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So locken wir Talente aus dem Ausland an

Deutschland braucht dringend qualifizierte Zuwanderung – doch bürokratische Hürden, lange Visaverfahren und ein negatives Image bremsen Talente aus. Warum jetzt eine echte Chance besteht, das zu ändern – und was passieren muss.

Wissenschaftliche Talente, die einst außerhalb jeder Reichweite schienen, orientieren sich plötzlich neu – und Europa wird zur ernstzunehmenden Option. (Foto: Ki-generiert)

Von Thorsten Giersch

Um den aktuellen Beschäftigungsstand halten zu können, braucht Deutschland mindestens 300.000 neue Kräfte. Das Institut der deutschen Wirtschaft IW schätzt, dass gut 1,5 Millionen Erwerbspersonen zuwandern müssten, damit die Bundesrepublik bis Ende des Jahrzehnts wieder zum Wachstumspotenzial der vergangenen 20 Jahre zurückkehrt. Bisher gelingt es kaum, an genug gute Leute heranzukommen.

Doch Europa und vor allem Deutschland bekommen plötzlich ungeahnte Chancen. Seit im Weißen Haus Donald Trump regiert, sind viele Amerikaner und die, die dort arbeiten wollen, ins Grübeln geraten. Die Eingriffe des neuen US-Präsidenten in den Wissenschaftsbetrieb und international handelnde Behörden sowie die Migrantenpolitik erhöhen die Unruhe. Plötzlich können europäische Forschungseinrichtungen Spitzenleute gewinnen, bei denen man sich vor wenigen Monaten gar nicht traute anzufragen.

Das Problem: Deutschland ist kaum attraktiv für Einwanderer. Laut des sogenannten Talent-Attractiveness-Index der OECD stehen wir nur dem 15. Platz. An der vermeintlich komplizierten Sprachsituation allein kann es nicht liegen, sonst lägen Portugal, Finnland und weitere Nationen, die Englisch nicht als Hauptsprache haben, nicht vor uns. Es sind eher die hohen Steuern und die Bürokratie, die den Wettbewerbsnachteil ausmachen.

Über den Missstand in den Auslandsbehörden ist viel gesprochen worden – allein auf kommunaler Ebene tut sich wenig. Fachleute sehen im Zuwanderungsgesetz einen ersten Schritt, aber es reicht bei weitem noch nicht aus.

Die Visaprozesse sind zu kompliziert und langwierig, Anerkennungsverfahren kaum nachvollziehbar. Die digitale Vernetzung zwischen dem Auswärtigen Amt und den Ausländerbehörden ist gelinde gesagt mäßig. Arbeitgeber und Bewerber können bei der Planung immer noch nicht abschätzen, ob die Verfahren mehrere Wochen oder gar viele Monate dauern. Immerhin laufen die Verfahren nun zentral über das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA). Damit entfällt der Flaschenhals der deutschen Auslandsvertretungen, die hoffnungslos überfordert waren.

Ob die von der Union im Wahlkampf vorgeschlagene Work&Stay-Agentur der große Wurf wird, wird sich zeigen. Die neue Behörde sollte die Verfahren digital abwickeln und erleichtern. Aber es könnte zum ohnehin breiten Geflecht an Akteuren noch ein weiterer hinzukommen. Und woher soll die ihre Leute eigentlich holen? Es fehlt aktuell schon an genügend Sachbearbeitern. Der Bund sollte sich auf die reinen Formalitäten zur Zuwanderung konzentrieren. Sinnvoll wäre auch, wenn die ohnehin beteiligte Bundesagentur für Arbeit an die Verfahren beim BfAA angedockt würde. Das könnte die Abläufe ebenfalls beschleunigen.

Lange Verfahren sind nicht der einzige Grund, warum ausländische Spezialisten Deutschland meiden, und andere Ziele aussuchen. So beobachtet man im Ausland mit Skepsis das Erstarken der rechtsextremen AfD. Herumgesprochen hat sich auch, dass Wohnraum in Deutschland mancherorts knapp ist. Dazu kommt die die hohe Abgabenlast in Deutschland.

Dass in Deutschland Migranten im Allgemeinen selten arbeiten, ist zwar ein Märchen: Laut OECD lag die Erwerbstätigenquote unter Migranten zuletzt bei 70 Prozent und damit höher als in den meisten EU-Ländern. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass der deutsche Arbeitsmarkt hinreichend durchlässig ist und faire Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Nur sieben Prozent der Kinder von Einwanderern mit schlechter Schulbildung schaffen heute in Deutschland einen Hochschulabschluss. Und nicht einmal die Hälfte dieser Kinder bringt es zu einem Schulabschluss.

Neben all dem, was für Zuwanderung getan werden sollte, gibt es einen zweiten Faktor: die Abwanderung. Derzeit verlassen Jahr für Jahr 83.000 Deutsche mehr aus als zurückkehrten. Das ist noch kein Brain Drain, aber angesichts der Demografie auch nichts, was unsere Wirtschaft auf Dauer wegsteckt.

Lesen Sie auch: Brain Drian: Talente auf der Flucht

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