Homeoffice nach der Pandemie: Ein Balanceakt für Unternehmen und Mitarbeiter
Homeoffice bleibt: Unternehmen und Mitarbeiter jonglieren zwischen Büro und remote Work. Trends, Herausforderungen, Lösungen.
Seit der Corona-Pandemie ist Arbeiten von zu Hause beliebt. Was viele Beschäftigte erfreut, ist vor allem für Unternehmen anspruchsvoll.
Wahrscheinlich ist die Arbeit von zu Hause aus die einzige beliebte Corona-Vorsichtsmaßnahme. Die Menschen nahmen sie nicht nur klaglos hin, sondern verteidigen sie auch heute noch vehement und fordern sie von Arbeitgebern ein. Jetzt ordern zahlreiche Unternehmen ihre Mitarbeiter wieder zurück in den Betrieb. Besonders größere Unternehmen wie Deutsche Bank, Telekom, SAP und Volkswagen dampfen ihre pandemiebedingt großzügigen Homeofficeregeln ein. Und mittelständische Urgesteine wie der kürzlich in den Ruhestand gegangene langjährige Trigema-Chef Wolfgang Grupp lassen wissen: „Homeoffice gibt’s bei mir nicht. Wenn einer zu Hause arbeiten kann, ist er unwichtig.“
Werden alle wieder zu Büromenschen?
Der Schein trügt. Tatsächlich bieten auch diese Unternehmen ihren Beschäftigten weiter die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten – in der Regel meist an zwei Tagen wöchentlich und dann an drei Tagen im Büro. Verschwinden werden das Homeoffice und generell mobiles Arbeiten also nicht. Und es ist bei Fachkräften auch zunehmend beliebt. Wo immer es möglich ist, tun Mittelständler daher gut daran, technisch sowie rechtlich sichere und flexible Lösungen mit ihren Mitarbeitern zu finden.
Es gibt viele verschiedene Zahlen zur Arbeit von zu Hause aus
Etwa 64 Prozent aller Unternehmen in Deutschland nutzen entsprechende Regeln, wie das Ifo-Institut in München ermittelt hat. Knapp jeder vierte Erwerbstätige ist nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes zumindest gelegentlich im Homeoffice, 14,7 Prozent sogar täglich oder in mindestens der Hälfte ihrer Arbeitszeit. „Vieles spricht dafür, dass dieser Wert künftig stabil bleiben oder nur gering abnehmen wird“, erwartet Simon Krause, der das Thema für das Ifo-Institut erforscht. „Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben.“
Bei seiner Umfrage im Herbst 2023 gaben 84 Prozent von rund 9000 befragten Unternehmen an, dass sie ihre Homeofficeregelungen beibehalten wollen.
Die Zahl derer, die ausschließlich im Homeoffice arbeiten, hat sich durch die Corona-Pandemie fast vervierfacht. Waren es 2019 noch 674.000 Beschäftigte, stieg die Zahl bis 2022 auf rund 2,285 Millionen, rund sechs Prozent der abhängig Beschäftigten hierzulande, wie das Bundesarbeitsministerium auf eine Anfrage einer Abgeordneten der Linken zusammenstellte.
Inzwischen ist die Zahl wieder gesunken. Doch Beschäftigte verbringen nach wie vor deutlich mehr Zeit im Homeoffice als vor der Pandemie, wie Arbeitsmarktexperte Philipp Grunau vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung beobachtet.
Dabei kommt es auf die Art der Jobs an. In 80 Prozent der IT-Unternehmen arbeiteten Beschäftigte mindestens einmal in der Woche von zu Hause, ergab eine Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Vor der Pandemie waren es 48 Prozent. Im stärker ortsgebundenen verarbeitenden Gewerbe sind es heute 45 Prozent nach 24 Prozent vor Corona. Die Unternehmen rechnen danach in den kommenden zwei Jahren eher mit mehr Homeoffice als mit weniger.
Am häufigsten sind die Mitarbeiter freitags im Homeoffice, gaben 55 Prozent der Unternehmen an, die Ifo-Forscher Krause befragte, gefolgt vom Montag in 35 Prozent der Unternehmen. „Dagegen sind Dienstag, Mittwoch und Donnerstag meistens Präsenztage auch für Beschäftigte, die teilweise zu Hause arbeiten“, sagt Krause. Dieses Muster zeigt sich seiner Beobachtung nach in allen Wirtschaftszweigen und bei allen Unternehmensgrößen.
Locker bleiben
Heike Lorenz, Personalchefin der Werbeagentur Jung von Matt, handhabt Homeoffice pragmatisch und flexibel. Im Prinzip gilt für jeden: drei Tage pro Woche im Büro arbeiten.
Auch bei Jung von Matt ist es montags und freitags eher ruhig in den Räumen der Hamburger Zentrale. Die inhabergeführte Werbeagentur hat an verschiedenen Standorten mehr als 1200 Beschäftigte. „Dienstags bis donnerstags sind die Büros dann überall recht gut besetzt“, sagt Personalchefin Heike Lorenz. Drei Tage Arbeiten in Präsenz und zwei Tage remote sieht die agenturweite Regelung vor.
„Wir schreiben unseren Führungskräften aber nicht vor, wie sie es konkret handhaben sollen“, erklärt Lorenz. Ob Teammitglieder eher aus der Ferne oder in Präsenz arbeiten, hängt von der Disziplin und vom Standort ab. Am Stuttgarter Standort wird häufig remote gearbeitet, berichtet Lorenz. „In Hamburg haben wir eine ganz ordentliche Präsenz der Mitarbeitenden.“
Kreativität geht jedenfalls auch außerhalb des Büros. „Wenn wir auf ein Briefing hin Ideen sammeln, findet das in der Regel in kleinen Teams von zwei oder drei Personen statt“, erklärt Lorenz. Das lasse sich auch remote gut machen. „Wenn man dagegen schnell Meter machen will in einem Projekt, dann ist es hilfreich, in einem Raum zu sein.“ Und sich auch mal an der Kaffeemaschine zu treffen. Um das Zusammensein zu stärken und sich auch gegenseitig zu erleben und zu spüren, wie Lorenz sagt, gibt es beispielsweise n den Stuttgarter Büros einmal pro Quartal Agency Weeks, in denen alle Mitarbeiter da sein sollen. „Dann finden auch Teamevents oder andere übergeordnete Projekte statt.“
Homeoffice
In ihrem Bereich schätzt Lorenz den persönlichen Kontakt in Präsenz vor allem bei den umfassenderen Themen. „Wenn es um den großen Projektstatus geht, finde ich wichtig, alle im Raum zu haben“, sagt sie. „So kann man besser auf Reaktionen und Fragen eingehen.“ Auch bei allem, was Personalentwicklung und besonders Softskills betrifft, hat die Personalchefin ihr Team gern in Präsenz dabei. Dagegen findet sie, dass Trainings, die lediglich der Vermittlung von Fachwissen dienten, eher hybrid abgehalten werden könnten.
Der Wechsel vom Präsenztreffen oder Telefonat zur Onlinevideokonferenz war bei Jung von Matt die größte pandemiebedingte Veränderung. „Früher haben wir vieles telefonisch abgesprochen“, erinnert sich Lorenz. Hybrid gearbeitet wird in der Agentur dagegen heute so gut wie ausschließlich per Videocall. „Dadurch, dass wir zeitweise dazu gezwungen wurden, ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden.“
Der Zug als Büro
Und so wie die Führungskräfte mit ihrem Team die Homeofficemodalitäten selbst aushandeln dürfen, lässt die Werbeagentur ihren Beschäftigten auch im Homeoffice Freiraum. „Wir stellen die Geräte zur Verfügung“, sagt Lorenz. „Aber wir kontrollieren nicht die Arbeitsplätze zu Hause.“ Wichtige Details seien aber durchaus zentral festgelegt. „Unsere IT-Richtlinie macht beispielsweise klare Vorgaben darüber, welche Daten wann wie wohin gespeichert werden sollen“, berichtet Lorenz.
Klare Vorgaben in rechtlichen und technischen Fragen rund ums Homeoffice sind im Ernstfall viel wert. Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass die Mitarbeiter Datenschutzvorgaben auch im Homeoffice oder unterwegs einhalten. Vertraulichkeit ist mit Blick auf Remote- oder Hybridtätigkeit aus dem Homeoffice oder auch mobil ein wichtiges Thema, beispielsweise bei der Arbeit im Zug. „Unsere Mitarbeiter dürfen im Zug telefonieren“, erklärt Lorenz. „Aber natürlich haben sie Vertraulichkeitsvereinbarungen unterzeichnet.“ Probleme hat es damit bislang nie gegeben. Die Laptops der Beschäftigten statten Jung von Matts IT-Fachleute beispielsweise mit einer Blickschutzfolie aus.
Die Geschäftsleitung ist als verantwortliche Stelle gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich. Das gilt, wo auch immer Beschäftigte mobil arbeiten – ganz oder teilweise im Homeoffice oder einem Strandcafé oder Coworking Space. Den Mitarbeitern die Geräte fürs Homeoffice zur Verfügung zu stellen, ist nicht allein deshalb sehr sinnvoll. Nur so können Arbeitgeber die Privatnutzung von Geräten untersagen oder bei Bedarf deren Herausgabe verlangen. Das wiederum kann bei einer Betriebsprüfung wichtig werden oder wenn Mitarbeiter krankheitsbedingt unerwartet ausfallen. Kümmern sollten sich Arbeitgeber auch um die Frage, ob und wie die vom Betrieb fürs Homeoffice zur Verfügung gestellten Geräte bei Unfällen oder Diebstahl durch Versicherungen geschützt sind. Und natürlich ist ein Risikomanagement mit Blick auf die IT-Sicherheit nötig.
Nicht ignorieren dürfen Arbeitgeber auch bei denen, die zu Hause arbeiten, das Arbeitszeitgesetz. Und mit Blick auf die arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben für Bildschirmarbeitsplätze sollten sie ihren Beschäftigten alle nötigen Informationen und Ausstattung zukommen lassen, die diese für ergonomisches Arbeiten im Homeoffice brauchen.
Einiges mehr noch ist zu beachten, wenn die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen während ihrer pandemiebedingt langen Remotephasen Gefallen an der Arbeit in der vielleicht strandnahen Ferienwohnung im Ausland gefunden haben. War es früher vor allem eine Sache weniger Freischaffender aus zumeist IT- oder Medienberufen, ist es heute bei Beschäftigten auch anderer Bereiche beliebt, den Urlaub mit der Arbeit zu verbinden – oder auch einfach dort zu arbeiten, wo andere Menschen Urlaub machen.
Mit Laptop in Las Palmas
Fachleute sprechen von Workation. Das Wort setzt sich zusammen aus den englischen Worten „Work“ für Arbeit und „Vacation“ für Urlaub. Präsentationen, Konzepte oder Entwürfe entstehen dann beispielsweise auf einer Restaurantterrasse oder vom Airbnb-Appartement aus. Und fünf Millionen Menschen arbeiten oft länderübergreifend in den weltweit mehr als 40.000 Coworking Spaces. Über ein Dutzend solcher Räume mit vor allem deutschen und englischen Coworkern gibt es beispielsweise allein in Las Palmas auf Mallorca.
„Gelegentlich fragt mal jemand nach einer Workation“, berichtet Jung-von-Matt-Personalerin Lorenz, meist vor oder nach Ende eines Urlaubs. „Um schon mal ein paar Tage vor Ort ankommen zu können oder auch ein paar Tage anzuhängen“, sagt sie. Innerhalb der EU beziehungsweise dem Europäischen Wirtschaftsraum (EU einschließlich Island, Liechtenstein und Norwegen, ohne Schweiz) geht das ihrer Erfahrung nach mit der A1-Bescheinigung sehr einfach. „Außerhalb schauen wir, wie aufwendig das für uns ist, und entscheiden das dann jeweils individuell“, sagt Lorenz.
„Vier Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit es sich um eine Workation handelt“, erklärt Pieter Manden, Mitgründer von Workflex, einer All-in-One Compliance Software für Workations und Geschäftsreisen. Arbeitnehmer müssen sich außerhalb des Landes befinden, in dem sie beschäftigt sind und ihren gewöhnlichen Wohnsitz haben.
„Der Arbeitnehmer gibt seinen Wohnsitz im Heimatland folglich während des Arbeitsaufenthalts nicht auf“, betont Manden. „Der Auslandsaufenthalt ist privat motiviert und verfolgt keinerlei geschäftliche Ziele.“ Eine Workation könne also nicht mit einer Geschäftsreise gleichgesetzt, aber damit kombiniert werden, wenn ein Arbeitnehmer beispielsweise nach dem Besuch eines Geschäftsseminars für ein paar weitere Tage im Ausland bleibe.
Wichtig ist, dass die Arbeitstätigkeiten des Mitarbeiters ausschließlich seinem Arbeitgeber im Heimatland zugutekommen und er im Zielland keine lokale Wertschöpfung erbringt. Außerdem muss der Aufenthalt im Ausland vorübergehend sein. „Die Grenze von 183 Tagen darf in einem laufenden Zwölfmonatszeitraum in den meisten Ländern, nämlich denen mit Doppelbesteuerungsabkommen, nicht überschritten werden“, erklärt Manden.
„Für jedes Workation-Land muss geprüft werden, ob Beschäftigte eine Arbeitserlaubnis benötigen, um sowohl zivil- als auch strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden“, sagt Yavuz Topoglu, Rechtsanwalt und Direktor im Bereich Arbeitsrecht bei Ernst & Young Law in München.
In vielen Ländern sind Visabestimmungen zu beachten.
Auch die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Risiken sind bei Workations hoc
„Steuerbehörden legen bei Prüfungen vermehrt ihr Augenmerk auf mögliche Betriebsstättenbegründungen durch Beschäftigte, die vorübergehend außerhalb des Ansässigkeitsstaates ihres Arbeitgebers tätig werden“, berichtet Nancy Adam, Partner PAS bei EY Tax Steuerberatungsgesellschaft in Düsseldorf. Dann kann Körperschaftssteuer anfallen und eine eigene Lohnbuchhaltung im Workation-Land nötig werden. Schlimmstenfalls wird doppelt besteuert. „Zu den Mitarbeitergruppen mit hohem Risiko gehören besonders Organmitglieder, Führungskräfte und andere Mitarbeitende, die Verträge für das Unternehmen abschließen können“, sagt Adam.
„Die Risiken einer Workation sind sehr ähnlich wie bei geschäftlichen Auslandstätigkeiten“, sagt Pieter Manden. „Sie sollten Arbeitgebern nur bewusst sein.“ Verschiedene Dienstleister bieten mittlerweile Lösungen für rechtssichere Workations deutscher Beschäftigter im Ausland an – von Checklisten über Beratung bis hin zu der Möglichkeit, Mitarbeiter fürs Homeoffice oder den Coworking Space im Ausland beim Dienstleister zu beschäftigen.
Gute Lösungen müssen her. Denn auch Workations sind gekommen, um zu bleiben – spätestens wenn nach der Generation Y auch die Generation Z in den Arbeitsmarkt eintritt. Das ergab die PwC-Deutschland-Studie „Zwischen Wunsch und Wirklichkeit“. Mehr als 75 Prozent aller Workation-Anträge entfallen danach auf die Generation Y. Mehr als 80 Prozent der Angehörigen von Generation Y und Generation Z betrachtet der Studie zufolge die Möglichkeit einer Workation als wichtig oder sehr wichtig bei der Jobsuche.