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Personal > Weiterbildung

Schnelltest für die digitale Kompetenz

Unternehmen ohne digital erfahrene Belegschaft werden im Wettbewerb verlieren. An dieser Sorge lässt sich Geld verdienen.

Lust auf ein Spielchen am Computer, vom Chef abgesegnet während der Arbeitszeit? Nur zu! Die Szenerie: Sie arbeiten für eine Firma, an der auch Geheimdienste interessiert sind. Der bekannte Unternehmer Edward York will ebenfalls mit Ihrem neuen Arbeitgeber kooperieren. Aber was taugt sein Angebot? Ihre Sekretärin leitet Yorks Mail an Sie weiter. Jetzt sind Sie am Zug und müssen verschiedene Aufgaben lösen. Das Start-up talent:digital testet so die digitale Kompetenz des Spielers. Gründer Roman Rüdiger erklärt die Regeln: "Wir nutzen einen Gaming-Ansatz, weil er lehrreich und unterhaltsam ist, aber auch wichtige Messdaten zur digitalen Kompetenz generiert. Die Unternehmen wollen die Teilnehmer so auch weiterentwickeln." Im Oktober 2020 ging das Düsseldorfer Unternehmen live. Knapp 3000 User nahmen seitdem die Herausforderungen an.

Studien stellen der digitalen Kompetenz deut scher Unternehmen kein gutes Zeugnis aus. Das machen nicht einmal deren Mitarbeiter selbst. So gaben bei einer Umfrage der Beratung Deloitte nur 34 Prozent der Befragten an, ihr Unternehmen sei "digital ready". Dabei betrachteten 92 Prozent von ihnen digitale Skills als zukunftsentscheidend für ihre Firma. Beim Jobportal Stepstone klingt es nicht besser: Zwei Drittel der dort befragten Führungskräfte erwarten, dass sich die Lage vor allem im Bereich IT und Datenanalyse eher noch verschlechtere. Die Digitalisierungs-Experten von McKinsey rechnen mit rund 6,5 Millionen Werktätigen, die in absehbarer Zeit neue Tätigkeiten erlernen müssen.

Die Alarmglocken lassen sich nicht mehr über hören. Weil sich kein Chef, keine Chefin mangelnde Reaktionsgeschwindigkeit vorwerfen lassen will, lässt sich mit der deutschen Kompetenzlücke viel Geld verdienen. Auch hierzulande blüht der Markt der digitalen Weiterbildung. Staatliche Fördergelder kurbeln die agile Nachfrage zusätzlich an. Weil diese neue Transparenz-Offensive für viele Betriebsräte aber eher nach Werksspionage von oben klingt und zu viel Kontrolle der Belegschaft, verkaufen sie Anbieter wie People Analytik als Qualifizierungsoffensive. Ihre Software helfe Menschen, rechtzeitig die eigenen Skill-Gaps zu schließen und neue Karrierechancen zu entdecken. Das Zauberwort auf dem Markt heißt „Digi Comp“. Auf den Digital Competence 2.0. Referenzrahmen der EU als Teststandard berufen sich die meisten Anbieter. Der soll das Wissen von Mitarbei tern und Organisationen einordnen und international vergleichbar machen.

Schlüsselkompetenzen

21 Einzelfelder werden dafür evaluiert. Zum Bei spiel: die Informations- und Datenkompetenz, was vom Finden und Verwalten digitaler Inhalte bis zur Beurteilung der Quellen reicht; Kommunikation und Zusammenarbeit samt kultureller Vielfalt; die Erstellung digitaler Inhalte vom Programmierungswissen bis zu Urheberrechten und Lizenzen. Oder Sicherheit vom Geräteschutz bis zur Umweltauswirkung digitaler Technologien. Auf dem letzten Feld, der hohen Kunst der Problemlösung, müssen sich die Probanden mit digitalen Werkzeugen für die Innovation von Prozessen und Produkten aus kennen. Ein dickes Brett, selbst für Profis.

Aber nicht überall, wo Digital Competence drauf steht, ist auch DigiComp drin. An einem Digital Competence Indikator mit 48 wissenschaftlichen Kriterien. Im Fokus steht die Persönlichkeit in sechs erfolgskritischen Dimensionen. Etwa Kundenzentriertheit, Kritikfähigkeit, Umgang mit Scheitern und Gestaltungsmotivation. Am Ende des Tests erfahre dann jede und jeder, was wirklich in ihm und ihr stecke, heißt es: digitaler Hinterfrager, Brückenbauer oder Nerd. Doch Testen ist nur das halbe Geschäftsmodell dieser Branche. Lukrativer ist es, wenn der Auftraggeber den identifizierten Nachschulungsbedarf zügig beheben will. Egal, ob als On-the-Job-Training oder Selbstlern-Format, Hauptsache beim Testanbieter. Die Evaluierten könnten so mit der "Mindset Indikator Academy direkt in einen individuellen Lernpfad zur Mindset Entwicklung einsteigen", wirbt ein Anbieter. Mitarbeiter der Lufthansa und der Sparkasse Nürnberg haben den Pfad schon erklommen. Betriebe profitieren von ihren Investments vor allem dann, wenn sie die Auswertungen zum digitalen Mindset ihrer Belegschaft bekommen. Die einen, weil sie dann passgenau alle Mitarbeiter weiter qualifizieren wollen; die anderen, weil sie sich von ver meintlich Leistungsschwächeren trennen wollen.

Anonymisiert sind die Einsichten je nach Betriebsvereinbarung selten ein Problem, personalisiert schon. Auch Roman Rüdiger von talent:digital sieht diesen Zwiespalt. Sein Rat lautet: "Wenn Führungskräfte ihre Ergebnisse freiwillig unter Angabe ihres Namens auswerten lassen, ziehen viele Mitarbeiter mit." Für Anna-Maria Karl überwiegt der Nutzen der Testverfahren. Die Direktorin Executive Search and Practice Head HR bei der Beratung Kienbaum sagt: "Gut organisiert sorgen solche Untersuchungen schon im Vorfeld für mehr Transparenz im Unternehmen: Als Erstes muss der Ist-Zustand analysiert und einpassender Zielwert definiert werden. Der wiederum setzt einen Grundkonsens über die Strategie und zukünftige Positionierung des Unternehmens voraus – einschließlich der Analyse, welchen Entwicklungen das Unternehmen in den kommenden Jahren ausgesetzt ist."

Vor einer anderen Verallgemeinerung warnt ihr Kollege Lukas Fastenroth, Doktorand am Kien baum Institut @ISM: "In unseren Studien sehen wir keine Effekte des Alters auf die Digitalkompetenz und speziell das digitale Mindset. Entscheidend sind dafür Neugier und Interesse im Umgang mit digitalen Technologien. Die neuronale Plastizität des Gehirns ist ein Grund für den fehlenden Alterseffekt. Die bleibt bis ins hohe Alter erhalten und erlaubt weiterhin Erfahrungen mit digitalen Technologien aufzubauen." Zudem gehörten Social Skills wie Kundenzentrierung, Vertrauensbereitschaft und Begeisterungsfähigkeit zum nötigen Mindset.

Die richtige Wahl

Testen darf in Deutschland jeder. Das Angebot ist entsprechend unübersichtlich und nicht evaluiert. Anna-Maria Karl warnt deshalb vor Schnellschüssen. "Der digitale Kompetenzbegriff ist so unendlich groß wie die Sicht auf Intelligenz und Kreativität." In allen drei Bereichen seien nur präzise auf das Aufgabenprofil abgestimmte Tests aussagekräftig. "Zu viele Angebote prüfen nur allgemeines digitales Wissen. Gute Anbieter zeichnet aus, dass sie auf der Basis bewährter Erfahrungsdiagnostik für Menschen, Teams und Organisationen individuelle Beurteilungen erstellen können. Sie bieten außerdem ein internes und externes Benchmarking der Mitarbeiter wie der Organisation an."

Aber auch der beste Test bei maximaler Offenheit auf allen Ebenen setzt voraus: Personaler müssen vorher wissen, was sie anschließend wissen wollen. Dafür müssen sie ausreichend qualifiziert sein, um das richtige Verfahren zu finden. Das ist ein hoher Anspruch vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Für einzelne Mitarbeiter, die sich aus eigener Neugier prüfen, gilt das erst recht. Und auch das präziseste Testverfahren war rausgeworfenes Geld, wenn die Führungskräfte darauf nicht ausreichend reagieren. Die Analyse muss einen konkreten Transformationsprozess anstoßen. Sonst endet sie als ein weiterer Daten friedhof im Unternehmen – oder sie war nicht ernst gemeint. Denn auch für Unternehmen gilt, was sich schon die Großmütter der heutigen Chefs einst ins Poesie-Album schrieben. "Jeder belügt gar gern den anderen, doch am liebsten jeder sich."

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