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Management > Kanzlerkandidatwechsel im Gespräch

SPD-Krise vor Wahl: Warum die Chancen für Boris Pistorius überbewertet werden

SPD steht vor historischem Absturz: Kann Boris Pistorius als Kanzlerkandidat die drohende Wahlkatastrophe verhindern? Fünf Gründe sprechen dagegen.

SPD und die K-Frage (Foto: picture alliance, Fotomontage)

Der SPD droht bei der Bundestagswahl im Februar nicht nur eine Niederlage - es sieht nach einem historischen Desaster aus. Die Umfragen sagen der Partei drei Monate vor der Wahl nur noch 14 bis 16 Prozent voraus. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl (25,7 Prozent) hätte die SPD damit 40 Prozent ihrer Wählerschaft verloren. Blickt man auf die 25 Jahre andauernde Phase, in der die SPD seit 1998 fast durchgängig mitregiert, dann wird der Substanzverlust erst in seiner gewaltigen Dimension klar. Gerhard Schröder gewann 1998 die Bundestagswahl mit 40,9 Prozent - der SPD haben seither also fast zwei Drittel ihrer Wählerschaft den Rücken gekehrt.

Ein Wahlergebnis in der Nähe der jetzigen Umfragewerte käme für die SPD einer Nahtod-Erfahrung gleich. Die Sozialdemokraten wären keine Volkspartei mehr, in wichtigen Kraftzentren der Republik, von Bayern bis Thüringen, von Baden-Württemberg bis Sachsen ist sie bereits seit einiger Zeit zur einstelligen Randgruppe geschrumpft. Bundesweit kommt sie derzeit nur noch auf eine Gefolgschaftsgröße wie die Grünen. Vor allem aber droht die SPD - wenn nicht noch ein politisches Weihnachtswunder passiert - hinter der AfD zu landen. Diese Demütigung wäre für die stolze Traditionspartei besonders schmerzlich.

Beim Blick in den Abgrund der miserablen Stimmung ist es kein Wunder, dass es in der Partei gewaltig rumort. Immer mehr Mitglieder und Mandatsträger fordern als letzte Rettungsaktion einen Wechsel des Kanzlerkandidaten von Olaf Scholz zu Boris Pistorius. Die Stimmungslage ist für Demoskopen "krass indikativ": Zum einen ist Olaf Scholz der unbeliebteste Kanzler seit 1949. Zum anderen ist Boris Pistorius der populärste Politiker Deutschlands. Selten hat eine politische Konstellation so klar für eine Kanzlerkandidatur-Entscheidung gesprochen. Pistorius wirke bereits wie ein "Kanzler in Reserve", er könne zudem die breite Mitte ansprechen und die SPD vor dem Desaster noch retten, hoffen seine Anhänger.

"Bomben-Boris" und "Panzer-Pistorius" wären ein vorhersehbarer BSW-Wahlkampfschlager

Doch der Schein mag trügen. Die Pistorius-Genossen täuschen sich womöglich, dass der Last-Minute-Kandidaten-Wechsel der SPD automatisch zu einem Wahlsieg verhelfen würde. Der US-Wahlkampf hat gezeigt, dass ein übereilter Kandidatenwechsel kurz vor der Wahl große Risiken birgt. Der viel zitierte Kamala-Harris-Effekt war in Wahrheit ein donnernder Schuss in den Ofen.

Auch in Deutschland sprechen fünf Dinge gegen einen Erfolg:

Erstens bedeutet ein hektischer Kandidatenwechsel das offene Eingeständnis, dass die bisherige Führung gescheitert ist. Die SPD würde ihren eigenen Kanzler stürzen, demütigen und damit die letzte Aura von Stärke, Verlässlichkeit und Erfolg ruinieren. Im US-Wahlkampf konnte man gut beobachten, dass ein Einwechselkandidat sofort wie ein Insolvenzverwalter der eigenen Politik wirkt. Pistorius hätte von der ersten Wahlkampf-Sekunde an ein Rechtfertigungsproblem mit der ungeliebten Ampel. Bislang wirkt er so, als habe er mit der Ampel nur am Rande zu tun. Das wäre bei einer Kandidatur schlagartig anders.

Zweitens implodiert im Moment der Nominierung die leuchtende Projektionsfläche, die ein Galeriepolitiker bietet. Kamala Harris war wie Boris Pistorius auch deshalb in Umfragen beliebt, weil sie eben nicht in der ersten Reihe stand. Man kann auf Galeriepolitiker allerlei Schönes und Hoffnungsvolles projizieren. Harris war die lachende Nicht-Weiße-Frau einer neuen Generation, Pistorius der bürgernahe Law-and-Order-Klartexter. Beide waren beliebt, gerade weil sie die Alternative zum Machtzentrum einer unbeliebten Regierung darstellten, auf die man alle möglichen Stärken und Sehnsüchte projizieren konnte. Im Moment aber, da sie selbst ins Zentrum rücken, werden sie sofort anders und kritischer wahrgenommen.

Drittens haben Harris wie Pistorius auch Schwächen, die erst, wenn es ernst wird, durchleuchtet und gesehen werden. Bei Harris war es eine fehlende inhaltliche Substanz, eine zu seichte Programmatik für die wahlentscheidende Wirtschaftslage. Bei Pistorius könnte das ähnlich sein. Er hat keine Wirtschaftskompetenz - genau dieses Thema aber dürfte die Wahl diesmal entscheiden. Pistorius ist biografisch stark auf Sicherheitsthemen fixiert. Das wiederum könnte bei der Mobilisierung des eigenen Lagers zum Problem werden: Im linken und friedensbewegten Milieu gilt er als Militär-Falke, der massiv aufrüsten und sogar die Wehrpflicht wieder einführen will, also als nicht sonderlich beliebt.

Das Dilemma der SPD bei diesem Thema liegt darin, dass sie einerseits die militärische Zeitenwende propagiert und die Ukraine-Unterstützung mit markigen Worten verteidigt; andererseits aber lieber eine offensive Friedensstifter-Politik in Angriff nehmen würde. Mit Pistorius wäre die Friedensstifternummer erledigt, was insbesondere Sahra Wagenknecht im Wahlkampf lautstark intonieren würde. "Bomben-Boris" und "Panzer-Pistorius" wären ein vorhersehbarer BSW-Wahlkampfschlager.

Viertens ist Pistorius kein sonderlich guter Wahlkämpfer. Als er beim innerparteilichen Wettbewerb um den Parteivorsitz öffentlich wahlkämpfen musste, fiel er geradezu dramatisch durch. Nur 14,61 Prozent der SPD-Mitglieder wollten ihn seinerzeit als Vorsitzenden. Er landete weit abgeschlagen auf Platz 5, selbst Karl Lauterbach oder Michael Roth waren damals erfolgreicher. Wieso sollten die Deutschen nun einen zum Kanzler wählen, den die eigenen Leute nicht einmal zu 15 Prozent als Chef gut fanden?

Fünftens ist Pistorius bislang auch als Minister überschaubar erfolgreich. Mit markigen Worten verkündet er zwar eine starke Bundeswehr - aber das von ihm wirklich Erreichte ist noch dürftig. Die Personal- und Beschaffungsprobleme der Bundeswehr, ihre chronische Unterfinanzierung, die lächerliche Mini-Ausstattung mit Drohnen hat Pistorius nicht wirklich bessern können. Die Truppe schrumpft unter seiner Ägide sogar, anstatt zu wachsen. Ende September 2024 dienten nur noch 170.942 Berufs- und Zeitsoldaten - das sind gut 4000 weniger als zu Beginn der Ampelregierung. All das würde im Wahlkampf plötzlich thematisiert - und das Bild des strahlenden Verteidigungsministers würde sich eintrüben, seine Tat und Durchsetzungskraft hinterfragt.

Fazit / Ausblick

Pistorius ist zwar ein Politiker mit freundlicher Verbindlichkeit und menschlicher Nahbarkeit, er hat eine geländegängige Sprache, er wirkt integer und seriös. In diesem Wahlkampf aber würden diese Stärken kaum zur Geltung kommen.

Die strategischen Probleme der SPD, die zu lange schon zu diffus mitregiert, wird er nicht lösen können. Zudem dürfte es in diesem Winterwahlkampf vor allem um die Frage gehen, wer Deutschlands Wohlstand und Wirtschaft zukunftssicher machen und die Migrationskrise endlich lösen kann.

Bei beiden Themen ist das Zutrauen der Bevölkerung in die SPD nicht mehr sehr ausgeprägt. Pistorius würde dies kaum ändern können - sondern wahrscheinlich wie Kamala Harris einfach im Wechselstimmungs-Strudel untergehen.

Sollte er allerdings Olaf Scholz verlieren lassen, dann hat er Chancen, in einer kommenden Bundesregierung beliebter Verteidigungsminister zu bleiben. Darum wird auch er selbst möglicherweise zögern, jetzt ins Feuer zu springen.

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