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Personal > Serie Bürokratie

Gelesen, gelacht, gelocht: „Rudimentäre Computer-Kompetenzen“

Arbeitgeber brauchen Auszubildende, die digital fit sind. Doch Deutschlands Schulen hängen der Digitalisierung weit hinterher - trotz sieben Milliarden Euro Fördermittel. Das liegt auch an zu viel Bürokratie.

Bei der Digitalisierung hinken deutsche Schüler hinterher. Es mangelt nicht an Geld, sondern am Willen, bürokratische Hindernisse abzubauen
Bei der Digitalisierung hinken deutsche Schüler hinterher. Es mangelt nicht an Geld, sondern am Willen, bürokratische Hindernisse abzubauen.

„Ob und wann neue digitale Techniken die Schule erreichen, hängt davon ab, wie schnell der Schulträger ist“, berichtet der Lehrer eines großen Gymnasiums im Rheinland. Seine Schule hat Glück. Diese Stadt hat schon aus Imagegründen clevere Mitarbeiter darangesetzt, möglichst viele Mittel aus dem Fördertopf „DigitalPakt Schule“ für die eigenen Lehrstätten abzurufen. „Trotzdem schlägt auch bei uns die Bürokratie zu“, erzählt der ruhige Lehrer für Naturwissenschaften genervt. 

„Es gibt irrwitzige Abläufe: Geht ein Beamer kaputt, streiten sich Stadt und Förderverein - wenn der ihn finanziert hat - um die Reparatur.“ Aber nicht nur im Kleinen hakt es. „Eine öffentliche Ausschreibung für die Beschaffung ist sicher sinnvoll. Aber der aktuelle Modus führt bei uns in der Praxis dazu, dass es ewig dauert, bis die Kinder etwa iPads für den Unterricht bekommen. Zudem bekommt nicht der zuverlässigste Anbieter den Zuschlag, sondern der billigste“, zürnt der Lehrer. „Was zur Folge hat, dass das eingekaufte Material oft schnell wieder zum Reparaturfall wird und für den Unterricht längere Zeit ersatzlos ausfällt.“ Im Übrigen sei es ein Webfehler, dass für die Ausrüstung der Schulen keine externen Experten zur Verfügung stehen, sondern engagierte Lehrer aller Fachbereiche sich quasi nebenbei das nötige Wissen aneignen und versuchen, ihre Schule technisch über Wasser zu halten.

Fördermittel werden nicht abgerufen 

In dieser rheinischen Großstadt passiert genau das, was der DigitalPakt Schule seit 2019 vermeiden will. Er soll für alle Kinder den Zugang zu modernster Technik und Ausbildung sicherstellen und das vorhandene Gefälle zwischen armen und reichen Schulen und Kommunen aufbrechen. Dafür haben Bund und Länder zugesagt, bis 2024 rund 7 Milliarden Euro in den digitalen Fortschritt der Schulen zu investieren. Womit Deutschlands Lehrer und Schüler dann nicht Teil des technischen Fortschrittes wären, sondern einfach nicht mehr so sehr wie bisher anderen europäischen Ländern hinterherhinken würden. 2018 stellte die internationale Schulleistungsstudie ICILS den deutschen Schülern und Schülerinnen ein schlechtes Zeugnis aus. 33,2 Prozent von besaßen nur „rudimentäre computer- und informationsbezogene Kompetenzen“. 

Für den Auf- und Ausbau der digitalen Infrastruktur gibt es fünf Milliarden Euro aus dem „DigitalPakt Schule“. Dazu kommen 1,5 Milliarden Euro für IT-Administratoren, Dienstlaptops für Lehrkräfte und Endgeräte für Schülerinnen und Schüler, deren Eltern sie nicht finanzieren können. Es geht aber nicht nur um Technik. Die Länder und Kommunen sollen auch in entsprechende pädagogische Konzepte, Lehrpläne, Lehreraus- und -weiterbildung sowie Betrieb und Wartung investieren. 

Die Friedrich-Naumann-Stiftung ließ 2022 untersuchen, wie effizient Schulen, Politik und Verwaltung dafür tatsächlich zusammenarbeiten. Wieder hagelte es schlechte Noten. Laut der Wissenschaftler agierten Schule, Schulverwaltung, Kommune und Bundesland jeweils „eigensinnig“. Allen gemein sei nur der Mangel an vernetztem Denken und Agieren. Zerrieben werden die Schüler und Schülerinnen. Ein Beispiel: Lehrer wünschen sich die Anschaffung der technischen Geräte, die sie für ihren didaktischen Ansatz bräuchten. Doch die Schulträger steckten ihre Energie in die förderrechtkonforme Geldverteilung;  die Datenschutzbehörden setzen sich vor allem für die Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung ein; die zuständigen Landesbehörden agierten aus großer Flughöhe entsprechend ihren bildungspolitischen Leitlinien und Vorgaben. Und alle zusammen schürten die Bürokratie. 

Vielleicht auch deshalb kommt der aktuelle Rechenschaftsbericht des Bundesbildungsministeriums zum DigitalPakt Schule vom 30.6.2022 zu dem erstaunlichen Ergebnis: Von den sieben Milliarden Euro wurden seit 2019 erst 3,05 Milliarden Euro verplant und bewilligt. Zugleich hängten digitale „Vorreiter-Schulen“ und schnell handelnde Schulträger die Mehrheit der Lehranstalten mit einer niedrigen oder sehr geringen digitalen Ausprägung ab.

So ginge es besser: 

Drei unterschiedliche Analysen sollten dem Bundesbildungsministerium zu denken geben. 
Die Lehrer-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kommt in ihrer Studie „Umsetzung des DigitalPakts Schule 2022“ zu dem Schluss: Der Digitalisierungsschub kommt nicht überall an. Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, kritisiert: „Die Bildung der Kinder darf weder von der Finanzlage einzelner Kommunen noch von einer zufälligen Digitalisierungsaffinität einzelner Lehrkräfte abhängig sein.“ Doch genau das passiere. Der Fachkräftemangel in den Bereichen Pädagogik, IT und Verwaltung sei das größte Problem des schulischen Digitalisierungsprozesses. Deshalb fordert die Lehrer-Gewerkschaft ein transparentes Monitoring aller Ausgaben, das auch soziale Indikatoren berücksichtigt. Zudem mehr zeitliche, finanzielle und fachliche Ressourcen für die Schulen. Der IT-Support- und Wartungsstrukturen müssen vor Ort in den Schulen geschehen. Und vor allen: Finanzschwache Kommunen brauchen mehr Mittel als reiche Kommunen.

Als Hüter des Steuergeldes, aus dem die Fördermittel stammen, kritisiert der Bundesrechnungshof die Umsetzung des Digitalpaktes. Er fordert: Redundanzen, Mitnahmeeffekte und ineffiziente Förderverfahren müssten gestoppt werden. Stattdessen sollten endlich Wirtschaftlichkeitsaspekte beachtet werden.

Laut der Essener Denkfabrik für digitales Lernen mmb-Institut hemmt überbordende „Schulbürokratie“ den digitalen Fortschritt der Kinder und Jugendlichen. Das zeige sich an den „langwierigen, strategisch unverbundenen und im Alltag schlecht abgestimmten, einander sich gegenseitig blockierenden organisatorischen“ Prozessen. Am dringlichsten aber sei, dass die Schulen von den Ministerien der Bundesländer mehr Freiraum für eigene Entscheidungen bekommen, um die Förderung aus dem zu Digitalpakt optimal nutzen zu können. 

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