch bei der Jobplattform Indeed verharrt die Zahl der Stellenausschreibungen auf irrwitzig hohem Niveau. IT-Fachleute werden ohnehin gesucht, aber auch im Einkauf gibt es dringend Bedarf.

Und der demografische Wandel wird den Konkurrenzkampf von Unternehmen um neue Talente in den kommenden Jahren sogar noch verschärfen. „Die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen verpassen dem Arbeitsmarkt einen Dämpfer, trotzdem bleibt die Nachfrage nach Arbeitskräften weiterhin sehr hoch. Die Machtverhältnisse haben sich zugunsten der Beschäftigten verschoben“, sagt Annina Hering von Indeed. Und wenn hohe Nachfrage auf bestenfalls gleichbleibendes Angebot trifft, steigen die Preise – in diesem Fall also die Löhne.

Schwierige Zeiten

Schwierige Zeiten für Personalabteilungen: Fachkräfte sind kaum zu bekommen und die eigenen Talente so abwanderungswillig wie selten. Es werden immer noch so viele Leute gesucht, dass nicht nur Toptalente mit entsprechend hohen Forderungen in die Verhandlung gehen. Und angesichts der Inflation fordern Gewerkschaften und Betriebsräte höhere Gehälter. Wenn die HR mit der Geschäftsführung um die Personalbudgets verhandeln, ist da durchaus Verständnis. Aber natürlich heißt es auch, man müsse angesichts der hohen Energiekosten sparen, wo es nur gehe.

Immer mehr kristallisiert sich heraus, was das in Zahlen für die deutschen Unternehmen bedeutet. Die Fachleute der Vergütungsberatungen Kienbaum, Korn Ferry und WTW haben ihre Berichte vorgelegt. 2022 dürfte das Plus bei den Gehältern bei 3,5 Prozent liegen. Zur Einordnung: Seit 2007, Finanzkrise hin oder her, pendelt die Steigerungsrate pro Jahr ziemlich konstant um die drei Prozent. Der teuflische Mix aus hoher Inflation und Fachkräftemangel schlägt also durch, aber in diesem Jahr noch sehr zart.

Wenn Gewerkschaftler das als unfair brandmarken, weil die Inflationsrate in diesem Jahr über 3,5 Prozent liegen wird, mag das für 2022 gerechtfertigt sein. Aber die 14 Jahre zuvor erhöhten die Arbeitgeber die Löhne eben auch stärker, als die Teuerung zu Buche schlug. Dennoch wächst der Druck auf die Arbeitgeber, die Gehälter anzuheben. Viele Unternehmen warten derzeit noch ab und verweisen auf die unklare Weltlage. Zudem lassen viele Unternehmer erst mal die Ergebnisse der Tarifverhandlungen in diesem Herbst und Winter auf sich zukommen. Teilweise sind sie aus juristischen Gründen auch dazu verpflichtet.

Solche Zeiten sind goldene für die auf Vergütung spezialisierten Beratungshäuser. Nach eigener Aussage haben sie mehr zu tun denn je und geben gern den Rat: abwarten und im Zweifel auf die Einmalzahlung setzen, zumal die jetzt auch bis zur Höhe von 3000 Euro steuerlich gefördert wird. „Meine Empfehlung ist, das Instrument Einmalzahlung zu nutzen. Das muss man sich aber auch leisten können“, sagt Florian Frank, Vergütungsexperte bei der Beratung WTW. „Ein Unternehmen sollte genau schauen, welche Mitarbeitergruppe von der Inflation wie stark getroffen wird. Die Führungskräfte mit Firmenwagen und Tankkarte leiden unter den steigenden Benzinpreisen nicht so sehr wie der Pendler am Band.“

Zudem verweist der Berater auf die schwierige Aufgabe für Geschäftsführer, in dieser Phase geschickt zu kommunizieren: „Gerade beim Thema Geld ist die Kommunikation sehr schwierig. Auf der einen Seite will die Geschäftsführung der Belegschaft Sicherheit geben, auf der anderen Seite auch den Ernst der Lage darstellen, um zu begründen, dass man nicht jeden Gehaltswunsch erfüllen kann. Daten helfen dabei.“

Und genau solche Daten liefern die Beratungen derzeit – so konkret wie möglich – für 2023. Im kommenden Jahr steigen die Gehälter der Gehaltsentwicklungsprognose von Kienbaum zufolge um 4,9 Prozent. Wettbewerber WTW kommt in seiner Schätzung auf einen sehr ähnlichen Wert. Das ist deutlich weniger als die Inflationserwartungen, die zwischen fünf und neun Prozent schwanken – Bundesregierung sowie Bundesbank gehen von rund sieben Prozent aus.

Unterschiede bei den Branchen gibt es kaum – von der Inflation sind alle in etwa gleich betroffen. Das war in der Corona-Krise anders: In der Phase vor gut zwei Jahren gab es in der Automobilbranche spürbar geringere Sprünge bei der Vergütung als zum Beispiel in der Pharmabranche. Dafür gibt es interessante Auffälligkeiten bei den Hierarchiestufen: Außergewöhnlich ist, dass das erwartete Gehaltsplus bei Fachkräften mit 5,6 Prozent überdurchschnittlich ausfallen dürfte, im höheren Management mit 4,4 Prozent geringer. „Man sieht hier, dass die Knappheit bei Fachkräften besonders hoch ist. Das ist auch ein weltweites Phänomen. Ausnahmen gibt es im Baltikum und in der Slowakei, wo das Plus beim Lower-Management besonders hoch ausfallen dürfte“, sagt Michael Kind, Vergütungsexperte beim Beratungsunternehmen Kienbaum. 

Fachkräfte profitieren

Nun macht Geld allein nicht glücklich, aber zumindest ist die Belegschaft seltener unglücklich, wenn das Gehalt stimmt. In der Kienbaum-Umfrage wünschen sich Deutschlands Angestellte eine Steigerung ihrer Gehälter um sieben Prozent, also rund zwei Prozentpunkte mehr, als die Gehaltsbudgets nach der Prognose vorsehen. Das muss aber nicht zu Abwanderungswellen führen: Erstens, weil sehr viele Unternehmen dasselbe Problem haben. Und zweitens, weil es eine Reihe von Optionen gibt, die ausgerechnet jetzt bei vielen Mitarbeitern sehr gefragt sind. Das Gehalt ist immer noch das wesentliche Argument für oder gegen einen Arbeitgeber – egal, ob man wechselt oder bleibt. Doch andere Punkte werden ­wichtiger.

Wenn man die Ratschläge der Fachleute über­einanderlegt, ist das Bild recht homogen. Der Ausweg für Unternehmen lautet: Erstens kurzfristig Zufriedenheit erzeugen mit Einmalzahlungen – geschickt austariert für bestimmte Gruppen von Mitarbeitern. Zweitens zur rechten Zeit die Gehälter erhöhen, allerdings nicht so stark, wie die Inflation steigt. Und sich drittens Gedanken machen über die Nebenleistungen, die allerdings alles andere als nebensächlich sind. „Gerade in der Krise haben Mitarbeitende ein starkes Sicherheitsbedürfnis und machen die Wahl ihres Arbeitgebers verstärkt davon abhängig, ob der dieses erfüllt. Das gilt auch für die Performance von Führungskräften. Hohes Vertrauen ist in Phasen wie diesen bei vielen mehr wert als ein Euro mehr in der Tasche“, sagt Florian Frank von WTW. Den Mitarbeitenden Sicherheit zu geben, ist also das effektivste und günstigste Mittel, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Das geht, indem Führungskräfte Vertrauen erwecken und glaubhaft machen, dass das Unternehmen auch in der Krise gut gemanagt wird.

Welche Nebenleistungen für ein Unternehmen besonders nützlich sind, ist sehr individuell. In der Finanzbranche ist vielen wichtig, das ihr Arbeitgeber die betriebliche Altersvorsorge angemessen regelt. Andere achten stark auf Wellbeing-Angebote oder Flexibilität bei Arbeitszeit und Arbeitsort, was besonders für junge Mitarbeiter ein entscheidendes Kriterium sein kann. Manche möchten auch mal vom Ausland aus arbeiten. Andere schauen aufs Image des Arbeitgebers – Stichwort Nachhaltigkeit. „Der Wunsch, sinnvolle Arbeit zu verrichten, ist gerade bei Jüngeren spürbarer geworden“, sagt Frank. „Aber es ist im Alltag nicht so wichtig wie operative Themen und das Wohlbefinden.“

Inflationsausgleich im Vertrag

Ein weiterer wichtiger Block betrifft die Benefits. Vom Dienstwagen über das E-Bike bis zu Jobticket und Tankgutschein. Weiterbildungsmaßnahmen werden immer wichtiger, und die Beteiligung an der Stromrechnung ist ein kleiner Trend. So manche Führungskraft lässt sich sogar einen Inflationsausgleich in den Vertrag schreiben.

Führungskräfte sollten nur eines bedenken: Die ESG-Regulatorik naht und damit auch Offenlegungspflichten gerade bei der Vergütung. „Transparenz ist seit rund zwei Jahren ein Riesenthema, zunehmend auch im Mittelstand“, sagt Berater Frank. Deshalb würden sich Unternehmen immer stärker bemühen, Ausreißer, also die Über- oder Unterbezahlung von Mitarbeitenden, anzugleichen. „Angesichts der nahenden EU-Richtlinien zu Fair Pay kann ich nur jedem Unternehmen raten, jetzt schon anzufangen, die Fairness der Vergütungsstruktur zu analysieren“, sagt der Berater.

Kurzum: Sicherheit geben, Flexibilität zulassen, die richtigen Benefits anbieten, Gesundheit und Wohlbefinden fördern und geschickt kommunizieren. Fünf Tugenden, die auch ohne die ganz großen Gehaltssprünge entscheidend sein werden in den kommenden Monaten, um beim Kampf um das Toppersonal bestehen zu können. Auch bei den besten Verkäufern.

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