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Vergütung > Arbeitsmarkt & Mittelstand

Ritzenhoff-Brief: Unternehmer protestiert gegen Mindestlohn in Deutschland

| Oliver Stock

Mindestlohn soll 2026 steigen. Unternehmer Andreas Ritzenhoff warnt: Für viele Mittelständler ist das existenzbedrohend.

Brief
Der offene Brief des Unternehmers Andreas Ritzenhoff: gegen den Mindestlohn sorgt für Diskussionen im Mittelstand. (Foto: MuM ki-generiert)

Mitten in der längsten Wirtschaftsflaute der bundesdeutschen Geschichte soll der Mindestlohn steigen. Die Unternehmer werden damit noch stärker zur Kasse gebeten. Jetzt wehrt sich einer mit deutlichen Worten.

 

02.09.2025 Markt und Mittelstand  - von Oliver Stock / Business Punk

Andreas Ritzenhoff, Doktor der Medizin, hat es sogar mal bis in die „Washington Post“ geschafft. Das war 2018, als der Unternehmer aus dem hessischen Marburg gegen die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel um den CDU-Vorsitz kämpfte. Der damals 61jährige, den politisch niemand auf den Schirm hatte, ist einer jener erfolgreichen deutschen Mittelständler, die sich „hidden champions“ nennen und meist in einer klitzekleinen Nische ein Produkt herstellen, das es so sonst nirgends gibt. Im Fall von Ritzenhoff sind es Aluminiumdesignverpackungen für die Kosmetikindustrie. Wer ein Dior-Parfüm benutzt, hält in der Regel auch ein Ritzenhoff-Produkt in der Hand.

Jetzt schafft es Ritzenhoff bis hierher: Denn der Unternehmer hat einen Brief geschickt, der eigentlich an die SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas, an CDU-Wirtschaftsministerin Katharina Reiche und an die für den Mittelstand zuständige Staatssekretärin Gitta Connemann gerichtet ist. Der Brief ist auch hier gelandet. Es ist ein Antrag zur „Nicht-Inkraftsetzung des Mindestlohns“. Steigt er wie geplant ab 1. Januar 2026 in zwei Schritten auf 14,60 Euro, wäre das für mittelständische Unternehmen „existenzbedrohend“, schreibt er. Ritzenhoff schlägt stattdessen vor, die Menschen im Niedriglohnsektor von Steuern und Abgaben zu entlasten und so deren Nettolohn anzuheben.

 

Briefe, wie der von des Unternehmers und IHK-Funktionärs trudeln beinahe täglich in den Ministerien ein. Und manchmal gibt es vielleicht allenfalls eine Eingangsbestätigung. Ritzenhoffs Schreiben ist jedoch nicht nur wegen dieses Deutschland typischen Unternehmers als Absender interessant, sondern er kommt haargenau in eine Phase, wo es wirklich fällig wäre, über die Erhöhung des Mindestlohns noch einmal nachzudenken:

Zum einen hat das Statistische Bundesamt jetzt seine Quartalsrechnung aufgemacht und festgestellt, dass Deutschlands Wirtschaft wieder geschrumpft ist. Die Unternehmer investieren nur noch zögerlich, die Kunden bestellen nur noch, wenn sie müssen. Von Aufschwung keine Spur. Ökonomen raten davon ab, in dieser Phase die nächste Umverteilungsaktion zu starten. Clemens Fuest etwa, Chef des Ifo-Instituts sagt: „Die aktuelle Wirtschaftslage gibt eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro nicht her. Unsere Wirtschaftsleistung schrumpft seit zwei Jahren. Die durchschnittlichen Arbeitseinkommen steigen zwar, aber nicht annähernd im Umfang der geforderten Mindestlohnerhöhung." Die 15 Euro nannte er, vor der Festlegung auf 14,60 Euro - aber auch vor dieser Summe dürfte seine Warnung gelten.

Zum anderen erreichen die Folgen des mangelnden Vertrauens in den Standort die Mittelständler gerade mit voller Wucht: So ist zum Beispiel das Ende ae group aus dem thüringischen Gerstungen in Sicht. Der Mittelständler beliefert weltweit namhafte Automobilhersteller. Das Unternehmen fertigt Auto-Bauteile in Aluminium-Druckguss. Zum Beispiel Getriebegehäuse, Motorenkomponenten, Getriebesteuerungsteile und Batteriegehäuse. Es gibt drei Produktionsstandorte – der Hauptsitz liegt im thüringischen Gerstungen. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen 1100 Mitarbeiter. Vergangenes Jahr lief es schon so bescheiden, dass die Gruppe die Insolvenz in Eigenverwaltung einleitete, seit 1. August ist damit Schluss und Anwältin Romy Metzger wurde zur Insolvenzverwalterun bestellt. Sie sagt jetzt: Es sehe alles eher nach „end“ als nach „happy end“ aus.

Bei solchen Fällen dürften bei Ritzenhoff die Alarmglocken läuten. Es gibt viele Unternehmer, die denken wie er, seit das für sich genommen schon zweifelhafte Gremium einer Mindestlohnkommission den Vorstellungen der schwarz-roten Regierung, weitgehend gefolgt ist und eine zweistufige Erhöhung des Mindestlohns von derzeit 12,82 auf 14,60 Euro empfiehlt.

Dass damit die Tarifautonomie in dieser Gehaltszone ausgehebelt ist, dass eine letztlich politisch unter Druck stehende „unabhängige“ Kommission Empfehlungen gibt, die niemand anders als die Unternehmer ausbaden müssen, Rietzenhoff kennt die Argumente und ahnt, dass sie nicht ziehen gegen die Behauptung der Befürworter, wonach es darum gehe, Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien.

Doch stimmt das wirklich? Der Mindestlohn in Deutschland ist eine Erfindung aus dem Jahr 2015, als er anfangs bei 8,50 Euro lag. Er ist damit innerhalb von zwölf Jahren um satte 72 Prozent gestiegen. Das ist mehr als jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin an regulärer Lohnerhöhung durchsetzen konnte. Profitieren Millionen? Eher nicht, was daran liegt, dass die Deutschen in der ganz überwiegenden Mehrheit kein Volk von Mindestlohnempfängern sind.

Was der Mindestlohn wirklich bringt, dazu hat eine bundeseigene Informationsstelle für Mindestlohn eine Studie verfasst. Sie stellt fest, dass die Erhöhung der Mindestlöhne in der Vergangenheit nicht automatisch zu einer Erhöhung der Monatslöhne geführt habe, weil Arbeitgeber in der Regel die Arbeitszeit verkürzen, wenn sie mehr pro Stunde zahlen müssen. So kommt es, dass bei geringfügig Beschäftigten der Anstieg der Monatslöhne nur knapp die Hälfte von dem widerspiegelt, was sich durch den Anstieg der Mindestlöhne ohne Arbeitszeitverkürzung eigentlich ergeben müsste. 

Ganz unrecht ist das den Betroffenen oft auch nicht: Viele wollen als sogenannte Mini-Jober abgabenfrei arbeiten, weswegen sie alles tun, um die dazu erforderliche Verdienstgrenze nicht zu überschreiten. So gesehen bringt eine Erhöhung des Mindestlohns in diesen Fällen keine Verbesserung des Monatslohns, sondern sorgt für eine Senkung der Arbeitszeit. Aber das lassen die Befürworter gern unter den Tisch fallen.

Zudem: Die Hoffnung, dass der Mindestlohn zu einem Rückgang der Anzahl der Empfängerinnen und Empfänger von staatlichen Zahlungen ohne Gegenleistung führen könnte, also vor allem von Bürgergeld, erfüllt sich nicht: Die Ausgaben für Bürgergeldempfänger steigen in Deutschland kontinuierlich. Nach Einschätzung der Studienautoren liegt das auch daran, dass überhaupt nur rund drei Prozent aller Bürgergeldempfänger in Vollzeit beschäftigt sind und von einer Anhebung voll profitieren können. Der Mindestlohn als Mittel, die Armut in Deutschland zu bekämpfen, sei ein Rezept, das nicht funktioniere, stellen die bundeseigenen Wissenschaftler fest.

Der Glaube, dass sein Brief irgendetwas am Mindestlohn ändert, dürfte aber auch Ritzenhoff schwerfallen. Denn es war schon in den Koalitionsverhandlungen eine absolut unzweideutige politische Forderung, nein Ansage, der Sozialdemokraten: 15 Euro Mindestlohn! Und es war nicht irgendjemand, der das gefordert hatte, sondern der SPD-Chef, Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil selbst: Die Lohnuntergrenze von 15 Euro würde schon 2026 erreicht, jedenfalls dann "wenn die Mindestlohnkommission sich selbst ernst nimmt ". Dass es dann zu dem Kompromiss mit 14,60 Euro in zwei Schritten kam, war für Klingbeil schon schwer erträglich. Weiter nachgeben kann er mit Blick auf seine Partei sicher nicht.

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