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Personal > Digital Leadership

Mittelständler Sipgate: Google arbeitet genauso

Open Fridays, funktionale Teams und keine Führungskräfte: Die Arbeitsweise bei dem IT-Telefonie-Anbieter Sipgate klingt wie aus dem New-Work-Lehrbuch. Aber kann das funktionieren? Geschäftsführer Tim Mois sagt: ja, klar.

Herr Mois, bei Sipgate gibt es keine klassischen Hierarchien und Strukturen, stattdessen Digital Leadership und agiles Arbeiten. Wie führt man ein Unternehmen, das über keine klassische Geschäftsführung verfügt?
Das geht nur, wenn jeder Mitarbeiter ein Stück Verantwortung für sich selbst und andere übernimmt. Ich bin nur der Primus inter Pares, also der Erste unter Gleichen. Das gilt sogar bei der Spesenabrechnung.

Wie funktioniert die bei Ihnen?
Es gibt schlichtweg keine. Jeder Mitarbeiter hat ein bestimmtes Reisebudget, das er selbst verwaltet. Er kann selbst entscheiden, wie viel Geld er wofür ausgibt. Wir wollen unsere Arbeitszeit ganz in den Dienst der Kunden stellen und sie nicht für irgendwelchen unnötigen Bürokratiequatsch verschwenden, der nur Zeit kostet. Unsere Mitarbeiter stellen auch selbst neue Mitarbeiter ein. Dazu gehört allerdings auch, dass sie selbst Kündigungen aussprechen, falls das notwendig sein sollte.

Sipgate wurde 2004 gegründet und ist damit noch ein junges Unternehmen. Haben Sie von Anfang an so gearbeitet?
Nein, wir haben erst 2010 auf agiles Arbeiten umgestellt. Damals haben wir das Unternehmen organisatorisch radikal umgebaut.

Was war der Grund dafür?

Wir wollten unsere Wachstumsperspektiven verbessern, aber uns wurde klar, dass wir das nicht mit einer klassischen Hierarchie schaffen werden. Bei der Umsetzung unserer Projekte hakte es, und wir hatten Probleme, Leute zu finden, weil wir keine gute Employer-Brand hatten. Mir war klar, dass wir einen ganz neuen Ansatz brauchten, denn ich war dauernd als Feuerlöscher im Einsatz.

Wie stellen Sie sicher, dass Sie immer innovativ sind?
Indem 80 Prozent unserer 170 Mitarbeiter an Produkten und Dienstleistungen arbeiten, bei denen es um Innovation und Weiterentwicklung geht. Das bedeutet auch: Bis wir mit einem Großteil dieser Arbeit Geld verdienen, dauert es ein paar Jahre. Aber wir sehen das als Investition in die Zukunft – Google macht es genauso.

Mit anderen Worten: Alles bei Sipgate ist auf Innovationen ausgerichtet.
Wir wollen ganz klar Sprunginnovationen hervorbringen. In den allermeisten Unternehmen finden Innovationen erst dann statt, wenn das Basisgeschäft läuft. Das halten wir für die falsche Reihenfolge: Bei uns steht die Suche nach neuen Ideen an erster Stelle. Über die reden wir dann mit möglichst vielen Leuten und versuchen rauszukriegen, wohin die Reise geht. Wenn das Feedback positiv ist und die Idee Potential hat, treiben wir sie voran. Um Ideen auszutauschen gibt es bei Sipgate eine funktionale Arbeitsweise. Das heißt, alle paar Monate wechseln die Mitarbeiter das Team. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Formate wie „Engineering on tap“ (EOT) oder die „Open Fridays“.

New Work

Das Konzept bezeichnet eine neue Arbeitsweise für das Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung. Durch mehr Selbständigkeit, Freiheit und die Teilhabe an der Gemeinschaft durch die Verteilung der Verantwortung sollen Menschen zeitlich, räumlich und organisatorisch flexibler werden. Die Digitalisierung ermöglicht vertiefte Analysen von komplexen Daten sowie die Vernetzung von Mensch und Maschine, wodurch neue Geschäftsmodelle entstehen. Der Begriff „New Work“ stammt von dem Sozialphilosophen Frithjof Bergmann (* 1930), der unter dem Begriff allerdings ein Gegenmodell zum Kapitalismus verstand.

Bitte was?
Bei den EOTs treffen wir uns mit anderen Entwicklern auf ein Bier bei uns am Tresen und tauschen Codes aus oder diskutieren. Im Mai war das Thema zum Beispiel: „How to become a better software engineer by doing nothing“. Oft geht es dabei auch um neue Tools und Trends. Bei den „Open Fridays“, die einmal im Monat stattfinden, kann jeder Mitarbeiter ein Thema vorschlagen, das ihn gerade beschäftigt. Das geht von Kinderbetreuung während der Ferien bis zu „mob programming“, also dem gemeinsamen Programmieren.

Wie werden daraus neue Produkte?
Es kommt regelmäßig vor, dass jemand nach einem solchen Treffen einen Prototyp entwickelt, den wir dann an unsere Kunden verschicken. Das bringt oft mehr als ein zweistündiges Meeting mit einem Kunden, der vielleicht noch gar nicht so genau weiß, was er braucht.

Sie setzen also auf Out-of-the-box-Thinking?
Wir wenden mehrere Innovationskonzepte an. Kaizen, also die kontinuierliche Weiterentwicklung von Produkten, nutzen wir jeden Tag. Design Thinking bietet sich an, wenn es ein breites Angebot von Optionen gibt, und Scrum, wenn man schon weiß, wo man hin will, aber nicht weiß, wie.

Sie haben derzeit sechs Anwendungen im Portfolio und vier, die Sie wieder eingestellt haben. Das heißt, Ihre Ideen lagen wohl ein paar Mal daneben.
Keineswegs. 60 bis 70 Prozent unserer Produkte reüssieren am Markt. Aber was heute noch funktioniert, kann morgen schon wieder uninteressant sein. Man muss sich permanent entscheiden, was man umsetzt – und was nicht. Daraus ergibt sich dann, was man sein lassen muss, denn man kann vorn schlecht etwas Neues entwickeln, wenn man hinten Ressourcen für den Betrieb blockiert. Nur indem man immer wieder in diesen sauren Apfel beißt und sich fokussiert, kann man echte Innovation hervorbringen.

Das Unternehmen

Der IT-Dienstleister Sipgate wurde 2004 in Düsseldorf gegründet und hat sich auf Internettelefonie spezialisiert. Das Unternehmen beschäftigt 170 Mitarbeiter und setzt rund 30 Millionen Euro (2016) um.

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