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Personal > Weitere Erhöhung gefordert

Mindestlohn muss auf 20 Euro steigen

Am 1. Oktober ist der Mindestlohn in Deutschland auf zwölf Euro gestiegen – ein sattes Plus von 15 Prozent. Und schon kommen weitere Forderungen. Ausgerechnet ein prominenter Mittelständler verlangt 20 Euro. Das dürfte die Inflation weiter anheizen.

Am 1. Oktober ist der Mindestlohn in Deutschland auf zwölf Euro gestiegen – ein sattes Plus von 15 ProzentBild: Shutterstock

Sebastian Dettmers ist sicherlich nicht prädestiniert, um Gewerkschaftlern zu gefallen. Der CEO der Job-Plattform Stepstone hat eine starke politische Meinung und machte diese auf großen Bühnen und in seinem aufsehenerregenden Buch „Die Arbeiterlosigkeit“ publik. Viele dort geäußerten Ideen sind die eines liberalen Geistes und nicht die eines Linken. Aber ein Aspekt überraschte vermutlich alle Seiten: Der Mindestlohn soll in Deutschland auf 20 Euro steigen.
Die Begründung lautet: „Die vergangenen 250 Jahre haben vor allem eines gezeigt: Wenn sich unproduktive Jobs nicht mehr rechnen, entstehen vorrangig höherwertige Jobs. Wenn Arbeit teurer wird, steigt der Anreiz, in Bildung und Maschinen zu investieren.“ Ein Mindestlohn schaffe Anreize für Staat und Unternehmen, einfache Tätigkeiten zu automatisieren und mehr Geld in die Qualifikation von Menschen zu investieren. Und: „Wir können uns in einem Hochtechnologieland keine Billigarbeit mehr leisten“, so Dettmers.
Just am 1. Oktober erhöht die Bundesregierung den Mindestlohn von 10,45 auf 12 Euro pro Stunde. Über dieses Plus von 15 Prozent wurde monatelang gestritten, die Regelung ist seit langem bekannt und betrifft rund ein Drittel der deutschen Unternehmen – so viele beschäftigen derzeit Mitarbeiter mit weniger als 12 Euro Lohn. Um die Höhe einzuordnen, bietet sich ein Vergleich mit den durchschnittlichen Gehältern an: Die 12 Euro entsprechen knapp 60 Prozent des mittleren Median-Einkommens der Vollzeitbeschäftigten. „Dies ist im internationalen Vergleich sehr hoch“, sagt Christoph Schröder, Fachmann für Arbeitswelt und Tarifpolitik am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). In Ländern mit ähnlich hohem Niveau, wie beispielsweise in Frankreich, werden die Arbeitgeber von Staat häufig kräftig subventioniert, damit der Mindestlohn nicht zu Beschäftigungseinbußen führt.
Wie sehr die Unternehmen von der Anhebung des Mindestlohnes betroffen sind, unterscheidet sich stark nach Regionen. In Westdeutschland beschäftigen deutlich weniger Unternehmen Menschen zu weniger als 12 Euro pro Stunde als im Osten. Unterschiede gibt es auch zwischen den Branchen: In der Gastronomie sind 78 Prozent der befragten Firmen betroffen. Überdurchschnittlich betroffen sind auch der Einzelhandel mit 58 Prozent, die Textilindustrie mit 72 Prozent und die Nahrungs- und Genussmittelindustrie mit 61 Prozent der Unternehmen.

Spaltung der Gesellschaft droht


Was hält der Fachmann von Dettmers Vorschlag, in den kommenden Jahren auf 20 Euro zu gehen? „Den Mindestlohn noch weiter drastisch anzuheben, würde die Lohnverteilung in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung zusammenschieben und damit die Bildungsanreize gerade im unteren Qualifikationsbereich eher mindern“, sagt Schröder. Dann wäre die Gefahr groß, dass es gerade deswegen zu einer Spaltung der Gesellschaft kommt. „Dies natürlich umso mehr, falls es durch einen zu hohen Mindestlohn zu Arbeitsplatzverlusten kommt.“
Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass die Einführung des Mindestlohns in Deutschland zu einer Verschiebung von Arbeitskräften weg von weniger produktiven hin zu produktiveren Unternehmen geführt hat. „Dies bedeutet, dass Jobs in schlechter bezahlenden Unternehmen zwar verschwinden und Arbeitnehmer häufig in besser bezahlte Jobs wechseln“, sagt Johannes Seebauer, Arbeitsmarktökonom am DIW. „Sicherlich wird der Mindestlohn auch in den kommenden Jahren weiter steigen.“ Wie schnell er die genannten 20 Euro erreichen wird, hänge neben politischen Erwägungen nicht zuletzt von der Produktivitäts- und allgemeinen Lohnentwicklung ab. „Ein Mindestlohn kann dazu beitragen, dass Arbeitnehmer auch tatsächlich entsprechend ihres Beitrags zum Unternehmenserfolg entlohnt werden und von Produktivitätssteigerungen profitieren“, sagt Seebauer. Beschäftigte würden in der Realität häufig einen geringeren Lohn als den durch ihre Tätigkeit generierten Mehrwert für das Unternehmen akzeptieren. „Dies geschieht beispielsweise, wenn sie nur unzureichend über die Verdienstmöglichkeiten in alternativen Jobs informiert sind.“ Auch lohnunabhängige Kriterien spielen bei der Wahl des Arbeitsplatzes eine Rolle, wie beispielsweise die Arbeitszeiten, der Arbeitsweg oder das soziale Umfeld.


Inwiefern der Mindestlohn das Leben teuer macht


Zwiespältig betrachtet der Ökonom das Argument von Stepstone-Chef Dettmers, dass ein hoher Mindestlohn Staat und Unternehmen dazu veranlasst, einfache Tätigkeiten zu automatisieren und mehr Geld in die Qualifikation von Menschen zu investieren. „Ein Mindestlohn kann dazu führen, dass Arbeitgeber verstärkt in Training und Weiterbildung ihrer Arbeitskräfte investieren, um die höheren Personalkosten durch so erzielte Produktivitätssteigerungen auszugleichen.“ Wenn der Faktor Arbeit relativ zu Kapital teurer wird, entstünden auch Substitutionsanreize. Allerdings gelte das nicht uneingeschränkt für alle Jobs: „Die Tätigkeit eines Friseurs lässt sich, zumindest in der kurzen Frist, deutlich schwieriger automatisieren als beispielsweise die einer Supermarktkassiererin, wo Self-checkout-Kassen teilweise bereits zum Einsatz kommen.“
Wie stark die Höhe des Mindestlohns den Verbraucher betrifft, zeigt diese Statistik: Die Steigerung auf 12 Euro bringt laut einer Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo rubd 60 Prozent der deutschen Unternehmen dazu, ihre Preise zu erhöhen. „Das dürfte die ohnehin schon große Inflation weiter antreiben“, sagt Ifo-Arbeitsmarktexperte Sebastian Link. 18 Prozent der Betriebe denken aufgrund des höheren Mindestlohns über Kürzungen bei zusätzlichen Lohnbestandteilen wie Sonderzahlungen, Boni und geldwerten Vorteilen nach. „Die große Mehrheit der betroffenen Unternehmen plant nicht, die teurer gewordenen Arbeitskräfte durch Kapital zu ersetzen oder in das Wissen der Beschäftigten zu investieren, um deren Produktivität zu steigern“, sagt Link. Dabei wäre das wohl das beste Mittel für langfristig hohe Produktivität.

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