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Management > Unternehmensnachfolge

Nachfolgerin krempelt Firma um

Julia Esterer steigt mit 35 Jahren ins väterliche Unternehmen ein und räumt auf. Seitdem macht bei dem Mittelständler kein Mitarbeiter mehr den Job, den er vorher gemacht hat.

Die Dr.-Ing. Ulrich Esterer GmbH & Co. Fahrzeugaufbauten und Anlagen KG baut Aufbauten für Tankwagen und ist in dieser Nische sehr erfolgreich. Weltweit gibt es nur zwei Handvoll Konkurrenten, die vergleichbare Aufbauten für Mineralöltransporte und Flugfeldbetankung fertigen. Trotz dieses Erfolges ist bei dem Familienunternehmen aus der Nähe von Kassel in den vergangenen drei Jahren einiges durcheinandergeraten. Schuld ist die Juniorchefin Julia Esterer. Seit neuestem sagt die Nachfolgerin den Mitarbeitern, wie sie ihren Job zu machen haben und wie sie ihre Werkbänke aufzuräumen haben. Julia Esterer hat den Fertigungsprozess im Unternehmen neu strukturiert. Sie hat schlanke Produktionsmethoden nach japanischem Vorbild eingeführt. Jedes Werkzeug hat jetzt seinen Platz. Kaffeebecher am Arbeitsplatz sind tabu. Damit hat die Nachfolgerin sich nicht gerade beliebt gemacht.

Nachfolge auf Probe

Ihr Einstieg ins väterliche Unternehmen war mehr Zufall als Plan. Nach zehn Jahren bei BMW, die sie zum Großteil in Südostasien, in vielen Flugzeugen und noch mehr Hotels verbracht hatte, war es Zeit für Veränderung. "Ich wollte zurück nach Deutschland, und ich wollte in einer kleineren Struktur arbeiten", erinnert sich die Nachfolgerin an ihre Entscheidung zum Ausstieg bei BMW. Mit dem Familienunternehmen hatte sie bis dahin so gut wie nichts zu tun gehabt. Ihr Vater, mit 69 Jahren immer noch einziger Gesellschafter und Geschäftsführer im Unternehmen, hatte sich sowohl mit dem Unternehmensverkauf als auch mit dem Aufbau eines externen Geschäftsführers versucht. Beides erfolglos. Mit seiner Tochter einigte der Unternehmer sich im Jahr 2008 auf ein gemeinsames Probejahr in der Firma.

 

"Ich habe mit einem ganz kleinen Gehalt angefangen und erst mal Marketing gemacht." Im Grunde habe sie den Internetauftritt gemacht, relativiert Nachfolgerin. Aber dann war da die neue Halle, die dringend gebraucht wurde und die ihr Vater schon lange hatte bauen wollen. Auch Unternehmensberater waren schon da gewesen und hatten Ideen entwickelt, wie mit dem Umzug in die neue Halle gleichzeitig die Produktion effizienter gestaltet werden könnte. Esterer hatte ein Auftragsvolumen in den Büchern, das mit der bisherigen Fertigungsweise nicht mehr gestemmt werden konnte. "Mein Vater bat mich, dieses Projekt zu leiten", erinnert sich die Nachfolgerin.

Widerstand gegen die Nachfolgerin

Eigentlich ging es "nur" um die Umstellung der Produktion auf eine getaktete Fließfertigung mit dem Ziel, die Durchlaufzeiten um bis zu 75 Prozent zu reduzieren. Zu viel Zeit ging bis dato bei dem Mittelständler verloren mit dem Suchen nach Werkzeugen, dem Warten auf Bauteile oder aufgrund fehlender Standardisierungen einzelner Baugruppen. Mit der Umstellung wurden die Arbeitsschritte pro Arbeitsstation exakt definiert, Einbauzeiten begrenzt, Bauteile vorgefertigt, unnötige Handgriffe abgeschafft und soweit möglich standardisiert. Auch Vertriebler, Konstrukteure und Einkäufer mussten ihre Arbeitsweise an dem neuen Ziel ausrichten. Am Ende machte niemand mehr den Job, den er vorher gemacht hatte.

 

Es gab offenen Widerstand und noch mehr versteckten, und es gab einige Dinge, die die Nachfolgerin nicht so umsetzen konnte, wie sie sich das vorgestellt hatte. "Ich habe eine unglaubliche Lernkurve hinter mir", berichtet sie. "Vor allem habe ich gelernt, dass Veränderung Zeit braucht und oft nur in kleinen Schritten geht. Ein Mitarbeiter hat das ganz anschaulich formuliert: 'Frau Esterer, Sie kommen hier mit 250 Stundenkilometern in Ihrem BMW auf der Autobahn an. Wir aber sitzen in einem Tanklaster, der eigentlich nur 80 Stundenkilometer fahren soll. Und wir treten aufs Gas und machen und tun und schaffen die 120 Stundenkilometer. Aber der Wagen ächzt und stinkt und quietscht, und es ist außerdem noch gefährlich.'"

Senior stärkt Nachfolgerin den Rücken

Hat sie sich da jemals gefragt, ob das alles so richtig ist? Und was sagt der Vater zu dem neuen Kurs? Er unterstützt, wo er kann. Denn die Idee dahinter findet der Unternehmer gut und richtig. Hinter dem Ganzen stecke ja eine Philosophie: "Wir wollen Verschwendung aus dem Prozess nehmen. Verschwendung von Zeit, von Material und von Ressourcen. Nur so können wir langfristig international wettbewerbsfähig sein." Ihr Vater habe das, was sie jetzt in Angriff genommen hat, schon lange tun wollen, aber mit Ende sechzig wohl nicht mehr die Kraft dazu gehabt, sagt die Nachfolgerin.

 

"Es war ein Fehler, das Ganze 'Projekt' zu nennen", sagt die Unternehmerin. Es sei vielmehr ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Ein Prozess, an dessen Ende allerdings ein ganz anderes, neues Unternehmen stünde. "Ich glaube, einige halten immer noch den Atem an und warten darauf, dass es bald vorbei ist. Aber das geht nicht vorbei." Um die Mitarbeiter bei diesem Prozess mitzunehmen statt zu überrollen, braucht die Nachfolgerin vor allem Führungskräfte, die mit ihr in dieselbe Richtung marschieren. Menschen, die Menschen motivieren können.

Das Unternehmen Esterer


Julia Esterer führt das Familienunternehmen in dritter Generation gemeinsam mit ihrem Vater Harold Esterer. 1955 gegründet gehört das Unternehmen in der Flugfeldbetankung weltweit zu den drei größten Anbietern. Im Geschäftsfeld Straßentankfahrzeuge ist Esterer die Nummer eins in Deutschland. Die Hälfte der gefertigten Fahrzeuge geht an Kunden in Deutschland, die andere Hälfte rollt in die ganze Welt. Zu den Kunden des Mittelständlers gehören große Mineralölkonzerne wie Shell, Exxon und BP sowie kleine lokale Mineralölhändler um die Ecke, Esterer beliefert kommerzielle Flughafenbetreiber sowie eine Anzahl internationaler Militärs. Hauptmärkte außerhalb Deutschlands sind Europa und der Mittlere Osten, derzeit wird stark nach Russland, Südamerika und natürlich Südostasien expandiert.