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Personal > Fachkräftemangel

Ich bin dann mal weg: Wie Unternehmen eine Kündigungswelle verhindern

Der Arbeitsmarkt scheint leergefegt: Unternehmer finden niemanden für freie Stellen. Zudem sind die Deutschen immer unzufriedener mit ihren Jobs. Was Arbeitgeber tun müssen, um ihre Leute bei der Stange zu halten.

Frau zeigt Stinkefinger
Die Welt kann mich mal: Viele Arbeitnehmer kündigen derzeit Ihren Job.Bild: picture alliance / Westend61 | Rafa Cortés

Wie genau nimmt man Mitarbeitende mit?

Die einen sprechen von „The big Quit“, dem großen Abschiednehmen. Die anderen nennen sie: „The Great Resignation“, die große Kündigungswelle. Dahinter stehen nicht etwas Arbeitgeber, die massenhaft ihren Angestellten den Laufpass geben. Wer derzeit viel öfter die Kündigung einreicht - das sind qualifizierte Arbeitskräfte, die einfach aufhören, denen es zuviel wird, die nicht mehr glauben, da, wo sie sind, einen guten Job machen zu können. Zuviel wird, die nicht mehr glauben, da, wo sie sind, einen guten Job machen zu können.

Die Beratungsfirma PWC, ehemals Price Waterhouse Coopers, hat 52.000 Arbeitnehmer in mehr als vierzig Ländern nach ihren Wünschen und Hoffnungen befragt, nach der Vorstellung von ihrer Zukunft im Beruf. Heraus kommt ein Bild, das auch in ähnlichen Studien landauf, landab hervorscheint. Wunsch und Wirklichkeit driften auseinander, und nicht immer sind es die Wünsche, die daran schuld sind. Manchmal ist es die Wirklichkeit.

Anspruchsvolle Klientel

Allerorten in Deutschland schlagen die Dienstleistungsbranchen, der Handel, die Gastronomie und das Handwerk Alarm. Der Arbeitsmarkt scheint leergefegt, dabei herrscht doch keineswegs Vollbeschäftigung wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders, an die siebzig Jahre ist das nun her. Aber die Kunden der Arbeitsagentur, die Stellensucher bei den privaten Vermittlern, gar die Klientel der Headhunter, wo Führungskräfte Fühlung aufnehmen - sie alle sind offenbar wählerischer geworden. Lange und anstrengende Arbeitszeiten, Kundendienst für die immer öfter mäkelnde Klientel, teils auch eine als schlecht empfundene Bezahlung in Zeiten hoher und höherer Inflation, das sind vordergründig Argumente von Betroffenen, bestimmte Stellenangebote gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Andere reichen ihren Abschied ein und gehen für immer: Teilzeitkräfte, deren Beitrag zum Haushaltseinkommen nicht mehr so wichtig ist, weil das Häuschen abbezahlt oder die Kinder aus dem Haus sind. Ältere und damit ausgerechnet erfahrene Servicekräfte, die den Ruhestand vorverlegen, fehlen hinter dem Schalter oder an den Regalen. Und nicht zu vergessen: Mehr als 200.000 Deutsche wandern jedes Jahr aus, keineswegs nur Rentner, und suchen andernorts einen neuen Anfang.

Diese Erkenntnisse bestätigt auch Kim Parker, Forscherin am amerikanischen Think Tank PEW. Etwa vierzig Prozent der von ihrem Team Befragten, die im vergangenen Jahr den Job wechselten oder aus dem Arbeitsleben ausschieden, gaben eine zu hohe Zahl an Arbeitsstunden als Hauptgrund an. Hinzu kam die Corona-Pandemie, die das Berufsleben quer durch alle Branchen beeinträchtigte und vielerorts für Frustration sorgte. Dies deckt sich mit Erkenntnissen der PWC-Studie, die eine höhere Unzufriedenheit bei jenen Arbeitskräften feststellte, die nicht über einen Schreibtisch am Arbeitsplatz verfügen – somit alle, die keine Heimarbeit leisten können. Und das sind genau jene, nach denen nun händeringend gesucht wird. In den Lagern der Logistik, an den Regalen des Handels, im Produktionsteam bei Autoherstellern und Maschinenbauern. Das international tätige Gallup-Institut, bekannt für Umfrageforschung, stellt im Gefolge der USA nun auch in Deutschland eine höhere Wechselbereitschaft bei den Arbeitnehmern fest. Der Arbeitsmarkt werde schwankungsanfälliger, sagt Gallup. Knapp ein Fünftel der Beschäftigten sehen sich im Laufe der nächsten drei Jahre nicht mehr am jetzigen Arbeitsplatz, immerhin fünfzehn Prozent sind aktiv auf Jobsuche. Jeder sechste Arbeitnehmer in Deutschland hat bereits innerlich gekündigt. Nur 16 Prozent der Beschäftigten fühlen sich mit Ihrem Arbeitgeber verbunden. Mitarbeiterbindung geht anders. Der Gallup's Engagement Index rechnet erbarmungslos mit der Personalarbeit deutscher Unternehmen ab.

Weckruf für Arbeitgeber

Einen „Weckruf für Arbeitgeber“ nennt auch PWC die Ergebnisse seiner Studie. Weltweit haben die Forscher aber natürlich auch gefragt: Was lässt sich gegen den Mangel tun? Dabei kamen, ganz klar, Unzufriedenheit mit der Bezahlung und zu hohe Arbeitsbelastung heraus. Aber vor allem auch die sogenannten „weichen Faktoren“: Mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte, zum Beispiel. Oder der Wunsch, den Wert und Nutzen der eigenen Tätigkeit besser vermittelt zu bekommen in seiner Bedeutung für das Gesamtbild des Unternehmens.

Familienunternehmen im Vorteil?

Hinzu kommt der Wunsch nach konkreten Angeboten des Arbeitgebers, die das Alltagsleben der Beschäftigten erleichtern. Kinderbetreuung steht da ganz vorne, ebenso die Möglichkeit, zeitweise weniger zu arbeiten. Es sieht ganz danach aus, als müssten sich viele Firmen zu diesen Themen mehr Gedanken machen als bisher. Im Vorteil sein sollten dabei eigentlich die traditionell bedeutendsten Arbeitgeber mit den meisten Beschäftigten in Deutschland, nämlich die Familienunternehmen. In vielen von ihnen gibt es einen weitaus kürzeren Draht zwischen Belegschaft und Chefs als in anonymen Großkonzernen. Eine Verbesserung des Klimas hier könnte gleich auch noch einen ganz konkreten Nutzen für die Firmenbilanz bringen, denn einige Frustration wird auch dadurch erzeugt, dass Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter versanden im Getriebe, auch wenn sie nachweislich zur Qualität der Verfahren und des Produkts beitragen könnten.

Schnelle Lösungen aber verspricht keiner der Experten. In Deutschland spielt nämlich auch noch die Demographie eine Rolle, die den Ruhestand der größten aktiven Gruppe am Arbeitsmarkt, der sogenannten Babyboomer-Jahrgänge in den allernächsten Jahren erzwingt. Paradoxerweise gibt es nach wie vor zahlreiche Branchen, und vor allem den Öffentlichen Dienst, der vielfach einen Ruhestand ab der Altersgrenze kategorisch durchsetzt – Professoren, die an ihrer Universität ausscheiden und im Ausland mitunter noch zehn oder fünfzehn Jahre weiterforschen und lehren, sind ein berühmt-berüchtigtes Beispiel. Arbeitgeber tun also gut daran, mit Blick auf die Zukunft ihres eigenen Unternehmens neue Wege auszuprobieren. Neben der fast selbstverständlich klingenden Forderung nach Wertschätzung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören dazu flexible Lösungen, stetes Hineinhorchen in die Bedürfnisse von Kunden wie Beschäftigten, das Aufzeigen von Chancen und Möglichkeiten für die Angestellten. Gute Bezahlung ist da nur ein weiterer Faktor, der vor allem in Zeiten der Inflation die Furcht vor Einschränkungen im Alltagsleben mildern kann. Für Branchen, wo oft am finanziellen Limit gewirtschaftet wird, ist letzteres natürlich keine gute Nachricht, und Preiserhöhungen sind nicht überall durchsetzbar.

In Zeiten von Umbrüchen - seien es Digitalisierung, Globalisierung oder gar deren Zurückdrehen, neuer Formen des Zusammenlebens und -wirtschaftens - steigt natürlich die Unsicherheit auf allen Seiten, und mancher, der kündigt, weiß zunächst nicht einmal, welche Zukunft er sich überhaupt vorstellt. Womöglich reizt diese, zeitweise aus dem Arbeitsleben Ausgeschiedenen, aber auch eine kreative Gestaltung des möglichen neuen Arbeitsplatzes. Auch einfachere Tätigkeiten müssen nicht dröge sein. Oft ist nur bisher niemand mit Phantasie an die Frage herangegangen. Die „Employee Experience“ tagtäglich zu verbessern, sagt Uwe Göthert, Geschäftsführer des Trainingsanbieters Dale Carnegie Deutschland, das sei eine künftige Managementaufgabe ersten Ranges. Und für viele Firmen die Entscheidung über Aufstieg oder Untergang.   

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