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Management > Kleinstunternehmen

Jimdo-Gründer Matthias Henze: Warum Selbstständigkeit Menschen gut täte

| Thorsten Giersch

Jimdo-Chef Matthias Henze über den Reiz der Selbstständigkeit, das Desinteresse der Politik und die Chancen von künstlicher Intelligenz für Kleinstunternehmer.

Jimdo-Chef Matthias Henze (Foto: Jumdo)

Das Gespräch führte Thorsten Giersch.

 

Markt und Mittelstand: Du schreibst: „Man ist selbstständig, aber im ­Idealfall nicht allein.“ Was steckt hinter dem Gedanken? 

  • Matthias Henze: Es gibt 3,6 Millionen Kleinstunternehmen in Deutschland, Firmen, die weniger als zehn Mitarbeitende haben. Man muss nur die Straße hinuntergehen und wird viele dieser Unternehmen sehen. Und wer die Häuser noch mal hochguckt, kann noch verschiedene Dienstleister erahnen, die keine eigene Ladenfläche haben. Und diese 3,6 Millionen haben ja noch mal Beschäftigte. Es gibt unglaublich viele Menschen, die diesem Sektor angehören, die alle die gleichen Probleme haben, die ähnliche Erfahrungen gesammelt haben, die voneinander lernen können. Aber dennoch fühlen sich viele Selbstständige allein. 

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Weil man selbst entscheiden muss. 

  • Matthias Henze: Genau. Die Last der Verantwortung liegt auf einem selbst. Man hat auch Familie und Freunde, die sind im Idealfall unterstützend tätig oder moralisch für einen da, aber so richtig verstehen sie einen halt doch nicht, wenn sie selbst nicht selbstständig sind. Das heißt, der Austausch mit anderen Selbstständigen ist immer hilfreich, und nach meiner Erfahrung sind die meisten äußerst hilfsbereit, sich gegenseitig zu unterstützen. Da ist ein Riesennetzwerk, das man nur einmal angezapft werden muss. Genau das machen wir auch mit Jimdo Connect – wir bieten Selbständigen aus unserer Community, sich ganz einfach miteinander zu vernetzen und auszutauschen und so eben nicht mehr allein zu sein. 

Woher rührt dein Engagement für diese Zielgruppe? 

  • Matthias Henze: Als wir Jimdo gegründet haben, saßen wir bei den Kleinstunternehmen auf der Couch und haben gesehen, was das für inspirierende, motivierte und resiliente Menschen sind. Seitdem ist meine Liebe für diese Zielgruppe stetig gewachsen, weil ich immer wieder miterlebe, was sie leisten, was sie für eine besondere Einstellung zum Leben haben und was sie als Menschen auszeichnet. Ich glaube, den meisten Selbstständigen ist gar nicht bewusst, wie viel sie gemeinsam haben. 

Müsste es mehr davon geben? 

  • Matthias Henze: Viele Menschen in Deutschland erwägen die Selbstständigkeit gar nicht erst, weil sie denken, das sei zu anstrengend oder das Angestelltendasein sei viel sicherer. Aber das stimmt so nicht. Ich glaube und erlebe, dass ganz viele sehr viel glücklicher wären, wenn sie Selbstständigkeit und diesen Lebensweg für sich in Betracht zögen. Um das mehr Leuten zugänglich zu machen, habe ich dieses Buch geschrieben. 

Du berichtest in vielen Passagen über schwierige Momente. Krisen nehmen einen wichtigen Raum ein. 

  • Matthias Henze: Die Motivation war klar: Selbstständigkeit ist total cool, aber ich will es auch nicht schönreden. Selbstständigkeit ist auch mal hart. Wir haben bei Jimdo auch existenzielle Krisen erlebt. Da fragt man sich schon mal, warum man den ganzen Kram noch macht. Ich habe gelernt, dass das Wichtigste ist, durchzuhalten und ein starkes Warum zu haben – die Leidenschaft für sein eigenes Thema. Deswegen ist es gut, sich immer wieder zu fragen: Warum habe ich eigentlich angefangen? 

Fehlt dir das manchmal? 

  • Matthias Henze: Ich sehe es bei vielen im Start-up-Bereich: Wenn es nur ums Geld geht, dann wird es nichts. Dein Unternehmen, dein Thema, muss dich bewegen. Bei mir sind es eben die Selbstständigen. Die Mission von Jimdo ist, all diesen Selbstständigen, die das Potenzial haben, mehr aus ihrer Selbstständigkeit, aus ihrem Business zu machen, den richtigen Zugang zu Technologie zu geben, von der Webseite bis hin zum Online-Shop. Das ist ein Zugang, wie ihn auch Großunternehmen haben. 

Für welchen Typus Mensch ist denn das Selbstständigen-Dasein etwas? 

  • Matthias Henze: Das sind Menschen, die etwas bewegen wollen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen und die ein Thema haben, das ihnen wichtig ist. Es braucht zudem ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein. Man muss jetzt nicht extrovertiert sein, aber schon das Gefühl haben, dass man auch mit Herausforderungen umgehen kann. Alles Weitere kann man auf dem Weg lernen. 

In der Theorie gibt es Lebensphasen, in denen es leichter ist als in anderen, sich selbstständig zu machen. 

  • Matthias Henze: Das ist ein Mythos. Das ist nicht altersabhängig. Wir haben uns damals als sehr junge Erwachsene selbstständig gemacht. Ich sehe andere, die machen es mit 65. Allerdings mag es nicht die richtige Phase sein, wenn man emotional nicht frei im Kopf ist. Wenn man zu viele Sachen hat, die einen gerade belasten. Denn Selbstständigkeit ist vor allem am Anfang nicht einfach. Da braucht es die absolute Aufmerksamkeit. 

Zumindest, wenn man voll auf die Selbstständigkeit setzt. Immer mehr machen dies auch im Nebenerwerb. 

  • Matthias Henze: Richtig. Mittlerweile ist das in Deutschland die weitaus größere Zahl der Unternehmensgründungen. Das ist eine sehr gute Möglichkeit, sich an das Thema heranzutasten, ohne gleich ins volle Risiko zu gehen. Das geht nicht bei allen Geschäftsmodellen, aber bei sehr vielen. Und wenn sich der Umsatz gut entwickelt, wagt man den Sprung. 

Erkennst du Muster, aus welchen Gründen Kleinstunternehmer immer wieder scheitern? 

  • Matthias Henze: Es ist wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein und der Wahrheit ins Auge zu blicken. Und manchen fällt es schwer, die eigenen Schwächen anzuerkennen und daran zu arbeiten. Dazu fehlt oft der technologische Zugang, auch mit wenig Personal und möglichst geringem Zeitaufwand viel zu erreichen, gerade auch im Marketing und für die Sichtbarkeit. 

Dank künstlicher Intelligenz und neuer Tools wird das doch leichter. 

  • Matthias Henze: Ich hätte mir gewünscht, dass es die Technologien, die es heute gibt, schon gegeben hätte, als wir gegründet haben. Es ist sehr hilfreich, was man mit KI heute alles machen kann, allein bei der Businessplanentwicklung oder Marketingstrategien. Man kann sich Zielkunden ausdenken und dann das eigene Angebot dagegen testen lassen. KI-Technologie ist inhaltlich und für die Produktivität der absolute Booster. Deshalb glaube ich auch, dass es in Zukunft – dank der KI – deutlich mehr Selbstständige geben wird. 

Du hast in deinem Buch geschrieben: „KI ist Fluch und Segen zugleich.“ An welcher Stelle kann es auch Fluch sein? 

  • Matthias Henze: Der Markt wird sich aufgrund der KI radikal verändern. Und damit meine ich eigentlich alles. Insofern ist es auch Fluch, denn wir sind gezwungen, uns zu überlegen, wie es einen selbst betrifft. Wer einfach so weitermacht, wird ins Hintertreffen geraten. KI entwickelt sich aber so rasant, dass es schon jetzt sehr viel braucht, um neue Tools auszuprobieren und zu verstehen, was das für einen bedeutet. Wenn man das aktiv macht, hat man ein sehr großes Entwicklungspotenzial. Wenn man es nicht macht, läuft man Gefahr, abgehängt zu werden. 

Apropos Umgang mit Risiken. Wie gehen Selbstständige mit dem Thema Geld um? 

  • Matthias Henze: Finanzen sind ein äußerst wichtiges Thema, mit dem sich viele Kleinstunternehmen nicht so gerne auseinandersetzen. Natürlich ist das ein Fehler, jeder sollte seine Finanzen immer im Blick haben. Und auch da sollte man lösungsorientiert damit umgehen. Wenn man das nicht selbst machen will, muss man jemanden haben, dem man vertraut und mit dem man die Zahlen regelmäßig durchgeht. Oder man nutzt eben KI als Assistenten. 

Welche Rolle haben Banken? 

  • Matthias Henze: Kreditinstitute kommen meistens für Solo-Selbstständige nicht in Betracht, außer für diejenigen, die tatsächlich in irgendwelche festen Werte investieren. Das haben die meisten Solo-Selbstständigen nicht. Wer ein Restaurant gründet, kann einen Kredit beantragen. Freelancer bekommen den so ohne Weiteres nicht. Aber sie brauchen natürlich auch viel weniger Kapital. 

Rätst du Selbstständigen, die starten wollen, zur Nischenidee? 

  • Matthias Henze: Es geht beides, Masse und Nische, aber ich empfehle immer Nische. Man kann hier sehr viel spezieller sein, das macht es oft einfacher. Und wenn man allein anfängt, braucht man auch nicht so viele Kunden, um wirtschaftlich zu überleben. Viele machen den Fehler und sagen: Ich kann dies und jenes und biete irgendwie alles an. Das mag in Ausnahmen richtig sein, aber oft sollte man sich auf das beschränken, in dem man richtig gut ist. 

Du hast den seriösen Index für Kleinstunternehmen angeschoben, den Jimdo-Ifo-Index. Wie kam es dazu? 

  • Matthias Henze: Mir war 2020 sehr schnell klar, dass die Selbstständigen während der Corona-Pandemie die größten Verlierer sein werden. Und ich habe viel mit unseren Kundinnen und Kunden telefoniert, um zu schauen, wo die stehen und wie wir ihnen helfen können. Mir hat wehgetan, dass die Gesellschaft nicht versteht, was die Selbstständigen leisten und wie hart es sie in dieser Zeit getroffen hat. Die Medien haben das mit ein paar Anekdoten aufgegriffen, aber die waren schnell erzählt. 

Ihr wolltet also für mehr Sichtbarkeit sorgen und seid zum Ifo-Institut in München. 

  • Matthias Henze: Ja. Wir sind ein Unternehmen, das Daten liebt. Wir brauchen regelmäßig spannende Statistiken, um immer wieder in die Medien zu kommen. Das Ifo-Institut erstellte zwar den Geschäftsklimaindex, fragte damals aber keine Selbstständigen und Kleinstunternehmen ab. Wir schrieben das Institut an und fragten, ob wir nicht zusammenarbeiten können. Die zeigten sich offen. Seitdem gibt es den Jimdo-Ifo-Index für Selbstständige, der das Geschäftsklima dort zeigt. Und das im Vergleich zur Gesamtwirtschaft. 

Warum ist das wichtig? 

  • Matthias Henze: Weil sich Gesellschaft oder Politikerinnen und Politiker jetzt nicht mehr hinstellen und alle über den gleichen Kamm scheren können. Man sieht eben sehr deutlich, dass das Geschäftsklima bei den Selbstständigen permanent schlechter ist als in der Gesamtwirtschaft und dass es großen Handlungsbedarf gibt. 

Zuletzt gab es Rekordstände beim Deutschen Aktienindex Dax, aber Blues im Jimdo-Ifo-Index. Auftragsmangel und Unsicherheit setzen den Selbstständigen zu. Was kann die Politik für diese Unternehmerinnen und Unternehmer tun? 

  • Matthias Henze: Sie sollte diesen Sektor überhaupt erst einmal als großen Wirtschaftsfaktor wahrnehmen. Denn mein Gefühl ist, dass das Verständnis und der Wille in der Politik dafür fehlen, und das muss sich radikal ändern. Wir befinden uns in einer Zeit der sehr großen Unsicherheit sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Unternehmertum ist einfach Teil der Lösung. Und es fängt im Kleinen an. 

Heißt konkret? 

  • Matthias Henze: Wir brauchen deutlich mehr Gründungen und wir müssen es auch den kleinen Unternehmen, die wachstumsbereit sind, erleichtern, das tun zu können. Da guckt aber keiner hin. Ganz konkret verursacht die Bürokratie, die in den vergangenen Jahren auf die kleinen Unternehmen ausgerollt wurde, sehr hohe Kosten. Zudem muss die Politik das Thema Scheinselbstständigkeit dringend angehen. 

Wo liegt das Problem? 

  • Matthias Henze: Die aktuellen Verfahren sorgen für viel zu viel Unsicherheit bei den Akteuren auf beiden Seiten. Wann zählt jemand, dessen Dienste ein Unternehmen in Anspruch nimmt, als abhängig Beschäftigter? Hier wurde Selbstständigkeit missbraucht. Doch es gibt eben auch echte Selbstständige, die mehrere Auftraggeber haben und die in jeder Hinsicht eigenständig unterwegs sind, die die Deutsche Rentenversicherung aber als scheinselbstständig einstuft. 

Mit welchen Folgen? 

  • Matthias Henze: Das hat Probleme für die Auftraggeber, weil das Steuerhinterziehung ist und als Straftat zählt. Die Gefahr, dass man dafür ins Gefängnis geht, ist sehr hoch. Und auf der Seite der Selbstständigen hat diese Einstufung natürlich auch Nachteile. Da brauchen wir sehr klare Regeln, und diese Unsicherheit muss abgeschafft werden. 

Liegt diese geringe Beachtung der Politik auch daran, dass die Gruppe der Kleinstunternehmen so heterogen ist? 

  • Matthias Henze: Ja. Ein Freelancer funktioniert anders als eine Bäckerei. Der Bäckereibetrieb muss Gesetzen folgen, dass hygienisch alles in Ordnung ist. Die hat ein Freelancer nicht. Aber trotzdem gibt es grundlegende Themen, die für alle gleich sind. Das muss die Politik erkennen und sich damit mal aktiv auseinandersetzen. 

Matthias Henze

Matthias Henze hat sich mit 25 Jahren selbstständig gemacht. Er leitet den Internetdienstleister Jimdo in Hamburg, den er mitgegründet hat. Zielgruppe sind Selbststän­dige und Kleinstunternehmen. Sein Engagement für Solo-Selbstständige geht über Jimdo weit hinaus. Kürzlich erschien sein Buch „Das Unternehmen bist du“. 

Was Kleinstunternehmen wirklich brauchen

Fazit aus dem Gespräch mit Jimdo-Mitgründer Matthias Henze

  • 3,6 Mio. Kleinstunternehmen prägen Deutschlands Wirtschaft – doch sie fühlen sich oft alleingelassen.

  • Vernetzung hilft: Austausch unter Selbstständigen ist essenziell. Plattformen wie Jimdo Connect fördern das gezielt.

  • Nicht allein entscheiden: Selbstständigkeit bedeutet Verantwortung – oft ohne Rückhalt im persönlichen Umfeld.

  • Gründen lohnt sich: Viele unterschätzen, wie erfüllend und machbar Selbstständigkeit sein kann – auch im Nebenerwerb.

  • Krisen gehören dazu: Durchhaltevermögen und ein klares „Warum“ sind laut Henze entscheidend.

  • Technologie als Chance: KI-Tools erleichtern Planung, Marketing und Geschäftsmodelle – sind aber auch ein Veränderungsdruck.

  • Scheinselbstständigkeit als Risiko: Unklare Regeln schaffen Rechtsunsicherheit – klare politische Lösungen sind dringend nötig.

  • Politik ignoriert den Sektor: Trotz ihrer Bedeutung finden Selbstständige in Debatten und Gesetzen kaum statt.

  • Appell an die Politik: Bürokratie abbauen, Gründungen fördern, klare Regeln schaffen – sonst verliert Deutschland unternehmerisches Potenzial.

Mutige Selbstständige

Dieser Artikel stammt aus unser Juli-Ausgabe 2025, in den denen wir mutigen Selbstständigen ein Spezial gewidmet haben, den: 3,6 Millionen Kleinstunternehmerinnen und Unternehmern.  Es gibt – leider keine guten – Gründe, warum diese Gruppe in der breiten Medienlandschaft kaum besprochen wird. Und warum sie kaum Lobby in der großen Politik hat. 

Hier finden Sie die weiteren Artikel dazu: 

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