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Personal > Bundesagentur für Arbeit

Mächtige Managerin

Für Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, schließt sich ein Kreis. Angesichts des Fachkräftemangels muss die ­ehemalige SPD-Chefin jetzt liefern.

Gut gelaunt und durchsetzungsstark: Andrea Nahles leitet seit Anfang August die einflussreiche Bundesagentur für Arbeit.© picture alliance / Flashpic | Jens Krick

„Kompetent, erfahren, vernetzt, engagiert, sachorientiert.“ Als Andrea Nahles im vergangenen April zur neuen Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA) ausgerufen wurde, prasselte ein Candy-Storm auf sie ein. Dabei ist die 52-Jährige eher Stahlbäder gewöhnt: erst als Bundesarbeitsministerin, 2019 dann bei ihrem Rücktritt als SPD-Chefin nach einem historischen Wahldebakel. Ihre Härte könnte nicht nur Nahles im neuen Job nutzen, sondern auch dem deutschen Mittelstand.

Denn auch wenn ihr Herz links schlägt, am Ende profitieren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wenn sie die größte Aufgabe der BA lösen kann: Deutschland gehen nicht mehr die Arbeitsplätze aus, sondern in ganzer Breite die Arbeitnehmer. Früher ging es darum, Erwerbslose zu versorgen, diese Rolle nimmt stark ab. Heute, in einer Mangelsituation, wird internationale Vermittlung immer wichtiger.

Seit August 2022 leitet Andrea Nahles die BA. Als erste Frau in diesem Amt ist sie zuständig für Strategie, Haushalt, IT, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 100.000 Mitarbeiter, rund 40 Milliarden Euro Auszahlungen und knapp 2,5 Millionen Arbeitslose – Stand September 2022.

Zuvor war sie ein Jahr Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, zuständig für die Versorgung der Beamten der ehemaligen Deutsche Bundespost. Was diese Anstalt treibt, wussten die wenigsten Deutschen, bevor Nahles antrat. Das hat sich nicht geändert. Von Abschiedstränen in der Behörde ist nichts bekannt.

Fundamentaler Umbruch

Jetzt also wieder das politisches Rampenlicht für Andrea Nahles. Der Arbeitsmarkt steckt in einem fundamentalen Umbruch. Da ist der demografischer Wandel. Dann fehlen Auszubildende, Fach- und Führungskräften. Künstliche Intelligenz gefährdet Jobs und schafft neue. Mehr als eine Million Berufstätige müssen weitergebildet werden.

Das Bürgergeld, das die Bundesregierung als Ersatz für schlecht beleumdete Hartz-IV-Maßnahmen plant, ist vielen Fach- und Führungskräften der BA nicht geheuer, weil es sie enorm einschränkt, echte Weiterbildungs- oder Arbeitsunwillige zu sanktionieren. Ihre neue Chefin Nahles dagegen erklärt: „Der Kern des neuen Bürgergelds ist eine Stärkung der Aus-, Fort- und Weiterbildung, statt Menschen auf Biegen und Brechen in irgendeinen Job zu vermitteln.“ Große Pläne kann Nahles nicht umsetzen. Die Corona-Pandemie hat auch die Kassen der BA geleert.

Mehr Weiterbildung, mehr Mütter im Beruf, mehr duale Ausbildung, mehr Geflüchtete in Arbeit – das sind konsensfähige Lösungen. Widerstand droht Nahles woanders: beim Thema Zuwanderung. Dabei appelliert auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: „Ausländische Arbeitskräfte bereichern ein Unternehmen auf vielen Ebenen.“

Wenn sie denn kämen. „Es bleibt zu befürchten, dass die eigentlichen Zuwanderungshemmnisse, die in einem intransparenten, bürokratischen und langwierigen Verfahren liegen, nicht angegangen werden“, heißt es beim BDA.

Wie viel Familiennachzug will Deutschland akzeptieren und finanzieren? Welche Ausländer sollen kommen und welche nicht? Politisch sehr gefährliche Fragen. Nahles bleibt deshalb auf Anfrage vage: „Wir brauchen Zuwanderung, denn die Fakten sprechen eine klare Sprache. Ohne Zuwanderung wird das Erwerbspersonenpotenzial bis 2035 um sieben Millionen Menschen schrumpfen. Wir können diesen Trend nur aufhalten, wenn wir jährlich im Saldo 400.000 Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen.“ Dafür muss die BA fast jeder Ausländerbeschäftigung zustimmen, also vergleichen, ob die jeweilige Person zu denselben Bedingungen angestellt wird wie ein vergleichbarer inländischer Arbeitnehmer.

Nahles spricht auch den rosa Elefanten im Raum an: „Von den 1,14 Millionen Menschen, die jedes Jahr kommen, wandern zwei Drittel wieder aus. Wir müssen am Familiennachzug und an unserer Willkommenskultur arbeiten.“ Das klingt wieder mehr nach der ehemaligen Juso-Chefin als dem Saldo beim Erwerbspersonenpotenzial.

Ihre Vorgänger im Amt, Frank-Jürgen Weise und Detlef Scheele, haben Spuren hinterlassen. Vor allem der ehemalige Controller und Bataillonskommandeur Weise galt als Macher: Lage sondieren, entscheiden, durchsetzen. Das Ziel einer digitalen, kundenorientierten Vorzeigebehörde ist noch nicht erreicht.

Auffällig ist, wie zurückhaltend die impulsive Nahles seit Neuestem ist. Wo sie früher polterte, spricht sie nun wohlfeil. Fragen danach, welche Kompetenzen als Politikerin in der BA wichtig sind oder wie sie die riesige Behörde steuern möchte, mochte sie nicht beantworten. Stattdessen erklärt sie staatsmännisch: „Ich mache seit meinem 25. Lebensjahr im Schwerpunkt Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Jetzt, mit 52 Jahren, kann ich die gesamten Erfahrungen aus der Politik und meiner Ministerzeit einbringen.“ Sie selbst hat hohe Ansprüche. Auch die Bundesregierung und Nahles’ Mitarbeiter sind zuversichtlich. Wer, wenn nicht diese berühmte Strippenzieherin, weiß die politisch richtigen Strippen zum Nutzen der Agentur zu ziehen? Keiner ihrer Vorgänger kannte die informellen Wege, die Optionen, Fallstricke und Restriktionen besser als Nahles.

Noch nicht geliefert

Ergebnisse hat sie noch nicht geliefert. Ein Mitarbeiter der Nürnberger BA-Zentrale lobt sie: „Sie kommuniziert gut und ist den Themen gegenüber sehr offen.“ Reicht das? Im nächsten Satz schränkt der Insider ein: „Viele wichtige Prozesse finden in den Unternehmen statt.“ Die Rahmenbedingungen dafür setzt nicht sie, sondern ihre Parteifreunde, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundeskanzler Olaf Scholz. Ausführen statt gestalten – schwer für Nahles.

Aber sie ist nicht nur ehrgeizig, sondern auch erdverbunden und gottesfürchtig. Nahles lebt in Weiler bei Mayen in der Eifel im Haus ihrer Urgroßeltern und ist stolz darauf. Berlin braucht sie mehr, als sie Berlin braucht. „Mein Dorf gibt mir das Gefühl, dass ich mich entspannen kann“, sagte die so Rastlose dem SPD-Magazin Vorwärts. Die Katholikin kann auch poetisch sein. „Wenn das Moos nach dem Regen in der Sonne glitzert und mein Blick über die Vulkankegel schweift, fühlt sich das für mich nach Heimat an. Heimat ist die Abwesenheit von Einsamkeit.“

Womöglich gilt jetzt für die Bundesagentur für Arbeit, was ihr Vater einst beklagte, als sie den ersten SPD-Ortsverein im Ort gründete: „Wie kannst du nur so eine Unruhe ins Dorf bringen? In unserer Gemeinde war es doch meist friedlich.“ 

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