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Personal > Gastbeitrag

Recruiting neu denken

Während vor einigen Monaten ganz Deutschland um erdrutschartige Arbeitsplatzverluste bangte, hat sich insbesondere im Nachgang der Pandemie der Kampf um die besten Talente wieder deutlich verschärft, da alle Unternehmen mit großer Energieleistung an der eigenen Transformation arbeiten und dem Wettbewerb davoneilen möchten.

Obwohl wir seit vielen Jahren bereits den Wandel vom Arbeitgeber- zum Kandidatenmarkt öffentlich diskutieren, sind viele Prozesse im Recruiting leider weiterhin ausschließlich auf den Bedarf der Unternehmen ausgerichtet. Auch die meisten Personalberater bzw. Headhunter legen ihren Schwerpunkt immer noch auf den Bereich der Eignungsdiagnostik, wie damals, als es primär galt, aus einer Vielzahl an Bewerber:innen auszuwählen. Oder TOP Management Recruiting wird als "old boys network" verstanden, obwohl sich die Anforderungen gänzlich geändert haben.

Natürlich ist die Entscheidung für den richtigen Kandidaten oder die richtige Kandidatin auch in Zukunft ein entscheidender Faktor. Es zeigt sich jedoch, dass vielen Unternehmen der große Fundus an Kandidat:innen fehlt, um überhaupt pingelig auswählen zu können. Recruiting wird somit immer mehr zum Vertriebsprozess und sollte daher von allen Beteiligten auch entsprechend gedacht werden.

Customer Centricity ist heute

Zum einen fällt uns auf, dass unternehmensinterne Prozesse weiterhin viel zu behäbig sind und es an der notwendigen Agilität mangelt, um sich intern abzustimmen oder passende Kandidat:innen für sich einzunehmen. Dabei ist die Prozessgeschwindigkeit einer der Erfolgsfaktoren, denn eine schnelle Entscheidungsfindung sorgt dafür, dass die Gedanken der Kandidat:innen nicht abschweifen und auch die Anzahl an parallelen Angeboten möglichst reduziert wird. Auffallend ist auch, dass sich viele Jobangebote nicht an den Bedarfen der Zielgruppe ausrichten, obwohl die Customer Centricity in allen anderen Geschäftsfeldern schon lange einen hohen Stellenwert besitzt.

Die Vakanz attraktiv machen – dem Zeitgeist entsprechend

Dazu gehört auch, das eigene Umfeld aufzuwerten und einen aktiven Beitrag dazu zu leisten, dass die vakante Stelle auch tatsächlich als attraktiv wahrgenommen wird. Viel zu häufig erleben wir Achselzucken und wenig Kreativität, wenn es um die Aufgabenstellung und die Ausgestaltung der Vakanz geht. Natürlich ist nicht jeder Arbeitsinhalt vergnügungssteuerpflichtig, aber die Eckpunkte müssen einfach dem Zeitgeist entsprechen. Ich finde, Arbeiten darf und muss Spaß machen und ist nicht nur ein notwendiges Übel. Wenn wir diesen Fakt anerkannt haben, wird schnell klar, was es zu tun gilt.

Mit Mut und Vertrauensvorschuss auswählen

Denn insbesondere in Zeiten wie diesen entwickeln sich nicht nur die Märkte durch die starke konjunkturelle Erholung zügig, sondern auch die Anforderungen an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Es ist daher zu kurz gesprungen, Kandidat:innen nach einem fixen und rein fachlichen Anforderungsprofil auszuwählen. Viel entscheidender ist es, Menschen mit Mut und Vertrauensvorschuss auszuwählen. Ich meine damit keine Blauäugigkeit, sondern die Bereitschaft zu unternehmerischem Risiko, die mir in unserer pseudo-analytischen Wirtschaftswelt immer stärker fehlt. Immer häufiger nehmen wir wahr, dass in den deutschen Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der Risikovermeidung die perfekte Schablone gesucht wird, obwohl auch der Wettbewerb die Probleme der Zukunft noch nicht gelöst und dafür notwendige Fähigkeiten nicht ausgeprägt hat.

Es kommt darauf an, wen man bezahlt, und nicht wie

Unsere Erfahrung zeigt, dass sich insbesondere Kandidat:innen in Managementfunktionen erfolgreich beweisen, die mit einer Kombination aus Intelligenz, Neugier und Veränderungsbereitschaft dem sich ständig verändernden Umfeld begegnen. Suchen Sie also Menschen, die sich für die Aufgabenstellung begeistern und mit Ehrgeiz und Intellekt die Zukunft gestalten wollen und können. Als einer der führenden Headhunter für große deutsche Familienunternehmen sehen wir zudem, dass Anforderungsprofile für Manager:innen immer breiter werden und die Schnittstellen zu angrenzenden Bereichen förmlich explodieren. Die Frage ist also vielmehr, wie gehen die Kandidat:innen mit Komplexität um, wie kommunizieren Sie trotz uneindeutiger Faktenlage und inwiefern sind sie in der Lage, sich an ständig wechselnde Umgebungen anzupassen. Bereits 2001 schrieb Jim Collins in seinem Bestseller "From good to great: Why some Companies make the leap and others don’t", dass es darauf ankommt, wen man bezahlt, und nicht, wie man bezahlt. Das gilt heute genauso wie damals.

Über den Autor: Tim Oldiges ist Geschäftsführer und Gesellschafter der Headgate GmbH, einer der führenden deutschen Personalberatungen für große Familienunternehmen in den Bereichen Automotive, Bau, FMCG & Handel, Industrie und Logistik.

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