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Personal > Ruhestandsgehalt

Graichens Abfindung ist bescheiden – verglichen mit dem, was er anderswo bekommen könnte

Der geschasste Staatssekretär fällt finanziell weich. Sind seine Ruhestandsbezüge gerechtfertigt? Im Vergleich zu dem, was Spitzenkräfte im Mittelstand und anderswo ausgezahlt bekommen, sind sie sogar bescheiden. Überhaupt: Was Graichen vorgeworfen wird, gilt außerhalb der Politik oft als der Normalfall.

Patrick Graichen, ehemaliger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium
Patrick Graichen (l.) musste als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium gehen. Wie angemessen ist seine Abfindung? Bild: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Patrick Graichen ist als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Geschichte. Nachdem sein Dienstherr Robert Habeck den 51jährigen in der vergangenen Woche in den einstweiligen Ruhestand versetzt hat, ist die Aufregung aber nicht vorbei. Jetzt geht es um sein Ruhestandsgehalt und seine Pension – alles in allem eine Summe von womöglich mehr als zwei Millionen Euro verteilt über mehrere Jahrzehnte. Ist das für einen geschassten Beamten zu hoch?

Die Antwort ist: nein. Das Geld steht ihm zu. Und die Summe ist zudem verglichen mit dem, was in privaten Unternehmen für Abgänge auf Führungsebene bezahlt wird, eher bescheiden. Die Erklärung für diese Einschätzung lautet so:

Graichen hat wenig Sensibilität gezeigt, als er sowohl in Habecks Ministerium wie auch bei wichtigen Dienstleistern der Behörde immer wieder mit Verwandten und persönlichen Freunden zusammenarbeitete. Das brachte ihm politischen den Vorwurf der „Vetternwirtschaft“ ein, ist aber juristisch kaum zu beanstanden. Etwas anderes war die Prüfung eines Projektantrags des BUND-Landesverbands-Berlin, in dessen Vorstand seine Schwester, Verena Graichen, sitzt. Hier hätte sich der Staatssekretär völlig raushalten müssen, was er aber nicht getan hat. Geld ist hier, nach allem, was bekannt ist, bislang aber nicht geflossen.

Graichen hat also weder eine Straftat begangen, noch ist sein Verhalten disziplinarisch wirksam und schnell zu verfolgen. Weil er politisch aber nicht mehr haltbar war, blieb Habeck als einzige Möglichkeit, ihn in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Hätte der Minister als Dienstherr ein Disziplinarverfahren angestrengt, an dessen Ende die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis stehen kann, hätte diese Entscheidung per Gerichtsbeschluss fallen müssen. So ein Verfahren kann sich über mehrere Instanzen erstrecken, wobei eine Instanz an die andere zurückverweisen kann. Es dauert absehbar Jahre.

Die Versorgung von Beamten im einstweiligen Ruhestand ist klar geregelt. Grundsätzlich gilt, dass sie in den ersten drei Monaten nach ihrer Entlassung weiterhin die gleiche Bezahlung erhalten, die ihnen auch am Tag vor ihrer Versetzung zustand. Staatssekretäre, wie Patrick Graichen es einer war, erhalten in der Besoldungsstufe elf laut Besoldungstabelle ein Grundgehalt von rund 15.000 Euro. Das heißt also, dass Graichen 45 000 Euro bekommt. Zudem steht ihm laut Gesetz über die Versorgung von Beamten ein Ruhegehalt zu, dessen Höhe sich nach Dauer der Zeit richtet, die er das Amt, aus dem ausgeschieden ist, zuvor innegehabt hatte. Rund 70 Prozent der Bezüge erhält Graichen danach für 17 Monate weiter, 185 000 Euro kommen hier noch einmal zusammen. Schließlich erhält Graichen, der 2001 seine Laufbahn als Beamter im Umweltministerium begann, eine Pension, deren Höhe bis zu 35 Prozent seiner letzten Dienstbezüge betragen kann. Angenommen Graichen bezieht dieses Geld 30 Jahre, kommen hier über die Jahrzehnte knapp zwei Millionen Euro zusammen.

Das klingt viel, ist aber verglichen mit der Realität in privaten Unternehmen keine außergewöhnliche Summe. Überhaupt ist der ganze Fall, wenn er in einem nicht börsennotierten Unternehmen passiert wäre, wahrscheinlich nicht einmal der Rede wert. Die Realität im Land des Mittelstands und der Familienunternehmen sieht so aus: Ob in der Wirtschaft, in der Politik, der Kultur oder den Medien - jeder lebt von seinem Netzwerk.  Family and Friends, Empfehlung statt Ausschreibung, eine Hand wäscht die andere, es ist der menschliche Faktor. Gerade Familienunternehmen leben davon, dass sie sich untereinander vernetzen, es gibt unzählige Organisationen wie „The family business network“ oder die „Stiftung Familienunternehmen“, die genau das unterstützen. Innerhalb solcher Unternehmen sitzen enge Verwandte oft Seite an Seite und steuern den Betrieb.

Standard im Unternehmer-Small-Talk ist zudem der Spott über Gehälter in der Politik. Führungskräfte in Konzernen verdienen ein Vielfaches von dem, was sie in der Politik erreichen könnten, bei einer etwa gleichen Arbeitsbelastung – mit dem einzigen Unterschied, dass das Geld nicht vom Steuerzahler, sondern aus dem Unternehmensumsatz oder von Investoren stammt, die bewusst Risiken eingehen. Die dreimonatige Fortzahlung der vollen Bezüge von rund 15 000 Euro, die Graichen erhält, entspricht exakt der dreimonatigen Kündigungsfrist, wie sie in Unternehmen Mindeststandard ist. Und ein Spitzenmanager, der nach mehr als 20 Jahren Firmenzugehörigkeit das Unternehmen verlässt, kann mit einer Millionenabfindung rechnen, deren genaue Höhe meist in einem Aufhebungsvertrag festgelegt wird. Über Graichens Ansprüche können jene Manager, die mit einem goldenen Handschlag nach Hause gehen, auch wenn sie Millionenwerte ihre Aktionäre vernichtet haben, nur lächeln. Kasper Rorsted, kürzlich abgetretener Chef von Adidas, ging mit satten 16 Millionen Euro nach Hause, obwohl sich der Aktienkurs in den vergangenen zwei Jahren fast halbiert hat. Jennifer Morgan erhielt vom Softwarekonzern SAP rund 15 Millionen Euro dafür, dass sie ihren Ko-Vorstandsposten nach einem halben Jahr schon wieder räumte. Das sind rund 83.000 Euro je Arbeitstag.

Auch gegenüber dem, was in öffentlich-Rechtlichen Systemen wie dem Rundfunk verdient wird, ist Graichen ein Waisenknabe. So gelt noch im letzten Jahr für den Programmdirektor des Sender Radio Berlin-Brandenburg, der eine Basisvergütung von 215.000 Euro erhält folgendes: „Das Ruhegeld beträgt am Tag des eigentlichen Vertragsbeginns 45 Prozent der Basisvergütung und steigt mit jedem weiteren vollendeten Dienstjahr um einen Prozentpunkt bis zur Höchstgrenze von 60 Prozent der letzten vertraglich vereinbarten Basisvergütung." Danach waren nach einem Tag Arbeit in der Position lebenslang 8000 Euro monatlich an Ruhestandsgehalt möglich – Geld, das die Gebührenzahler aufbringen müssen.

Graichens Ansprüche sind verglichen damit nahezu bescheiden, zumal er nach dieser Affäre als Topbeamter in den nächsten Monaten keine neue Verwendung finden dürfte.

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