New Work: Zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Unternehmensperformance
Obstkörbe, Homeoffice, Bällebad: Der Begriff „New Work" ist inzwischen negativ belegt. Doch mit der richtigen Balance an Maßnahmen könnten Firmen viel effektiver arbeiten.

Von Thorsten Giersch
Schlechter werden kann es kaum noch. Die Deutschen arbeiten furchtbar ungern. Zumindest in dem Beruf, indem sie gerade feststecken. All die jährlichen Befragungen, wie etwa vom Gallup-Institut, belegen hierzulande eine im internationalen Vergleich besonders große Unlust. Es sind so dermaßen viele Beschäftigte frustriert im Job, dass es unmöglich am jeweiligen Arbeitgeber liegen kann, sondern eher daran, wie in den meisten Firmen Arbeit grundsätzlich organisiert wird. Dabei geht es anders, wie Unternehmen vornehmlich im Ausland zeigen – und vereinzelt auch in Deutschland. Von denen ist oft zu lesen. Dort, wo Dinge nicht so laufen, ist die Stimmung schlecht.
Digitalisierung und Arbeitskultur: Eine Herausforderung für deutsche Unternehmen
Dass die Deutschen immer unzufriedener im Job sind, hat viel damit zu tun, dass Unternehmen Technologie nicht effektiv einsetzen oder die Kultur nicht angepasst wurde. Unternehmen, Behörden, die Gesellschaft insgesamt hat mit der Digitalisierung nicht Schritt gehalten. Länder, die in einer ähnlichen Situation waren, haben das erkannt und kräftig investiert. Japan zum Beispiel. Nicht nur, aber vor allem beim Thema hybrides Arbeiten erleben Beschäftigte immer noch eine bemerkenswerte Sturheit bezüglich der Annahme, dass ein fester Arbeitsplatz mit festen Arbeitsregeln unumgänglich ist.
Der gegenseitige Frust baut sich immer weiter auf. Für die einen ist die Kultur beim Arbeitgeber gestrig. Die anderen wünschen sich mehr Homeoffice und Vier-Tage-Woche, beides widerspricht scheinbar dem Performance-Anspruch des Managements. Und beide Seiten leben im permanenten Gefühl, IT-Programme nicht optimal zu nutzen und viel unproduktiver zu sein, als es nötig wäre. Der Wandel fordert seine Opfer, vermutlich auch, weil er zu schnell ging. In der Pandemie hat sich von einem Tag auf den anderen vieles verändert. Menschen arbeiteten von zu Hause und nutzten Videoprogramme wie Zoom oder Teams. Die gab es vorher schon, nur setzten sie wenige Unternehmen im Alltag ein. Die Belegschaft war ja immer vor Ort. Dann zeigte sich, wie wandlungsfähig die Arbeitswelt sein kann. Arbeit funktionierte asynchron, also unabhängig von Ort und Zeit.
Die Suche nach dem "New Normal": Herausforderungen nach der Pandemie
Nach der Pandemie machte der Slogan „New Normal" die Runde, hielt sich aber nicht lange, weil er schief war. Es gab kein Zurück zur alten Normalität. Ein Teil der Beschäftigten wollte möglichst viel im Homeoffice bleiben. Doch die Arbeitgeber merkten, dass ein Mix am produktivsten ist. Ein Teil der Führungskräfte will die Beschäftigten auch wieder im Büro haben, der (Pseudo-)Kontrolle wegen. Parallel kam die Diskussion um die Vier-Tage-Woche auf, also weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich. Zudem nimmt die Teilzeitquote immer mehr zu, auch unterstützt von steuerlichen Regelungen, die das begünstigen.
Wer mit Fachleuten spricht, wird keinen erwischen, der deutschen Unternehmen eine gewisse Kontrollsucht abspricht. Also, dass es ein inhärentes Misstrauen Mitarbeitenden gegenüber gibt. Natürlich ist das nicht zu verallgemeinern, aber auch nicht zu negieren. Machen die denn wirklich etwas, wenn sie im Homeoffice sind? Da mögen Studien auch mehrfach belegen, dass Mitarbeiter zu Hause mehr Stunden arbeiten als im Büro, auch, weil die Pendelzeit wegfällt.
Führungskultur im Wandel: Herausforderungen für das Mittelmanagement
Das Problem der Deutschen mit ihren Führungskräften ist so grundlegend, dass auszuschließen ist, dass es an den Persönlichkeiten selbst liegt. Vielmehr gilt es als ausgemacht, dass die handelnden Personen gerade im Mittelmanagement gar nicht so böse sind, sondern die Strukturen im Unternehmen gewisses Verhalten von ihnen erfordern oder provozieren. Das hat eine weitere sehr negative Folge, die Fachleute immer mehr beobachten. Der Nachwuchs fehlt. Es wollen an sich viel mehr junge Menschen führen, aber eben nicht in der Kultur, wie sie jetzt in ihrem Unternehmen gegeben ist. Frei nach dem Motto: „Das will ich gar nicht aushalten."
Managerinnen und Manager, die mit traditionellen Führungsmethoden groß geworden sind, als es praktisch keine dezentral arbeitenden Teams gab, tun sich naturgemäß nicht leicht. Auch digitale Werkzeuge wurden meist nur technisch geschult. Aber wie man in dezentralen Teams wirklich kommunizieren sollte, ist selten Teil der Führungskräfteweiterbildung. Vielen fallen offene Feedbackgespräche per Videokonferenz schwer. Wann ist welcher Kanal ideal – von E-Mail über Chat bis Telefon? Wie oft sollte man die Beschäftigten persönlich treffen? Zusammenzuarbeiten, ohne ins Mikromanagement abzudriften, hat grundsätzlich weniger mit Präsenzkultur zu tun als mit der Einstellung.
Von einem Extrem ins andere: Die Kehrtwende in der Arbeitsplatzgestaltung
Diese Probleme führen dazu, dass die Vorgaben jetzt in die andere Richtung gehen. Es gibt Unternehmen, die Mitarbeiter bestrafen, wenn sie nicht eine gewisse Zeit in der Woche im Büro sind. Dazu gehören auch große Tech-Unternehmen, die vorher ganz vorn dabei waren für eine fast virtuelle Arbeitsumgebung. Der Begriff „New Work" wird plötzlich negativ belegt. Statt die Breite an Maßnahmen zu umschreiben, die modernes Arbeiten bestimmt, ist New Work plötzlich synonym für mehr Freizeit und Arbeiten, von wo aus man will. Und die Diskussion wird immer unsachlicher. Dabei sind die Ideen hinter New Work schon viel älter als die Pandemie.
Längst hat sich herausgestellt, dass ein schlechter Prozess durch Digitalisierung nicht zu einem guten wird. Auch gibt es Mitarbeiter, die erst einmal sagen: Ist nett, nutze ich aber nicht. Genauso wie es Menschen gibt, die keine Gebrauchsanweisung lesen, sondern die neue Kaffeemaschine einfach anschließen und Knöpfe drücken. Nur, dass man die Tools im Beruf, wenn es nicht instinktiv funktioniert, nicht oder nur eingeschränkt benutzt. Nötig ist beharrliche, aber empathische Ansprache, die Antworten auf immer dieselbe Frage gibt: Was habe ich denn davon, wenn ich das neue Programm nutze? Wie schaffe ich es, einen brauchbaren ersten Textentwurf von der KI schreiben zu lassen? Wie halte ich mich über Projekte auf dem Laufenden, ohne an unzähligen Konferenzen teilzunehmen?
New Work neu definiert: Balance zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Unternehmensleistung
Üblicherweise werden rund um New Work zwei Fragen gestellt. Ist die Quote der Beschäftigten hoch genug, die im Homeoffice genauso effektiv arbeiten können? Und hat das Unternehmen eine Führungskultur, die flexible Arbeitsmodelle ermöglicht? Diese beiden Fragen sind berechtigt, greifen aber zu kurz, um New Work ganzheitlich zu erfassen. Was sich genau dahinter verbirgt, erlebt Marc Wagner Tag für Tag. Im Hauptjob ist Wagner Senior Vice President People & Organization beim IT-Unternehmen Atruvia. Die rund 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten praktisch alles rund um Digital- und Technologieprodukte bei Banken an – vom Rechenzentrum über den Betrieb von Geldautomaten bis hin zu den Apps der Volks- und Raiffeisenbankengruppe, dem Mutterkonzern von Atruvia.
Wie so viele Personalvordenker ist Wagner beinahe zufällig zum Thema gekommen. Er arbeitete in der Softwareentwicklung und leitete einige Jahre Restrukturierung, Transformations- und Effizienzprogramme. Dann suchte das Beratungshaus, in dem er arbeitete, jemanden, der sich mit Personalthemen beschäftigte. „Irgendwann gab ich dem Drängen nach und bin gestartet mit dem Thema New Work, als die Welle gerade anfing", sagt Wagner heute. Am Anfang begegnete der ITler den vermeintlich weichen Personalthemen mit einer gesunden Distanz, aber „inzwischen teile ich zu hundert Prozent, dass Menschen den Unterschied machen im digitalen Zeitalter."
Aus seiner Sicht werden Personaler und ihre Themen inzwischen mehr gehört und sind näher am Geschäft, also nicht mehr so sehr mit Verwaltung beschäftigt wie früher, „aber ich wundere mich hin und wieder dann doch noch über die Diskussion zu den Themen und über das teilweise nicht stark genug ausgeprägte Selbstbewusstsein." Anders als etwa Beschäftigte in IT und Finanzierung.
Personaler hätten „häufig gar nicht die Kapazitäten und die Ressourcen, um sich mit dem Thema People hinreichend zu beschäftigen". Die Funktionen liefen im Mittelstand eher administrativ, Personalvorständinnen oder Personalvorstände finde man im Mittelstand relativ selten. Oft muss jemand die HR-Arbeit nebenher erledigen. Erst durch den Fachkräftemangel und den Druck, gewisse Zukunftsfähigkeiten im Unternehmen aufzubauen, seien Personalfunktionen gestärkt worden, sagt Wagner. Der heimliche Weltmarktführer von gestern muss sich nun als attraktiver Arbeitgeber offen positionieren. „Das hat aber nicht zwangsweise dazu geführt, dass in Organisationen die HR-Funktion gestärkt wurde und dort mehr Ressourcen aufgebaut wurden", sagt Wagner.
Technologie als Schlüssel zur effektiven Personalarbeit
Das Paradoxe ist, dass Technologie gerade bei mittelständischen Betrieben eine große Hilfe in der Personalarbeit wäre, doch gerade hier unterdurchschnittlich eingesetzt wird. „Grade der Mittelstand müsste viel stärker auf die Effektivität seiner Strukturen und Prozesse achten als Großkonzerne, die sich einen gewissen Wasserkopf eher leisten können", sagt Personalexperte Wagner. Viele der Routinetätigkeiten, die eine Personalabteilung einfach abarbeiten muss, ließen sich leicht an Technologie abgeben. Viele Themen, für die heute viele Kolleginnen und Kollegen nötig sind, kann etwa künstliche Intelligenz übernehmen. Dazu gehört die gezielte Ansprache am Markt, die Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten oder die Erfassung von Fähigkeiten im Unternehmen.
New Work: Mehr als nur Wohlfühloase
Für Wagner hat New Work ein großes Imageproblem, weil es für so manche nach Wohlfühloase klingt und nicht mehr mit einer Performance-Kultur verbunden wird. „Da krieg' ich schwitzige Finger, weil wir hier eine absolute Fehlentwicklung in der Diskussion haben", sagt er. New Work komme aus einem sozioökonomischen Kontext. Der deutsch-amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann, der sich mit gesellschaftlichen Fragen der Arbeit beschäftigt hat, prägte den Begriff. „Dann hat man versucht, diesen schönen Begriff auf Unternehmen zu übertragen. Und alles, was grade gepasst hat, hat man reingepackt", sagt Wagner. Während der Coronazeit fing man an, unter New Work vor allem virtuelle Arbeit zu verstehen. „Totaler Quatsch. Das ist nur eine Minifacette – genau wie die Obstkorbecke", sagt Wagner und plädiert dafür, wieder das ganze Bild zu sehen. „Natürlich ist es ein Ziel, dass es den Menschen bei der Arbeit möglichst gut geht." Aber Mitarbeiterzufriedenheit und auch das Thema Arbeitgeberattraktivität seien nur Mittel zum Zweck, nämlich die Performance des Unternehmens zu erhöhen, performant in Richtung Kunde zu sein.
Es gehe bei New Work im Kern um die Frage, wie man höchstmögliche Wirksamkeit Richtung Kunde erzeugt, also um Leistung. Dazu gehöre die Frage, wie das Potenzial der Menschen, die diese Performance erbringen, langfristig nachhaltig am besten zu nutzen ist. „Und eben nicht andersrum. Es kann eben kein Selbstzweck sein, zufriedene Menschen im Unternehmen zu haben." Genauso falsch sei es, wieder alles nur auf Effizienz und Performance zu trimmen und den Faktor Mensch und seine Bedürfnisse auszuklammern. Wagner spricht davon, wie wichtig es sei, die richtige Balance zu finden.
Diversität und Shared Leadership als Erfolgsfaktoren
Die Balance in der Wahrnehmung sei auch beim Thema Diversität abhandengekommen, sagt er. „Es geht nicht darum, Menschen etwas Gutes zu tun. Diversität ist der Grundpfeiler von performanten Organisationen." Unternehmen würden in Zukunft nicht überleben, wenn sie nicht Diversität förderten. Im internationalen Wettbewerb seien unterschiedliche Blickweisen im Betrieb wichtig. „Aber wir müssen wegkommen von den Diskussionen darüber, ob wir noch eine dritte Toilette brauchen, sondern uns vielmehr auf das fokussieren, was wirklich zählt: die Vielfalt von Menschen, in all ihren Ausprägungen." Da hilft laut Wagner auch ein Shared-Leadership-Modell. „Wir haben bei Atruvia sehr bewusst die fachliche und disziplinarische Führung voneinander getrennt." Also Funktionen etabliert, die sich ausschließlich auf die Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern. Das hätte auch in mittelständischen Unternehmen große Effekte jenseits einer Personalabteilung.