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Personal > Führung von Familienunternehmen

Generation Enkelin

Mit dem Entstehen der Bundesrepublik gab es auch einen Gründerboom. Heute übernehmen vielfach die Kindeskinder den Betrieb. Wie ticken sie?

Portrait von Verena Pausder
Einfach mal, machen: Verena Pausder gründete eine Salatbar-Kette und scheiterte. Dann schrieb sie ein Buch, entwickelte eine Lern-App. Inzwischen sitzt sie in Aufsichtsräten und setzt sogar Gesetzesänderungen durch.Bildquelle Verena Pausder: Laurence-Chaperon

Es gibt das Buddenbrooks-Phänomen. Literaturnobelpreisträger Thomas Mann hat es anhand der Kaufmannsfamilie aus Lübeck unnachahmlich beschrieben: Die erste Generation baut das Geschäft auf, die zweite erweitert es, und die dritte versäuft es – oder bringt es anderweitig zum Erliegen. Enkel Hanno Buddenbrook stirbt in fiebriger Benommenheit an Typhus und verschließt sich der Stimme des Lebens, Enkelin Toni ist tief in Familienfehden verstrickt.

Im wahren Unternehmerleben gibt es die Generation, die Thomas Mann beschreibt, tatsächlich. Aber es gibt auch die anderen: die, die weitermachen, oder die, die sogar noch ausbauen. Sie alle starten mit zwei gleichen Voraussetzungen: Es lastet viel Verantwortung auf ihren Schultern. Und es winkt das Vermögen, das es theoretisch möglich macht, die Verantwortung einfach abzuschütteln. Die Generation Enkelin geht damit unterschiedlich um. Fünf Beispiele:

Die Durchsetzungsfreudige: Cathrina Claas-Mühlhäuser

Es ist der dritte große Krieg, der jetzt in der Ukraine herrscht. Aber in Harsewinkel tief in Ostwestfalen fühlen sie sich sicher: Sie werden auch diesen überstehen. Und hinterher wird es besser sein als vorher. Nach dem ersten Krieg erweiterten die Gebrüder Claas 1919 das Firmengelände und machten aus einer Klitsche, die ursprünglich im nahen Clarholz stand, eine Fabrik für Strohbinder. Während des zweiten, als die Produktion auf Rüstungsgüter umgestellt war, entwickelte man hier in aller Stille den ersten fast selbstfahrenden Mähdrescher und brachte ihn Anfang der 50er-Jahre auf den Markt.

Und jetzt, wo zwei der wichtigsten Getreideländer der Welt in einen Krieg miteinander verwickelt sind, der die globale Ernte bedroht, tüfteln sie in Harsewinkel an der Zeit danach. Dafür ist die Enkelin verantwortlich: Cathrina Claas-Mühlhäuser. Es gehe um die Koordination zwischen den Maschinen, sagt sie. „Smart Farming“ nennt sich so etwas und ist der Beweis, dass Bäuerin und Bauer endgültig im Digitalzeitalter angekommen sind. Sie brauchen Daten, um ihre Kosten pro Hektar zu optimieren. Claas tüftelt an den nötigen Systemen. Und die 48-jährige Firmenerbin strahlt Zuversicht aus, dass das Familienunternehmen mit seiner mehr als 100-jährigen Geschichte auch diese Zeitenwende in den Griff bekommt. Der Krieg behindert sie, aber er wird sie nicht aufhalten.

„Claas lebt und atmet Mähdrescher, das ist unser Hintergrund. Mein Vater hat mir ganz, ganz oft erzählt, wie mein Großvater mit den Strohbindern begonnen hat. Später hielten es alle für verrückt, dass die Ernte in einem Arbeitsgang möglich sein sollte.“ Sie ist hier aufgewachsen, nur wenige Meter vom Unternehmen entfernt, in das der Vater sie als Kind immer sonntags mitnahm. Damals sammelte sie dort Schrauben, machte später ein Praktikum in der Lehrwerkstatt, wo sie lernte, zu feilen und zu bohren. Nach der Ausbildung zur Industriekauffrau, ihrem BWL-Studium in St. Gallen und einigen Jahren beim Schweizer Technologiekonzern ABB entschied sie sich für das eigene Unternehmen. Die Familie betreibt noch einen Bauernhof in England.

Matsch, Gummistiefel, Maschinenöl und Ernterhythmen – all das kennt diese Enkelin. Claas-Mühlhäuser kann aber mehr. Ihre engen Mitarbeiter wissen das. Seitdem sie dem Aufsichtsrat vorsitzt, seit einem guten Dutzend Jahren also, hat es drei Sprecher der Konzernleitung gegeben und mit Vorstandschef Thomas Böck nun zum ersten Mal einen CEO. „Als Hauptgesellschafterin dieses Unternehmens lege ich natürlich Wert darauf, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen“, lautet ein Satz von Claas-Mühlhäuser, den man sich im Vorstandsgremium gemerkt hat. Und ein anderer: „Dass die Gesellschafterfamilien, denen die Firma gehört, das letzte Wort haben, das halte ich für ganz normal.“

Die Leichtfüßige: Verena Bahlsen

Für ihre 30 Jahre hat Verena Bahlsen die Rollen schon oft gewechselt: Die Kekserbin ist eine von vier Geschwistern und hatte als diejenige, die ihre Ausbildung einst abbrach, an sich die schlechtesten Karten, an die unternehmerische Spitze der Dynastie zu gelangen. Sie ist das, was man vermögend nennt, seit sie mit 20 ein Viertel der Unternehmensanteile überschrieben bekam, und sie ist wohl das, was man ein Lieblingskind nennt: Vater Werner Michael Bahlsen hat offensichtlich einen Narren an ihr gefressen. Jedenfalls sorgte er dafür, dass seine Tochter doch operative Verantwortung in einem vierköpfigen Managementteam übernahm.

Und das, obwohl sie sich zuvor einen Auftritt erlaubt hatte, der Nichtfamilienmitgliedern die Karriere gekostet hätte: Als Replik auf kapitalismuskritische Worte von SPD-Politiker Kevin Kühnert hatte Bahlsen – ironisch – gestanden: „Ich bin Kapitalist. Ich will Geld verdienen und mir Segeljachten kaufen von meinen Dividenden und so was.“ Auf Hinweise von Kritikern, dass das Bahlsen-Unternehmen einen erheblichen Teil seines Vermögens im Krieg mithilfe von Zwangsarbeitern erwirtschaftet hatte, entgegnete die Firmenerbin – nicht ironisch: „Das war vor meiner Zeit, und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“ Letzteres stimmte nicht, dafür musste sie sich entschuldigen, was den Vater aber nicht daran hinderte, ihr eine herausragende Stellung im Konzern frei zu machen.

Die hat sie nach nur zwei Jahren hingeschmissen. Sie selbst beschreibt den Moment der Erkenntnis so: „Ich stand mitten in einem Weizenfeld und hatte eine Panikattacke.“ Sie habe in vielen Meetings geweint. „Ich war manchmal kalt und hart, wenn ich sanft hätte bleiben sollen“, gestand die Enkelin, um sich mit diesen Worten dann aus der aktiven Rolle im Betrieb zu verabschieden.

Neue Jobangebote wolle sie prüfen, erst einmal aber wolle sie ein paar Wochen Auszeit nehmen, „surfen gehen, am Strand sitzen und skandalös unproduktiv sein“. Nicht beim Surfen, sondern am Schreibtisch folgte ihr ein familienfremder Manager, der das Geschäft, das möglicherweise unter der Enkelin mehr als unter der Energiekrise gelitten hatte, wieder richten soll. Verena Bahlsen hat den Kekshersteller nicht ruiniert, aber dass es ihn noch gibt, ist auch nicht ihr Verdienst.

Die Ausgleichende: Caroline Hagenbeck

Für ihre Mission ist sie zu früh gestorben: Caroline Hagenbeck war die älteste von vier Töchtern des Hamburger Zoodirektors Dietrich Thomas Hagenbeck und Enkelin von jenem Carl Hagenbeck junior, der den Tierpark 1907 in Stellingen vor den Toren Hamburgs gegründet hatte. Sie, die als Kind jede freie Minute im Zoo verbrachte, absolvierte nach dem Abitur eine Banklehre und heuerte später bei der Commerzbank in London an.  Als der Gesundheitszustand ihres Vaters sich zunehmend verschlechterte, brach sie ihre Banklaufbahn ab und volontierte ein halbes Jahr lang im Westberliner Zoologischen Garten. 1981 trat sie in die Familienfirma ein. Als ihr Vater starb, übernahm sie gemeinsam mit ihrem Onkel, dem Tiermediziner Carl Claus Hagenbeck als Mitgesellschafterin auch die Verantwortung für das traditionsreiche Unternehmen.

Sie schied 1989 aus der Geschäftsführung aus, um ihrem Mann Joachim Weinlig-Hagenbeck Platz zu machen, der jedoch die Geschäfte nicht allein übernehmen durfte. Patriarch Carl Claus Hagenbeck inthronisierte einen weiteren Schwiegersohn, der langfristig Chef werden sollte. An der Spitze des weltbekannten Familienunternehmens standen sich damit zwei Alphatiere gegenüber und nur dem ausgleichenden Einfluss der Enkelin war es zu verdanken, dass die Geschäfte noch liefen.

„Caroline Hagenbeck war das große Herz der Familie“, werden sie im Tierpark noch 20 Jahre später sagen. „Sie hatte immer ein Lächeln und ein kluges Wort für jeden. Das hat den Laden zusammengehalten“. Sie war es, die die Idee hatte, eine Stiftung zu gründen. Spenden und Erbschaften aus aller Welt werden seither dort für größere Investitionen gesammelt. Im Stiftungsrat trifft sich ein illustrer Kreis von Hamburger Honoratioren – unter ihnen etwa der aus dem Politikbetrieb ausgeschiedene und 2016 verstorbene Altbürgermeister Henning Voscherau (SPD), seit Kindestagen ein glühender Hagenbeck-Fan.

Doch Caroline erkrankt an Krebs. Sie stirbt 2005 im Alter von nur 46 Jahren. Zur Trauerfeier kommen mehr als 600 Gäste. Der Tierpark steht seither im Schatten eines Machtkampfs zwischen zwei Männern, die vielleicht brüllen können wie Löwen, aber sich die kompromisslose Hingabe für die Sache von der Enkelin einfach nicht rechtzeitig abgeschaut haben.

Die Rollenvertauscherin: Jenny Gruner

„In der Wohnung ihrer Großeltern gab es viel zu entdecken.“ So beginnt ein Porträt über sie, das die „Süddeutsche Zeitung“ vor einiger Zeit gebracht hat. Gemeint war Jenny Gruner. Der Grund für die ausführliche Beschreibung dessen, was diese Frau prägt und wie sie tickt, ist eine Außergewöhnlichkeit: Jenny Gruner sitzt an leitender Stelle in einem Unternehmen, das eigentlich tief in der Männerwelt verankert ist. Es geht um Schiffe und Handel, um Container und Kaufleute. Jenny Gruner ist fürs digitale Marketing bei der Reederei Hapag-Lloyd verantwortlich.

Hapag-Lloyd ist jener Laden, der gerade mehr als 18 Milliarden Euro ausgewiesen hat – Gewinn, nicht Umsatz. Allein die Gewerbesteuereinnahmen, die Hamburg durch die in der Hansestadt beheimatete Reederei erzielt, lassen Kämmererherzen höherschlagen. Die Reederei ist vom Ergebnis her betrachtet, derzeit das erfolgreichste Unternehmen Deutschlands, und Gruner hat daran ihren Anteil.

Ihr Großvater, Schiffskapitän aus Rostock, hatte Souvenirs aus all den Ländern gesammelt, die er ansteuerte: Kuba, Brasilien, Venezuela. Was er wann, wohin zu bringen hatte, erfuhr er per Telefon, per Telegramm und Brief – oder er holte sich seinen Auftrag persönlich im Büro ab. Gruner, die Enkelin, arbeitet an einem Programm auf der Webseite von Hapag-Lloyd, mit dem sich Kunden in Echtzeit für verschiedene Containertypen ein Angebot einholen können. Sie ist dafür verantwortlich, diesen Prozess den Kunden in 144 Ländern schmackhaft zu machen. Sie bestimmt den Kurs beim Eintritt in ein neues Zeitalter für ein Unternehmen, das sich vor allem mit Tonnage, Kränen und schweren Kisten auskennt, die einmal um die Welt geschippert werden müssen.

Sie beschäftigt sich viel mit ihrer Rolle. „Es gibt noch immer dieses klassische Rollendenken, dass Mädchen nicht gut in Mathe sind und so weiter“, sagt sie. Das liege auch daran, dass die Rollenbilder fehlten. Sie selbst bezeichnet sich als „Digitalholic“, als „Brückenbauerin“ in eine neue digitale und diverse Welt. Es gehe darum, die Menschen zu verändern, „die Organisationen, die Kultur und das Mindset und darauf Einfluss zu nehmen.“

 

Das Vorbild: Verena Pausder

Gründerin, Autorin, Aufsichtsrätin Verena Pausder stammt aus der Dynastie des Textilunternehmens Delius aus Bielefeld. Die inzwischen weitverzweigte Gruppe feierte 2022 ihr 300-jähriges Bestehen, und es gibt eines dieser typischen Familienbilder mit Verena Pausder, auf dem alle lachen.

„Ich bin optimistisch und ein positiver Mensch“, sagt sie. Das bewahrt aber nicht vor Selbstzweifeln. Einige Hunderttausend Euro hatte Pausder einst von Investoren eingeworben, den eigenen Bausparvertrag obendrauf getan und ihren Job beim Rückversicherer Munich Re gekündigt. Sie wollte eine Salatbar-Kette aufbauen, suchte dafür Immobilien in Innenstadtlage. Doch die Konkurrenz um die Flächen war groß. Das neue Unternehmen kämpfte, irgendwann ging das Geld aus, eine Filiale gab es nie. „Da hatte ich das Gefühl: Alle machen Karriere, und ich setze eine Salatbar in den Sand“, sagt sie heute.

Sie hat diese Erfahrung in einem Buch verarbeitet, das ein Bestseller wurde. Darin steht: „Unternehmertum ist die beste Möglichkeit, etwas in die Hand zu nehmen, etwas auszuhalten, gerade auch Rückschläge, die Regeln neu zu definieren und zu erleben, wie stolz es einen macht, ein Unternehmen aufzubauen und Arbeitsplätze zu schaffen. Leider lassen sich immer noch zu wenige davon anstecken.“ Viele seien „im besten Salatbar-Alter – und wollen Sicherheit“.

Pausder hat sich darauf verlegt, ihre Erfahrungen als Unternehmerin und Enkelin weiterzugeben in Büchern, mit einer Lern-App für Kinder, mit einer Plattform für digitale Bildung, mit ihrem Verein Digitale Bildung für Alle. Sie setzte sie sich dafür ein, dass Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften in der Elternzeit, bei Krankheit oder Pflege von Angehörigen eine Zeit lang ihr Mandat niederlegen können. Im Juni 2021 wurde diese Forderung durch eine Gesetzesänderung umgesetzt.

Claas, Bahlsen, Hagenbeck, Gruner, Pausder: fünf Enkelinnen, fünf Wege, etwas zu unternehmen. Voranzukommen, zu scheitern, und daraus seine Schlüsse zu ziehen. Gibt es Gemeinsamkeiten? Auf jeden Fall die: Keine dieser Enkelinnen macht es sich leicht. Das gemachte Nest wollen sie alle verändern.

 

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