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Personal > Homeoffice

Hilfe, ich will nicht zurück ins Büro!

Nach einem Jahr Homeoffice scheiden sich die Gemüter. Kommunikation, Kontrolle und Machtgefüge zwischen Mitarbeitern, Chefs und Betriebsräten ändern sich dauerhaft.

Erst schubsten sie ihn, dann sank er hin ins Homeoffice. Jetzt will Stefan Breitenbach* nicht mehr zurück ins Büro."Ich hätte nicht erwartet, dass ich auch auf Dauer in meinem kleinen Arbeitszimmer so viel effektiver arbeiten kann als im Großraumbüro", sagt der IT-Experte aus dem Taunus. Eigentlich pendelt er täglich mit dem Auto in eine Frankfurter Bank, arbeitet neue Tickets der vielen Kollegen mit IT-Problemen oder Beschaffungswünschen ab."Der virtuelle Austausch klappt mit den Kollegen und in unserem Team. Das belegen die Zahlen: Wir sind seit Monaten produktiver als vor der Pandemie."

Nun hat Breitenbach auch Glück im Leben: ein nettes Reihenhaus und eine glückliche Ehe. Die neue Distanz zum Büro – und seinem durchaus eigenwilligen Chef – tun ihm und der Ehe gut."Ich werde alles daran setzen, nach der Pandemie zumindest für drei Tage die Woche weiter im Homeoffice arbeiten zu können", sagt der 54-Jährige. Mit der Gelassenheit, mit der er sonst IT-Probleme erfolgreich in kleine Aufgaben zerlegt. Auch wenn 2021 bei den meisten Arbeitnehmern massive Ernüchterung über tatsächliche und angebliche Vorteile der Heimarbeit eingetreten ist: Dieses Rad können die Unternehmen nicht mehr zurückdrehen.

Rund ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland hat sich häuslich eingerichtet. Hat die eigene IT aufgerüstet, den Zoom-Knigge gelernt und Kind, Katze, Hund aus dem eigenen Office verbannt. 68 Prozent der Betroffenen begrüßen die flexiblere Arbeitszeit, so eine eben veröffentlichte Studie der DAK Gesundheit. Das stellt alle Beteiligten vor eine Vielzahl von Rechts- und Machtfragen. Nicht nur auf Ebene der Betriebe, auch in der Politik. Worauf müssen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber jetzt dauerhaft einstellen?

Mitarbeiter ohne Rechtsanspruch

Es gibt bis auf wenige Ausnahmen keinen Anspruch auf Homeoffice, erklärt Jannis Kamann, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kölner Kanzlei michels.pmks. Er warnt vor allzu großer Überschwänglichkeit:"In der Regel wird es so sein, dass der Arbeitgeber nach billigem Ermessen das Homeoffice wieder beenden kann. Denn gerade in der besonderen Situation wird man nicht davon ausgehen können, dass der Arbeitgeber sich auf Dauer binden wollte. Ihm obliegt noch immer das Direktionsrecht in Bezug auf den Ort der Arbeitsleistung." Was es nicht einfacher macht:"Meist finden sich aber auch in den Homeoffice-Vereinbarungen Widerrufsrechte, wonach der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter dem Vorbehalt billigen Ermessens zurückholen darf. Zudem wird in der Regel auch eine Ankündigungsfrist zu wahren sein."

Unternehmern empfiehlt Kamann – um jeglichen Konflikt zu vermeiden – eine solche Klausel grundsätzlich aufzunehmen. Ein paar Wochen Homeoffice sind ein abwechslungsreiches Provisorium. Ein paar Monate Heimarbeit sind ein gesundes Trainingslager für die eigene Disziplin. Aber ein Jahr Leben und Arbeiten unter einem Dach ist für viele Menschen ein Kampf geworden. Nach einem Jahr Covid-19 zeichnet sich ab: Psychischer Druck, Überlastung, ständige Erreichbarkeit, fehlende Weiterbildung und Karrierenachteile können zur anderen Seite der Medaille werden. Für Psychologen ist das Corona-Jahr ein großer, unerwarteter Feldversuch. Entsprechend publizieren sie jetzt Studien: Was macht das Homeoffice mit Körper und Seele?

In Kürze: alles nicht so einfach mit der Work-Life-Balance im Homeoffice. 40 Prozent der Befragten gaben in einer Studie an, sich antriebslos und müde zu fühlen. 46 Prozent arbeiten daheim länger als im Büro. 25 Prozent fühlen sich gestresst. 23 Prozent können Privatleben und Beruf nicht mehr voneinander trennen. 20 Prozent haben ein schlechtes Gewissen, sobald sie Pause machen. Über körperliche Folgen berichtete eben erst die Krankenkasse DAK:"Wenn Beschäftigte im Homeoffice regelmäßig über ihre Grenzen gehen, besteht langfristig das Risiko einer Über- und Fehlbelastung", sagte DAK-Chef Andreas Storm. Es müsse für Arbeitgeber ein"Warnsignal" sein, wenn sich Überstunden häuften. Hier seien auch Vorgesetzte in der Fürsorgepflicht.

Laut seiner Studie bieten nur 13 Prozent der Betriebe ihren Mitarbeitern Schulungen zum Arbeiten und Überleben im Homeoffice an. Dabei müsse auch"gesundes Selbstmanagement" Thema sein, forderte Storm. Der Prüfkonzern Dekra wollte wissen, wie es den Menschen körperlich ergeht. Das ernüchternde Ergebnis: Mehr als ein Drittel klagt über körperliche Beschwerden aufgrund eines schlechten Arbeitsplatzes. Hinzu kommt, dass sich Homeworker auch mit Themen wie Büroausstattung, IT-Sicherheit, Datenschutz und Versicherungsschutz im Fall eines Unfalls auseinandersetzen müssen. Da sind die neuen Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) nicht verwunderlich. Wollten im November 2020 noch 56 Prozent der Befragten im Homeoffice bleiben, waren es schon im Januar nur noch 49 Prozent. Im November wollten 12 Prozent so schnell wie möglich ins Büro zurück, im Januar waren es 15 Prozent.

Ausgebremste Betriebsräte

Nicht nur Chefs haben jetzt weniger Zugriff auf Mitarbeiter. Mobiles Arbeiten wird auch zum Top-Thema betrieblicher Mitbestimmung. Vertrauliche Gespräche per Videochat, virtuelle Analysen zur Gefährdungslage oder virtuell gefasste Beschlüsse machen es den Betriebsräten und -rätinnen nicht leichter."Organizing und Campaining" über neue Kommunikationsplattformen" nennt die Gewerkschaftsspitze das neue, interne Anforderungsprofil. Doch noch sind die Betriebsräte so wichtig wie lange nicht. Absprachen zum Homeoffice werden in der Regel über Betriebsvereinbarungen zwischen Betriebsrat (so vorhanden) und Unternehmensführung festgelegt. Aus Sicht der Gewerkschaften ist die Ausgestaltung von Arbeit im Homeoffice ein Teil der Arbeitsorganisation – und damit mitbestimmungspflichtig. Schwieriger gestaltet es sich für die Arbeitnehmervertreter, den Kontakt zur ausgeflogenen Belegschaft künftig aufrechtzuerhalten.

"Noch ist nicht abschließend geregelt, wie wir beispielsweise Zugriff auf elektronische Zugangsmöglichkeiten zu den Kollegen bekommen", warnt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk, "beispielsweise über die Mailadressen der Belegschaft. Wir brauchen einen diskriminierungsfreien Zugang. Wir sehen jetzt schon im Kleinen, wie schwierig es in manchen Unternehmen ist, an die Menschen heranzukommen." Deren Interessen werden künftig womöglich noch mehr als bisher auseinanderlaufen. Zum Beispiel zwischen weißen Krägen mit Recht auf Homeoffice und blauen Krägen, für die die neue Freiheit in der Produktion unmöglich ist. Zwischen Digital Natives, die sich wie Fische im Wasser auf allen elektronischen Kommunikationskanälen bewegen, Introvertierten, die sich ebenda verloren fühlen, oder Extrovertierten, die SchniPo weiß-rot und Kollegenklatsch vermissen.

Unglaubwürdige Arbeitgeber

Arbeitgeber betrachten die neue Heimarbeit weniger positiv, als es sich viele ihrer Mitarbeiter erhoffen. Vor allem Betriebe mit weniger als 250 Mitarbeitern sind skeptisch. Sie sehen darin mehrheitlich eine temporäre Lösung. Das Jobportal Indeed hat untersucht, wie viel Prozent der ausgeschriebenen Stellen im Frühjahr 2021 die Option unbefristeter Heimarbeit boten: ganze acht Prozent. Eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft fand vor Kurzem heraus, dass – anders als noch im Herbst 2020 erwartet – nur sechs Prozent der Unternehmen ihre Büroflächen verkleinern wollen. Zwei Drittel der befragten 1200 Unternehmen wollen nach der Coronakrise wieder zum alten Etagen-Modus zurück. Aber: Wer bisher seinen Mitarbeitern Aufgeschlossenheit für das Thema New Work abverlangt hat, muss jetzt selbst glaubwürdig liefern.

HR-Abteilungen wissen das. Sie stehen vor Herausforderungen wie Onboarding, wenn die halbe Mannschaft fehlt, unbetreuten Praktikanten und ermüdender Online-Weiterbildung. Die vielleicht größte Aufgabe im Kommunikationszeitalter: den formellen und informellen Informationsfluss von der Unternehmenszentrale bis zum letzten Küchentisch sicherzustellen. Zum Beispiel – noch vor Slack und Co – über das Intranet. Besser gesagt: das neue Intranet, denn vor allem in vielen kleineren Unternehmen ist es noch immer nicht viel mehr als ein elektronisches Schwarzes Brett. Adressverzeichnis, Kantinenmenü, Betriebsmitteilungen. Für Silke-Christina Kummer, Geschäftsführerin von Indego, einem Plattform-Spezialisten für cloudbasierte Intranetlösungen, ist das spätestens jetzt, in der Corona-Pandemie, aus der Zeit gefallen."Es ist kein technisches Problem, das Intranet zu einer interaktiven Kommunikationsplattform für und zwischen allen Unternehmensebenen aufzuwerten. Das ist ein wesentlicher Bestandteil transparenter Kommunikation, verbunden mit dem Aufruf an alle, sich daran zu beteiligen".

In der Pflicht, diese Entwicklung voranzutreiben, stehen aus Sicht der Netzwerk-Expertin die Unternehmensführung in Kombination mit Personalabteilung, interner Kommunikation und Betriebsrat."Sie alle müssen im kulturellen Wandel als Vorbild vorangehen", glaubt Kummer."Und jemand muss dafür klar verantwortlich zeichnen." Dann klappe es auch mit dem Teamgeist."Der positive Impact eines modernen Intranets wird sehr unterschätzt. Es motiviert die Mitarbeiter, fördert den Austausch und löst alte Silos auf."

Eine nicht zu unterschätzende Frage im Homeoffice ist: Wer zahlt, wenn dort ein Kollege während der Arbeitszeit zu Schaden kommt? Das Problem sind die Vorgaben der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Schutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten für Festangestellte gilt grundsätzlich auch für Telearbeit und mobiles Arbeiten. Vorausgesetzt, es besteht ein sogenannter innerer Zusammenhang. Soll heißen, Arbeit und Unfall müssen in direktem Zusammenhang stehen. Wer beispielsweise auf dem Weg zur heimischen Toilette oder zum Drucker nebenan über eine Teppichkante stürzt, der ist in der Regel versichert. Beide Optionen dienen dem Erhalt der Arbeitskraft.

Wer sich aber wegen seines steifen Rückens von zu viel Bildschirmarbeit verstolpert, wenn er kurz den Müll rausbringt, bei dem hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Das klingt bürokratisch, kann aber für den Betroffenen finanzielle Auswirkungen haben. Solche Fälle beschäftigen das Bundessozialgericht. Entscheidend für die Zukunft des Homeoffice werden aber nicht die Rechtslage, das neue Mindset oder interaktives Internet sein. Am wichtigsten ist es, Führungskräfte im Umgang mit den neuen technischen und menschlichen Anforderungen an sie zu schulen. Wenn das nicht geschieht, ist die neue Art der Arbeit langfristig zum Scheitern verurteilt.

*Name von der Redaktion geändert.

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