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Personal > Corona-Kummer

„Social distancing kann zu Aggressionen, Ängsten und Depressionen führen“

Durch Corona bekommen es selbst Menschen mit der Angst zu tun, die ansonsten psychisch stabil sind. Besonders gefährdet sind: Selbständige. Welche Hilfsangebote es gibt und wie man einen Therapeuten findet, erklärt der Psychologe Ulrich Stangier im Interview.

Herr Stangier, Sie haben an Ihrem Institut ein Corona-Krisentelefon geschaltet. Mit was für Anliegen haben sich die Anrufer bei Ihnen gemeldet?
Viele Anrufer haben angerufen, weil sie große Angst vor der Pandemie haben und nicht schlafen können. Andere fühlten sich einsam und niedergeschlagen, sehen die Zukunft sehr pessimistisch. Bei manchen geht es um die beruflichen Perspektiven, bei anderen ist es die Angst vor einer Corona-Erkrankung.

Was können Sie tun, wenn Ihnen jemand am Telefon von schweren psychischen Belastungen berichtet?
Wir fragen zunächst einmal, was der Anlass für den Anruf ist und helfen dem Betroffenen, Lösungen für die emotionalen Probleme zu finden. Wer bei unserer Corona-Hotline anruft, bekommt eine psychologische Beratung in größerem Umfang. Deshalb kann ein Gespräch bis zu einer Stunde dauern.

Oft verbergen sich hinter den Belastungen eine Depression. Aber wo verlaufen eigentlich die Grenzen sind Traurigkeit und Depression?
Der Übergang zwischen einer Belastung und einer behandlungsbedürftigen Depression ist fließend, dennoch gibt es ein deutliches Warnsignal: die emotionale Lähmung. Menschen ohne depressive Störung gehen negative Erfahrungen einige Zeit im Kopf herum, doch irgendwann können sie sich wieder auf andere Dinge konzentrieren. Depressive können das nicht. Betroffenen geht es tage- oder sogar wochenlang schlecht, sie können sich in dieser Zeit zu nichts aufraffen, fühlen sich ohne Energie und sind nicht belastungsfähig. Sie grübeln ständig, können nachts deshalb auch nicht schlafen, und reagieren tagsüber oft gereizt.

Laut Studien waren psychische Erkrankungen schon vor Corona die Volkskrankheit Nr. 1 in Deutschland. Welche Faktoren kamen durch die Corona-Pandemie hinzu, sodass nun auch Menschen in Mitleidenschaft gezogen, die unter normalen Umständen psychisch stabil sind?
Soziale Kontakte sind ein menschliches Grundbedürfnis. Fallen diese weg und lebt man plötzlich in sozialer Isolation, kann das zu subtilen psychischen Veränderungen führen. Plötzlich fühlt man sich unsicher und entfremdet sich von sich selbst. Maskenpflicht und Versammlungsverbote stellen eine besondere Situation dar, die die meisten so noch nie erlebt haben. „Social distancing“ kann auf Dauer zu starken emotionalen Reaktionen wie zum Beispiel Aggression, Angst oder auch Depression führen.

Welche Personengruppen sind besonders gefährdet?
Das können wir noch nicht genau sagen. Aktuell untersuchen wir diese Frage aber sehr genau, derzeit läuft eine Online-Umfrage zu diesem Thema. Was wir jedoch aus früheren Studien wissen: Menschen bilden Denkmuster heraus, die zu einer positiven oder eine ungünstigen Bewältigung von Belastungen führen können.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Manche Menschen lasten die Folgen der Pandemie sich selbst oder anderen Menschen an oder sie sehen die Pandemie als eine Naturkatastrophe an.

Wie viele Menschen weisen solche Denkmuster auf?
Genau kann man das nicht sagen, aber Schätzung gehen von einem Anteil zwischen 10 und 30 Prozent in der Gesamtbevölkerung aus. Dabei sind Frauen für Ängste und Depressionen anfälliger als Männer. Zudem sind oft Personen betroffen, die in ihrem Beruf einem hohem Stresslevel ausgesetzt sind.

Gehören dazu demnach auch Selbständige, also, Unternehmer?
Die Belastung durch die Corona-Bedingungen sind auch bei diesen Personen besonders stark. Durch Corona stehen sie vor unsicheren Zukunftsaussichten, haben aber gleichzeitig ein enormes Maß an Verantwortung für die Mitarbeiter. Besonders wenn diese Menschen keine soziale Unterstützung durch nahestehende Personen erfahren, stehen sie sehr unter Druck.

Lässt sich dieser Menschentyp überhaupt freiwillig helfen?
Gerade erfolgreiche Menschen tun sich eher schwer damit, Belastungen einzugestehen. Hinzu kommt: In Krisenzeiten überdecken die Herausforderungen zunächst den psychischen Zustand. Aber irgendwann schwindet die Energien, mit der man sich zunächst dagegen stemmt. Deshalb befürchte ich, dass die große Welle von Selbständigen mit Problemen noch kommt.

Sie leiden unter der Corona-Krise?

Diese Hotlines bieten Hilfe und Beratung bei Angst, Panik und Zukunftssorgen.

Corona-Krisentelefon des Instituts für Psychologie der Uni Frankfurt
Telefon: 069/798 25102
Sprechzeiten: Mo, Di, Do, Fr: 10 - 13 Uhr, Mi von 11 - 13 Uhr
Region: Frankfurt

Corona-Hotline des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen
:
Telefon: 0800/777 22 44
Sprechzeiten: täglich zw. 8 und 20 Uhr erreichbar
Region Bundesweit

Wichtige Telefonnummern und Internetseiten von Ministerien und anderen Hilfseinrichtungen

Wie kann man Betroffene davon überzeugen, sich helfen zu lassen?
Grundsätzlich gibt eine bestimmte Schwelle, die bei jedem anders ist, ab der es sich mehr lohnt das Problem anzusprechen, als es abzustreiten. Eine „Corona-Angst“ kann zu hochintensiven Ängsten bis hin zu Panik und Todesangst führen. Wenn Betroffene zu lange warten, sind die Schäden größer als der Nutzen des Sich-Zusammen-Reißens. Sich einzugestehen, dass man sich auch persönlich in einer Krise befindet, kann auch die Persönlichkeitsentwicklung stärken.

An wen können sich Personen mit einer Angststörung wenden?
Erster Ansprechpartner ist ein psychologischer Psychotherapeut. Mit ihm kann man die Lage besprechen.

Viele Psychotherapeuten haben allerdings keine Plätze zur Behandlung frei. Was dann?
Man muss nicht gleich eine Psychotherapie beginnen, kann man auch erst einmal drei, vier Termine vereinbaren und dann zusammen überlegen, wie es danach weitergeht. Eine andere Möglichkeit sind Hochschulambulanzen. Die sind in der Regel flexibler bei der Aufnahme von Betroffenen und können auch Kontakte zu Kollegen mit freien Kapazitäten vermitteln. Den besten Überblick über alle psychologischen Krisenpräventionsmaßnahmen haben in der Regel die Gesundheitsämter.

Wann ist es notwendig sich stationär in einer Klinik behandeln zu lassen?
Die ambulante Therapie ist der stationären vorzuziehen, denn die Stärkung von Fähigkeiten, mit Belastungen umzugehen (Resilienz), ist nur im Kontext der eigenen Lebensrealität möglich.

Viele Selbständige scheuen sich, ihre Probleme anderen gegenüber einzugestehen. Wie sollte man bei der Kommunikation vorgehen?
Ich würde erst einmal vertraute Personen, wie Familienmitglieder, einweihen. Wenn man dann die positive Erfahrung macht, dass diese Menschen nicht mit Ablehnung, sondern mit Verständnis und Zuspruch reagieren, tut das schon mal gut. Depressionen und Ängste sind heute keine Tabus mehr, die Angst stigmatisiert zu werden wird langläufig überschätzt. Ein Firmeninhaber kann seine Aufgaben eventuell auf andere Geschäftsführer abgeben. So gewinnt er wertvolle Zeit, sich mehr um seine seelische Gesundheit zu kümmern.

Ulrich Stangier ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie, er leitet das Institut für Psychologie an der Universität Frankfurt

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