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Personal > War for Talent

So kämpfen Unternehmen um ihre Fachkräfte

Nach der Pandemie sind mehr Fach- und Führungskräfte als je zuvor bereit, ihren Arbeitgeber zu wechseln. Wer gefragt ist und wer nicht.

Corona offenbart nicht nur die Schwächen der Politik, des Gesundheitswesens und der Schulen. Die Pandemie führt auch Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen klar vor Augen, wie groß die Wertschätzung ihres Arbeitgebers für sie ist – und wie zukunftsfähig sein Geschäftsmodell. Jetzt, im sommerlichen Corona-Durchatmen, räumen viele Deutsche auf. Beim einen passt der Job nicht mehr zum Leben, beim anderen das Leben nicht mehr zum Job.

"Wir spüren seit gut einem halben Jahr eine sehr starke Erholung auf beiden Seiten", berichtet Andreas Jäger, Partner bei der Personalberatung Heidrick & Struggles in München. "Unternehmen suchen neue Führungskräfte. Arbeitnehmer empfinden die Zukunft wieder als sicher genug für einen Stellenwechsel", sagt der Finanzexperte. Und bringt es menschlich so auf den Punkt: "Viele sagen sich jetzt: Mission erfüllt im Unternehmen, jetzt will ich raus aus dieser Tretmühle." Was Jäger beobachtet, hat die Bundesagentur für Arbeit gemessen: Das sogenannte Arbeitsmarktbarometer, ein Frühindikator der Bundesagentur für Arbeit, der die Wechselhäufigkeit anzeigt, stand im Mai mit 104,6 Punkten so hoch wie zuletzt im März 2018.

Das Jobportal Indeed analysierte im Mai 2021 anhand seiner Stellenanzeigen, in welchen Branchen es den prozentual größten Zuwachs und stärksten Rückgang gab. Gut für Bewerber, schlecht für Unternehmen: Besonders begehrt sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Bereichen Logistik, Finance, Forschung und Entwicklung sowie Wirtschaftsingenieure und Versicherungsexperten. Traurig für alle Beteiligten: Die Jobangebote in Luft- und Raumfahrt, Hotel/Tourismus/ Gastronomie/Beauty und Medien sind um bis zu 60 Prozent eingebrochen.

Mehr Sinn im Beruf ist gefragt Experten halten rund 25 Prozent der Festangestellten derzeit für grundsätzlich wechselwillig. Sie haben folgende Treiber für diese Entwicklung ausgemacht:

  • Der Wunsch nach einem sicheren Arbeitsplatz, wenn sich der bisherige Arbeitgeber in der Krise als Wackelkandidat herausgestellt hat.
  • Die Suche nach mehr Sinn im Beruf, denn das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit und Teilhabe am Gemeinwohl wächst in allen Altersklassen. Sei es aus Überzeugung oder dank eines guten Riechers für den Markt.
  • Das Bedürfnis nach einem Arbeitgeber, der die Belegschaft aus Überzeugung auch in Krisenzeiten bei der Vereinbarkeit von Job und Familie unterstützt.
  • Und der Anspruch auf eine Führungskraft, die den Titel verdient. Bei einer Stepstone-Umfrage gab ein Fünftel der Wechselwilligen an, dass das schlechte Corona-Krisenmanagement ihrer Chefinnen und Chefs der Grund zum Aufbruch sei.

Der "War for Talents" hat in der Corona-Krise also nur pausiert. Jetzt bringen sich auch im Mittelstand Personaler in Stellung, um Talente anzuwerben. Vor der Krise schon gefragte Fach- und Führungskräfte sind es jetzt noch viel mehr: Gerade die Bereiche neue digitale Techniken, Customer-Journey, Lieferketten und Restrukturierung haben durch Covid-19 einen Nachfrage-Boom erlebt. Doch die klugen Köpfe werden anspruchsvoller. "Jetzt treten gute Kandidaten viel selbstbewusster und wählerischer auf, zumal sie für andere Unternehmen und Personalberater heute viel visibler als noch vor zehn Jahren sind", beobachtet Jäger von Heidrick & Struggles.

Galten vor der Pandemie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, Pendellösungen und Unternehmenskultur noch als "nice to have" aus Unternehmenssicht, hat sich das grundlegend geändert. Die gute Nachricht für Personaler: Zugleich sind aber viele Wanderfreunde nun auch bereit, für bessere Arbeitsbedingungen auf mehr Geld zu verzichten, und bereit zum Branchenwechsel. Das belegen Studien der Arbeitsagentur. Umso schwerer ist zu verstehen, wie vorgestrig manche KMUs noch immer rekrutieren. Christian Pape, Chef der gleichnamigen Münchener Personalberatung, sagt: "Gerade viele KMUs müssen ihren Mehrwert als Arbeitgeber stärker in den Vordergrund stellen. Stattdessen bieten sie Plattitüden und Worthülsen in veralteten Stellenanzeigen."

In anderen Ländern würben Unternehmen weit offensiver, wiesen sofort Boni und Gehalt aus. Schlimmer noch: "Manche KMUs selbst in Branchen, die händeringend Mitarbeiter suchen, sind so verkrustet, dass sie allen Ernstes weiterhin glauben, sie könnten Bewerber noch grillen", zürnt der Experte. Einen feinen Unterschied bei den Wechselwilligen beobachtet Robindro Ullah, Geschäftsführer des Trendence Instituts, eines Data-Lab im HR-Bereich. "Gerade Unternehmen, die Nichtakademiker suchen, müssen sich jetzt mehr anstrengen und besser für sich werben als vor der Krise." Denn seine Analysen zeigen: Akademiker sind weit offener für einen Jobwechsel, während Nichtakademiker noch in Lauerstellung verharren.

Gute Chancen für Ältere

Nicht nur junges Blut ist jetzt offen für neue Jobs, sondern auch berufserfahrene Fach- und Führungskräfte, die die vermeintlich magische Grenze des 50. Geburtstags schon gerissen haben. "Auch deren Stunde schlägt jetzt", sagt Christina Kock, Inhaberin von Dom Consulting und Fachfrau für die Beratung bei der Stellensuche. Sie ist optimistisch auch für engagierte Altgediente. Gerade nach den schmerzhaften Erkenntnisgewinnen aus der Pandemie suchten viele Unternehmen jetzt Kandidaten mit Expertise in schwierigen Zeiten. "Ü50er haben in ihrem Berufsleben schon diverse interne und externe Stürme in womöglich mehreren Unternehmen oder gar Branchen erlebt. Das ist ein Asset", sagt die Kölnerin. Erfahrungen in strukturellen Veränderungen, in Post-Merger-Integration und Projektmanagement sind gesucht. Auch Data-Scientists, Customer-Journey-Fachleute und Social-Responsibilty-Manager.

Alles toll über 50? "Nein", sagt Kock, und schüttelt beim Lesen vieler Bewerber-Lebensläufe oft den Kopf. "Oft ist über Fünfzigjährigen gar nicht bewusst, mit wie vielen Qualifikationen sie für sich werben können." Sie rät allen Wechselwilligen unabhängig vom Alter: "Betrachten Sie Ihren Lebenslauf von außen und aus Sicht der Firma, die Sie interessiert. Spüren Sie mit einem Vertrauten alle wichtigen Erfahrungen auf. Und wenn Ihnen noch etwas fehlt: Dank ausgeklügeltem E-Learning war es nie leichter, Wissenslücken zu schließen." Man muss eben nur einsteigen in den Ausstieg.

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