Mittelstand als Top-Arbeitgeber: So gewinnen KMU im Talentkrieg
Warum kleine und mittlere Unternehmen bei der Mitarbeiterbindung oft die Nase vorn haben. Eine Analyse.

Cola bei der Arbeit? Nein, so weit geht die Flexibilität dann doch nicht. Bei Almdudler favorisieren sie neben Wasser gern die eigenen Produkte – egal ob am heimischen Standort in Wien oder bei der Deutschland-Dependance in Köln. „Bei Cola wird's kritisch", sagt Sabine Ruso augenzwinkernd, die für Personalthemen zuständig ist. Um gleich ernst zu werden bei der Antwort auf die Frage, warum die Deutschland-Tochter des österreichischen Unternehmens in Umfragen zum besten Arbeitgeber weit oben steht.
„Wir achten darauf, wirklich faire Arbeitsbedingungen zu schaffen, maßgeschneidert auf die unterschiedlichen Teams und ihre Bedürfnisse", sagt Ruso. Wer im Außendienst tätig sei, brauche andere Dinge als jemand, der tagtäglich in ein Büro gehe. Gemeint sind zusätzliche Vorteile neben dem Gehalt – bis hin zu bestimmten Arbeitszeitmodellen. „Es soll spürbar machen, dass wir ein Familienunternehmen sind, Rücksicht nehmen und sehr gern auch die private Situation berücksichtigen", erklärt Ruso. Ähnliches hört man in vielen Unternehmen, aber Almdudler hat sich bereit erklärt, das alles von den Beschäftigten messen und bewerten zu lassen – und landete mit seinen Ergebnissen eben weit vorne im gesamtdeutschen Vergleich.
Weiterbildung statt Hierarchie
Ein großes Problem bei kleinen Unternehmen ist, Wertschätzung für die Mitarbeiter genauso auszudrücken, wie große Konzerne es können: durch hohe Gehälter und regelmäßige Beförderungen. „Wir sind ein kleines Unternehmen, wir brauchen am Ende nicht zwanzig Geschäftsführer", erklärt Ruso. Die Personalchefin steckt Geld in den Bereich, der Beschäftigte am nachhaltigsten glücklich macht: Weiterbildung. „Wir investieren in Expertise, jeder und jede soll einen Schritt weiterkommen. Das ist das, was wir aus den Mitarbeitenden herauskitzeln wollen." Dass es nicht viele Hierarchieebenen gibt bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), ist aus ihrer Sicht nicht per se ein Nachteil. Bewerberinnen und Bewerber wissen das auch. Umso wichtiger sei aber, dass kleine Unternehmen „Wissen weitergeben", wie Ruso es nennt.
Man bekommt Einblicke in praktisch alle Bereiche des Unternehmens, platt gesagt die Breite, während Konzerne Spezialisten produzieren. Jeder und jede bei Almdudler müsse unternehmerisch denken, sagt Ruso. So würden Karrieren entstehen, die von der einen Abteilung in eine komplett andere führten. „Über den Tellerrand hinaus denken", ist hier das Motto. Beschäftigte entdecken Dinge, mit denen sie bisher keine Berührung hatten, die ihnen aber Spaß machen. Gelernte Marketer wechseln ins Controlling, Vertriebler gehen zu People and Culture. „Da gab es schon die wildesten Konstellationen", sagt Ruso. „Aber am Ende des Tages ist es dann immer eine Bereicherung nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern auch für uns."
Markenidentität als Motivator
Auch beim Gehalt könne man keine Unsummen zahlen, wie es in einigen Konzernen der Fall sei. „Aber wir haben ein Gesamtpaket mit allem, was dazugehört, inklusive vieler Benefits", erklärt Thomas Horak, Geschäftsführer Almdudler Deutschland. „Worin wir mehr investieren, als es ein kühl rechnender Konzern machen würde, ist in die Zeit, die Mitarbeiter zusammen verbringen." Soll heißen: Die Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland sind regelmäßig in Wien in der sogenannten Almhütte oben im Firmengebäude. Man schaue da „ein bisschen weniger auf die Reisekosten", sondern wolle die Kommunikation stärken.
Was den internen Zusammenhalt genauso stärke, wie es Talente anziehe, ist Horak zufolge die Marke. „Wir bringen eine Love Brand mit, für die unsere Mitarbeiter brennen. Wir wollen dieses Familiendasein und die authentische Markengeschichte unseres Familienunternehmens spürbar machen. Die Mitarbeiter fühlen sich wohl bei uns, sie brennen für die Marke", sagt Horak. Wie nah die Getränkeindustrie an der Unterhaltungsbranche ist, kennt man von einem anderen österreichischen Unternehmen. Aber Almdudler sei mit ganz anderen Werten verbunden – sozusagen Urlaub in Österreich in Flaschen. „Almdudler wird mit einer schönen Zeit in den Bergen verbunden, beim Skifahren, beim Wandern, mit der Familie", sagt Horak. „Und diese Marke zu verkaufen, macht vielleicht ein wenig mehr Spaß als das eine oder andere Produkt."
Nun führt ein Produkt mit positivem Wert nicht automatisch dazu, dass die Marke auch als Arbeitgeber hochgeachtet ist. Da gibt es verschiedene Gegenbeispiele. „Ein Selbstläufer ist das nicht, wir arbeiten sehr intensiv auch an einer guten Arbeitgebermarke und versuchen uns da wirklich auch gut zu präsentieren", erklärt der Deutschland-Geschäftsführer. „Wir begleiten Menschen, die sich bei uns bewerben, schon im Recruiting-Prozess sehr persönlich und sagen klar, was wir bieten können, aber eben auch, was wir nicht bieten können."

Vertrauen und Transparenz als Erfolgsfaktoren
Horak kennt die Diskussion rund um New Work, also dass Flexibilität und viele andere Vorteile in Widerspruch stehen zur Performance. Er sieht das Spannungsfeld nur bedingt. „Bei einer guten Feedback-Kultur geht das Hand in Hand mit Leistung. Wir geben viel Vertrauen gerade bei der ortsunabhängigen Arbeit, aber eben mit ganz viel Digitalisierung." Für ihn gehören gewisse Freiheiten und Transparenz über geleistete Ergebnisse eng verknüpft. Der Vertrieb arbeitet mit einem CRM und die gesamte Arbeitsweise ist geprägt von digitalen Tools. Das Unternehmen lebt die Kultur der Transparenz. Jeder Mitarbeitende habe eine Zielvereinbarung und könne „jederzeit einsehen, wo man da gerade steht". Auch der Bereich „People and Culture", wie die Personalabteilung offiziell heißt, arbeite intensiv mit digitalen Tools, was Beschäftigte aus doppeltem Grund zu schätzen wissen. Erstens erspart es auch ihnen Zeit, zum Beispiel bei Reisekosten, Lohnverrechnung oder Zeiterfassung. Zweitens haben die Personaler mehr Zeit für das Menschliche. Denn bei all den kleinen und großen Maßnahmen stehe eines über allem, sagt Personalchefin Ruso. „Das Wichtigste ist dann doch, auf die Mitarbeitenden zu hören: Was wollen die überhaupt?"
Kultur als harte Währung
KMU können, auf ihre jeweilige Art, genauso attraktiv für Talente sein wie Konzerne – das hört man von Expertinnen und Experten immer wieder. Die Grundregel lautet: Im Dialog Menschen befragen, was sie für exzellente Arbeit brauchen und sich dann von dem leiten lassen, was an Feedback kommt. Kleine Betriebe sind absolut konkurrenzfähig. Wenn nur das Geld die entscheidende Rolle spielen würde, wäre es schwieriger. Aber in Befragungen kommt das Gehalt nach Relevanz gerade einmal im unteren Drittel der Antworten. Da haben die Unternehmen viel Gestaltungsfreiheit in den oberen zwei Dritteln.
Kultur klingt weich, ist aber eine harte Währung. Beim Thema Arbeitgeberattraktivität geht es nicht um das große Pampern. Es geht darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Menschen exzellente Arbeit leisten können. Flexibilität zum Beispiel ist ein wichtiges Thema für viele. Um zu erfahren, was die Beschäftigten umtreibt und wünschen, sollten sie regelmäßig befragt werden – verbunden mit Transparenz. Wenn der Arbeitgeber sich Feedback holt, muss er es auch zurückspielen und erklären, was er und Führungskräfte daraus lernen und ableiten. Wobei die meisten Beschäftigten gar nicht fordern, dass sich alles sofort ändert. Zudem helfen Mitarbeiterbefragungen in großem Umfang dabei, festzulegen, welche Maßnahmen sofort angegangen werden sollten und welche Zeit haben. Die meisten Beschäftigten wissen, dass ein Betrieb gerade kleinerer Größe nicht alles gleichzeitig angehen kann. Die Befragung hilft, ein gemeinsames Bild darüber zu bekommen, was die wichtigsten Handlungsfelder sind.
Führung auf Augenhöhe
Um zwei Binsenweisheiten kommt man bei der Arbeitgeberanalyse nicht herum: Zum einen ist das Verhalten der Führungskräfte eminent wichtig. Zum anderen liegt hier so manches im Argen. Aber die allgemeinen Sprüche und Zaubertricks greifen oft zu kurz, denn es gibt keine generellen Weisheiten. Führungskräfte sollten ihre Beschäftigten schlichtweg fragen, welche Art Führung sie brauchen – und dann individuell darauf eingehen. Leadership auf Augenhöhe bedeutet weder, allen alles recht machen zu wollen, noch, überall ein Vordenker zu sein, der oder die alles besser weiß.
Das Gehalt wird bei der Frage, ob ein Betrieb als guter oder weniger guter Arbeitgeber durchgeht, häufig überschätzt. Prinzipien der Fairness bei der Vergütung sind sehr wichtig. Aber eine hohe Vergütung führt schnell in eine Saturierung, wirkt also nur kurzfristig. Andere Bedingungen sind auf lange Sicht bedeutender – Vertrauen zum Beispiel. Vertraue ich darauf, dass mein Arbeitgeber eine Zukunft hat? Vertraue ich auf die Qualität? Vertraue ich auf die Kompetenz des Managements? Das sind typische Fragen der Beschäftigten.
Arbeitsplatzsicherheit als Trumpf
Dazu kommt die Arbeitsplatzsicherheit als eine subjektive und von der persönlichen Biografie abhängige Größe. Es gibt zum Beispiel Menschen mit einer hohen Flexibilität. Sie wissen, dass sie schnell etwas Neues finden, wenn sie aufhören. Dieses Gefühl sinkt vor allem in kriselnden Branchen stark. Wenn alles boomt, ist das Thema Arbeitsplatzsicherheit kein Topthema. Doch das ändert sich gerade wieder. Wer ein Umfeld schafft, das den Beschäftigten Sicherheit bietet, ist attraktiver für Beschäftigte.
Studien belegen, dass Arbeitszeitverkürzung selten funktioniert, wenn die Mitarbeitenden nicht selbst Vorschläge machen, wie sie effizienter arbeiten können. Das kann in der Regel nicht von außen oder oben entschieden werden, sondern braucht den gemeinsamen Willen, Effizienz zu identifizieren, durch Automatisierung oder andere Maßnahmen. Die Arbeitszeit zu verkürzen, wünschen sich Beschäftigte in der Regel nicht, um für einen Halbmarathon zu trainieren, sondern weil sie sich um Kinder oder Pflegebedürftige kümmern müssen. Die Hauptlast dabei tragen Frauen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Roman Gaida hat sich selbst bewiesen, dass eine erfolgreiche Karriere und eine aktive Rolle in der Familie vereinbar sein können. In seinem Buch „Working Dad" berichtet er über seine Erkenntnisse und zeigt, dass es möglich ist, berufliche Verantwortung zu übernehmen, ohne dabei die Familie aus den Augen zu verlieren. „Wir brauchen Arbeitgeber, die eine Kultur der psychologischen Sicherheit fördern und einen offenen Dialog über diese Themen ermöglichen", sagt Gaida, der bei Bürkert Fluid Control Systems im baden-württembergischen Ingelfingen das globale Vertriebs- und Marketinggeschäft verantwortet. Damit meint er, dass es selbstverständlich sein sollte, wenn Mütter oder Väter sich für ihre Familie Zeit nehmen, ohne sich rechtfertigen oder Ausreden finden zu müssen. „In vielen Unternehmen geschieht das bisher informell, aber es wäre wünschenswert, dass Eltern offen mit ihren Vorgesetzten darüber sprechen können." Dies würde nicht nur das Arbeitsklima verbessern, sondern auch den Druck reduzieren, der durch wirtschaftliche Herausforderungen und globale Veränderungen ohnehin hoch sei, sagt Gaida. „Zusätzlicher Stress entsteht, wenn Mitarbeitende Sorge haben, ihre familiären Verpflichtungen anzusprechen."
Wichtiger als organisatorische oder administrative Unterstützungen wie Betriebskindergärten ist für den Manager die Unternehmenskultur. „Es geht darum, Walk the Talk wirklich zu leben. Also, dass jede Führungskraft aktiv signalisiert, dass sie Mütter und Väter unterstützt und dass Elternzeit oder Teilzeit nicht als Karrierenachteil gesehen werden." Als Beispiel nennt er Investmentbanken in den USA, die zwar Betriebskindergärten anbieten, diese aber eher dazu dienen, dass Mitarbeitende lange Arbeitszeiten abdecken können. Er verweist auf die häufige Diskrepanz zwischen offiziell angebotenen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie und deren tatsächlicher Nutzung. „Viele Unternehmen werben mit umfassenden Angeboten, doch wenn die Unternehmenskultur es nicht wirklich unterstützt, werden sie kaum genutzt."
Mit Blick auf seine langjährige Erfahrung bei einem japanischen Konzern zieht Gaida einen Vergleich mit Japan. Dort existieren zwar Regelungen zur Elternzeit, „aber sie werden kaum in Anspruch genommen, weil es gesellschaftlich nicht verankert ist." Sein Fazit nach zahlreichen Gesprächen zu diesem Thema: „Unterstützende Maßnahmen in Unternehmen entfalten nur dann ihre Wirkung, wenn sie von Führungskräften aktiv vorgelebt werden." Deshalb widmet er in seinem Buch ein eigenes Kapitel der Wahl des passenden Arbeitgebers. „Es kommt auf die feinen Nuancen an, die darüber entscheiden, ob man langfristig zufrieden ist oder ob die Realität im Unternehmen nicht den Erwartungen entspricht."
Bei Almdudler, insgesamt 90 Mitarbeiter, 25 davon in Deutschland, gehört zur DNA des Unternehmens eben auch das grenzüberschreitende Denken. Die Zusammenarbeit zwischen den Österreichern und den „Piefkes" aus Deutschland falle leicht: „Die sprachlichen Barrieren versuchen wir bei jedem Teambuilding wieder wegzubringen", erklärt Personalchefin Sabine Ruso schmunzelnd. „Wir sind eigentlich dann doch sehr nahe."