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Personal > Lohnfortzahlungsreform

Lohnfortzahlung außer Kontrolle? Arbeitgeber drängen auf radikale Reform

BDA-Präsident Dulger verlangt Begrenzung auf sechs Wochen pro Jahr und Ende telefonischer Krankschreibungen.

(Foto: shutterstock)

Die deutschen Arbeitgeber drängen auf eine umfassende Reform der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. BDA-Präsident Rainer Dulger fordert von der künftigen Bundesregierung Milliardenentlastungen und kritisiert gleichzeitig das sogenannte "Blaumachen" von Beschäftigten. Die Forderungen zielen darauf ab, die finanziellen Belastungen für Unternehmen zu reduzieren und potenzielle Missbräuche einzudämmen. Für Unternehmer und Entscheidungsträger im Mittelstand könnte eine solche Reform erhebliche Auswirkungen auf ihre Personalkosten und -planung haben.

Unternehmen zahlen 77 Milliarden Euro für die Lohnfortzahlung

Die Dimension der finanziellen Belastung für Unternehmen durch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist beträchtlich. Laut BDA-Präsident Rainer Dulger geben die Unternehmen jährlich 77 Milliarden Euro für die Lohnfortzahlung aus. 

Diese Summe übersteigt den Verteidigungshaushalt und die gesamten Ausgaben der Pflegeversicherung. Für mittelständische Unternehmen bedeutet dies eine erhebliche finanzielle Belastung, die sich direkt auf ihre Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsmöglichkeiten auswirken kann. Dulger betont: "Steigende Kosten für Lohnfortzahlungen sind ein erheblicher Ballast, der den Weg raus aus der Rezession erschwert." 

Die Forderung nach einer Begrenzung der Lohnfortzahlung auf maximal sechs Wochen im Kalenderjahr, statt wie bisher sechs Wochen je Erkrankung, könnte für viele Betriebe eine spürbare Entlastung bedeuten. Allerdings müssen Unternehmer auch die möglichen Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation und das Betriebsklima berücksichtigen.

BDA fordert Abschaffung telefonischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeitgeberforderungen liegt auf der Eindämmung von Missbrauchsmöglichkeiten bei Krankschreibungen. Dulger fordert die vollständige Abschaffung telefonischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und kritisiert die Praxis von Online-Anbietern für Krankschreibungen. 

"Die telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist ein Einfallstor für Missbrauch und gehört abgeschafft", so der BDA-Präsident. 

Eine strengere Handhabung von Krankschreibungen könnte zwar zu weniger Fehltagen führen, allerdings besteht auch die Gefahr, dass kranke Mitarbeiter zur Arbeit kommen und so langfristig ihre Gesundheit gefährden.

Umfrageergebnisse und internationale Vergleiche

Die Forderungen der Arbeitgeber stützen sich auf verschiedene Studien und internationale Vergleiche. Eine Forsa-Erhebung zeigt, dass sich 2024 rund 60 Prozent der abhängig Beschäftigten wegen Atemwegsbeschwerden einmal oder mehrfach krankgemeldet haben. 13 Prozent der Teilnehmenden gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten zweimal oder häufiger unter einem Vorwand der Arbeit ferngeblieben zu sein. Dabei erhielten 14 Prozent ihre Krankschreibung ohne jeglichen Arztkontakt, was die BDA als nicht zulässig kritisiert. Für Unternehmer im Mittelstand bedeuten diese Zahlen, dass sie möglicherweise mit einer erheblichen Anzahl von Fehltagen konfrontiert sind, die nicht immer medizinisch notwendig sein könnten. 

Die BDA verweist auch auf internationale Vergleiche: In Schweden beispielsweise ist der erste Krankheitstag unbezahlt, danach zahlt der Arbeitgeber zwei Wochen lang 80 Prozent des Lohns. 2022 hatten die Schweden im Durchschnitt nur 11,4 bezahlte Krankheitstage, während es in Deutschland 24,9 Tage waren. Diese Unterschiede zeigen, dass die Ausgestaltung der Lohnfortzahlung einen erheblichen Einfluss auf das Krankheitsverhalten haben kann.

Faktenbox: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist ein zentrales Element des deutschen Sozialversicherungssystems und gleichzeitig ein bedeutender Kostenfaktor für Unternehmen. Die folgenden Fakten beleuchten die aktuelle Situation und die Forderungen der Arbeitgeberverbände:

Jährliche Kosten: Die deutschen Unternehmen geben laut BDA jährlich 77 Milliarden Euro für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall aus. Diese Summe übersteigt den Verteidigungshaushalt und die gesamten Ausgaben der Pflegeversicherung, was die enorme finanzielle Belastung für die Wirtschaft verdeutlicht.

Dauer der Lohnfortzahlung: Aktuell haben Arbeitnehmer in Deutschland Anspruch auf sechs Wochen Lohnfortzahlung pro Krankheitsfall. Die Arbeitgeber fordern eine Begrenzung auf maximal sechs Wochen pro Kalenderjahr, was eine signifikante Änderung des bestehenden Systems darstellen würde.

Internationale Vergleiche: In Schweden ist der erste Krankheitstag unbezahlt, danach zahlt der Arbeitgeber zwei Wochen lang 80 Prozent des Lohns. 2022 hatten die Schweden durchschnittlich 11,4 bezahlte Krankheitstage, während es in Deutschland 24,9 Tage waren. Dieser Vergleich zeigt die möglichen Auswirkungen unterschiedlicher Systeme auf das Krankheitsverhalten.

Krankschreibungspraxis: Eine Forsa-Erhebung ergab, dass 14 Prozent der Beschäftigten ihre Krankschreibung ohne jeglichen Arztkontakt erhielten. Die BDA kritisiert diese Praxis und fordert strengere Kontrollen, um Missbrauch zu verhindern und die Kosten für Unternehmen zu reduzieren.

Chancen und Risiken einer Reform der Lohnfortzahlung

Die von den Arbeitgeberverbänden geforderte Reform der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall birgt sowohl Chancen als auch Risiken für Unternehmen:

 

Chancen:

  • Kostenreduktion: Eine Begrenzung der Lohnfortzahlung auf sechs Wochen pro Jahr könnte zu erheblichen Einsparungen für Unternehmen führen.
  • Reduzierung von Fehltagen: Strengere Regelungen bei der Krankschreibung, wie das Ende telefonischer Atteste, könnten zu einer Verringerung von ungerechtfertigten Fehltagen führen. Dies könnte die Produktivität steigern und die Planbarkeit in Unternehmen verbessern.
  • Wettbewerbsfähigkeit: Eine Angleichung an internationale Standards könnte die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im globalen Vergleich stärken, da die Personalkosten einen wesentlichen Faktor darstellen.

Risiken:

  • Mitarbeiterzufriedenheit: Eine Verschärfung der Regelungen würde zunächst sehr wahrscheinlich zu Unmut unter den Beschäftigten führen und sich negativ auf die Arbeitsmoral und das Betriebsklima auswirken.
  • Gesundheitsrisiken: Strengere Regelungen könnten dazu führen, dass Mitarbeiter trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen, was langfristig zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen und höheren Ausfällen führen würde.
  • Umsetzungsprobleme: Wie das Beispiel der gescheiterten Reform von 1996 zeigt, könnten Tarifverträge und gewerkschaftlicher Widerstand die Umsetzung der Reformen erschweren oder verhindern.

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