IG Metall-Chefin warnt: Deutschlands Industrie droht der Kollaps!
Barbara Resch, Chefin der mächtigen IG Metall Baden-Württemberg, spricht über zähe Politik, neue Tarifansätze und betont: "Wir müssen klar sagen, dass wir Industrie brauchen!"
Frau Resch, Sie sind seit einem halben Jahr an der Spitze der IG Metall Baden-Württemberg. Was hat sich in der Zeit für Sie verändert?
Ich habe jetzt weniger Freizeit. Vorher war ich leitende Tarifsekretärin in Baden-Württemberg, was natürlich auch kein langweiliger Job ist. Ganz im Gegenteil. Nun aber kommt der Austausch mit der Politik hinzu. Sowie viele interne Themen - beispielsweise personelle Fragen - die es zu regeln gilt. Das alles nimmt viel Zeit und Energie in Anspruch. An manchen Abenden gehe ich echt kaputt nach Hause. Aber ich kann Dinge bewegen. Das macht total Spaß und ich bereue den Wechsel nicht, ganz im Gegenteil.
Sie haben zum Amtsantritt gesagt, dass Sie mehr in die Basis gehen wollten. Was machen Sie konkret?
Ich bin viel in Baden-Württemberg unterwegs und im ständigen Austausch mit unseren 27 Geschäftsführern/-innen vor Ort. Und natürlich führe ich immer wieder Diskussionen in den Betrieben. Denn wir wollen noch näher an die Beschäftigten ran und werden deshalb im gesamten Südwesten in gezielten Aktionen mit Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern sprechen. Ich kann dabei auf viele tolle Leute bei uns im Team bauen. In der Bezirksleitung aber gerade auch in der Fläche.
Was ändert sich an der Basis?
Betriebsräte stehen heute vor immer komplexeren Aufgaben und Herausforderungen. Da kann man echt nur den Hut ziehen. Denken Sie nur an die Transformation, die in vielen Betrieben noch gar nicht richtig angekommen ist. Zudem fordern die Beschäftigten, die ja häufig selber unterschiedliche Erfahrungswelten mitbringen, stärker als zuvor Beteiligung und Mitsprache ein – was auch richtig und notwendig ist! Das verändert nicht nur die Arbeit der betrieblichen Interessenvertretungen. Auch wir als IG Metall müssen uns anpassen und verändern.
Die Tarifexpertin
Barbara Resch ist seit Februar Bezirksleiterin der IG Metall in Baden-Württemberg. Es ist ein mächtiges Amt, das zuvor bekannte Gewerkschafter wie Franz Steinkühler, Walter Riester, Bertold Huber Jörg Hofmann und zuletzt Roman Zitzelsberger innehatten.
Die 49-Jährige hat 1991 bei Agfa im oberbayrischen Peißenberg eine Ausbildung als Kommunikationselektronikerin begonnen. Seit 2001 ist sie in der IG Metall aktiv. In Bayern und später in Baden-Württemberg hat sie sich auf die Tarifpolitik spezialisiert. So saß sie auch 2022 bei den Verhandlungen zum Pilotabschluss mit am Tisch.
Transformation bedeutet neue Technologien und viele strategische Fragen. Stoßen Betriebsräte nicht an die Grenzen des Machbaren? Wie begegnen Sie dem?
Wir wollen und müssen vor die Welle kommen, aktiv werden. Beispielsweise durch einen Zukunftscheck, den wir entwickelt haben. Damit helfen wir Betriebsräten/-innen, die Situation des Unternehmens und dessen Perspektive zu analysieren. Nur so können sie auch sinnvoll mitbestimmen, wo die Reise hingehen muss. Dazu haben wir natürlich auch ein breites, auf die Bedürfnisse angepasstes Bildungsangebot. Von Einheiten zu Betriebswirtschaft, Recht oder Technologiefragen, oder auch zur Ansprache von Beschäftigten. Als Gewerkschaft müssen wir vor Ort aktiv und erlebbar sein. Mit Formaten wie Betriebsratssprechstunden, Rundgängen oder Befragungen. Wie haben momentan viele junge Leute, die gerade den Generationswechsel vollziehen. Die müssen sich viel Wissen aneignen, von Entgeltgestaltung über Arbeitsorganisation bis zu den bereits erwähnten Zukunftsprodukten.
Was hat Sie bisher am meisten überrascht?
(Lacht) Ich hätte nicht gedacht, wie zäh das Politik-Geschäft ist. Ich komme aus der Tarifpolitik. Die ist strukturiert. Und man wird am konkreten Ergebnis gemessen. Entsprechend klar erlebt man auch Kritik, die es immer gibt. Insgesamt ist diese Arbeit also messbarer. Manchmal muss ich über mich selbst schmunzeln, weil ich nach einem politischen Gespräch schnell die nächsten Schritte angehen will. Tatsächlich ist es aber das Bohren ganz dicker und oft harter Bretter. Bei manchen Terminen ist der Austausch gut und wichtig, aber das Ergebnis eben wenig konkret.
Haben Sie den Eindruck, dass man in Berlin überhaupt verstanden hat, was aktuell wirtschaftlich passiert und wo die Probleme denn tatsächlich sind?
In der Tiefe häufig nicht hinreichend. Hinzu kommt, so nehme ich das wahr, ein Vertrauensverlust zwischen der Politik und den Managern. Denken Sie nur an den Dieselskandal.
Aber gerade mittelständischen Zulieferer beschreiben doch klar die Nöte: Energiekosten, Fachkräftemangel, Bürokratie oder Absatzprobleme. Doch sie haben den Eindruck, Berlin hört nicht zu….
Es ist wohl eine schwierige Mischung aus Misstrauen gegenüber der Wirtschaft und fehlender Handlungsfähigkeit der Ampel. Da blockiert man sich oft gegenseitig oder gute Ideen werden zerredet. Ich finde, wir sollten grundsätzlich klarer darüber reden, dass wir die Industrie in unserem Land brauchen. Schon um unseren Wohlstand und die soziale Balance zu bewahren. Wir brauchen die ganze Breite, von den Werften im Norden bis zur Autoindustrie im Süden.
Wie meinen Sie das genau?
Nur ein kleines Beispiel: Daimler Truck hat auf der IAA-Transportation einen Elektro-LKW vorgestellt mit 500 Kilometer Reichweite. Doch dafür gibt es in ganz Europa nur 600 Ladestationen. Gebraucht werden aber 35.000. So kommt diese Innovation nicht auf die Straße. Da muss die Politik jetzt die richtigen Weichen stellen.
Ähnliches beim Thema Energie. Wir brauchen Preise, mit denen die Unternehmen wirtschaftlich produzieren können. Auch da ist in erster Linie die Politik in der Pflicht.
Rassismus und Ausgrenzung
Der Stillstand in Berlin ist der ideale Nährboden für politische Ränder. Das betrifft doch auch die Gewerkschaften, die ja ein Spiegelbild der Gesellschaft sind. Was macht das mit der IG Metall? Wie erleben Sie das?
Der Wind wird rauer. Gerade in einer komplexen Lage verfangen die vermeintlich einfachen Antworten. Die große Mehrheit unserer Mitglieder hält sehr entschlossen dagegen. Das macht mich stolz! Aber natürlich gibt es Leute in den Betrieben, die AfD wählen. Mit denen suchen wir, so wir davon wissen, das sachliche Gespräch, was allerdings immer schwieriger wird. Klar ist aber auch: Mit AfD-Funktionären wollen wir nichts zu tun haben! Die betrachten wir als Gegner der Gewerkschaften und unserer freiheitlichen, pluralistischen Demokratie.
Rassismus, Ausgrenzung, völkisches Gedankengut. Wie erleben das Ihre Mitglieder mit Migrationshintergrund?
Wir stehen für Demokratie, Vielfalt, Toleranz und Respekt. Das steht auch explizit so in unserer Satzung. Wir bieten in den Betrieben Fortbildungen an, um gegen Extremisten sprechfähig zu werden oder zu bleiben. Unsere Betriebe sind bunt, und das sollen und müssen sie auch bleiben.
Ist die IG Metall weiblicher geworden?
Mit Ihnen in Stuttgart sowie Ihren Kolleginnen Benner und Boguslawski in Frankfurt sind Frauen an die Spitze der Gewerkschaft gerückt. Ist die IG Metall weiblicher geworden?
Für mich ist das nichts neues. Wir haben gerade bei uns in Baden-Württemberg schon lange viele erfolgreiche Frauen bei der IG Metall. Manchmal nervt mich es sogar, wenn man auf das „Frausein“ reduziert wird. Es kommt ja darauf an, unabhängig vom Geschlecht, ob man seinen Job gut macht. Und an dem will ich gemessen werden. Schaut man dann im Detail hin, kann schon sein, dass Frauen Dinge anders angehen als Männer. Aber am Ende zählt einfach das Ergebnis. Wie in der bereits erwähnten Tarifpolitik.
Ihre Kollegin Daniela Cavallo muss als Betriebsratschefin von VW gerade einen harten Kampf bestehen. Wird der Streit Wolfsburg die Tarifverhandlungen überschatten? Wollen Sie es lieber aussitzen, bis sich dort die Wogen geglättet haben?
Allein schon wegen der medialen Wirkung und der hohen Verunsicherung auf Seiten der Beschäftigten ist das eine sehr emotionale Debatte. Das wirft natürlich einen Schatten auf unsere Verhandlungen. Aber aussitzen wäre definitiv der falsche Weg, zumal man davon ausgehen muss, dass die Auseinandersetzung in Wolfsburg sich länger hinziehen kann.
Tarifpolitik und Standortfragen
Nach der ersten Runde hatte man den Eindruck, dass Sie sich mit Südwestmetall grundsätzlich über die Ausgangslage einig sind. Warum gelten diese Verhandlungen dann dennoch als so komplex?
Wir haben einen deutlichen Dissens bei der Frage, welche Lösungen wir für die jetzige Situation der Wirtschaft sehen. Während, wenig überraschend, die Arbeitgeber die Lohnkosten als zentrales Problem ausgemacht haben, sehen wir das natürlich komplett anders.
Aber es wäre doch eine Gelegenheit tarifpolitisch Dinge zu erleichtern, als noch mehr die Kosten in die Höhe zu treiben?
Die Konjunktur schwächelt, die Nachfrage stockt. Die Menschen sind verunsichert und halten ihr Geld zusammen. Somit würde selbst eine „Nullrunde“ das Problem nicht lösen, sondern verschärfen. Unternehmen müssen Geld verdienen, aber nicht durch Einsparungen und Lohnzurückhaltung. Sondern durch Investitionen und Innovationen, durch gute Produkte. Nur so werden und bleiben sie wettbewerbsfähig.
Die Unternehmen reagieren entweder mit Automatisierung oder mit Verlagerung. Da ist für die IG Metall und die Beschäftigten auch nichts gewonnen….
Aber irgendwann geht das Spiel nicht mehr auf. Werden alle Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, wer soll dann die Produkte noch kaufen? Wie geht es dann bei uns weiter? Was wir dringend brauchen, sind Konzepte wie wir hier bei uns innovative Produkte, gern bei einer höheren Produktivität, entwickeln und produzieren. Das ist zielführender, als nur über eine Rolle rückwärts nachzudenken.
Die Wirtschaft in anderen Ländern wächst. Die kaufen dort also weiter Maschinen und Autos. Nur nicht mehr in Deutschland, denn diese Erzeugnisse sind zu teuer. Also doch ein Kostenproblem…
Die Zeiten, wo man sagen konnte „Autos aus China, die kriegen ja nicht einmal das Spaltmaß richtig hin“ sind vorbei. Also müssen wir hinterfragen, welche Produkte und Dienstleistungen können wir in Baden-Württemberg mit hoher Qualität und Produktivität anbieten. Und da gibt es ja viele positive Beispiele, wo das auch gelingt. Siehe das Beispiel des E-LKW. Dazu brauchen wir aber bessere politische Rahmenbedingungen. Nicht die Löhne müssen sinken, sondern der Standort muss besser werden.
Und die Tarifpolitik kann da nichts beitragen?
Tarifpolitik kann ganz viel leisten. Aber sie konnte auch in der Phase, wo wir eine hohe Inflation hatten, nicht alles richten. Man darf Tarifpolitik auch nicht überfordern. Nicht alle Probleme der Welt können alleine mit einer Tarifrunde gelöst werden.
Zumindest könnte man hinterfragen, ob denn alle Unternehmen einen Abschluss gleich gut tragen können. Manche verdienen gut, andere kämpfen um die Existenz. Zeit für eine Differenzierung?
Wenn es Unternehmen nachweislich schlecht geht, steht die IG Metall bereit, nach passgenauen Lösungen zu suchen. Aber die Arbeitgeber wollen eine automatische und dauerhafte Differenzierung. Da sage ich ganz klar: Das kann nicht die Antwort sein. Der Grundgedanke von Gewerkschaften ist ja, gleiche Arbeitsbedingungen branchenübergreifend durch einen Kollektivvertrag anzustreben. Ich glaube daher, eine Tarifpolitik der Zukunft könnte als gemeinsame Basis auf einen Kollektivvertrag zurückgreifen und zusätzlich „Bausteine“ anbieten. Aber das ist ein langfristiger Ansatz, der für diese Tarifrunde keine Rolle spielt.
Warum?
Es muss so gestaltet sein, dass nicht der Arbeitgeber allein entscheiden kann, sondern Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und die Rolle der Gewerkschaften gesichert sind. Einzelne Arbeitgeber fordern ja bereits, dass man für die kleineren Unternehmen einen Tarifvertrag „Fläche-light“ macht. Aber dann wäre das ganze Konstrukt schwer umsetzbar. Grundlage muss der Flächentarifvertrag bleiben. Dazu könnten dann, wie oben erwähnt, additiv Bausteine entwickelt werden, die zum Betrieb passen und dann auch gelebt werden. Zusammen mit den betrieblichen Interessenvertretungen und der IG Metall.
Klingt nicht so, als würden die Tarifverträge einfacher. Warum ist das so komplex? Ist das typisch deutsch?
Also selbstkritisch würde ich sagen, wir kommen schon aus einer Zeit, in der man versucht hat, alles im Detail zu regeln. Es gibt aber auf beiden Seiten den Wunsch, die Komplexität zu reduzieren. Die Praxis schaut häufig leider anders aus. Beispielsweise beim Thema Inflationsausgleichsprämie: Was bekommt eine Frau in Elternzeit, die zum Auszahlungszeitpunkt nicht in Betrieb ist und viele Spezialfragen mehr. Aber wir arbeiten daran. Versprochen!
Das Interview führte Andreas Kempf