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Metall-Tarifabschluss: Erfolgreicher Kompromiss bei Löhnen und Arbeitszeiten

Metall-Tarifparteien einigen sich nach 18 Stunden auf Lohnerhöhungen und flexible Arbeitszeiten – ein Kompromiss mit Signalwirkung für andere Branchen.

Daniel Friedrich (M), Verhandlungsführer IG Metall Küste, verkündet neben Horst Ott (l), Verhandlungsführer IG Metall Bayern, und Lena Ströbele (r), Verhandlungsführerin Nordmetall, auf einer Pressekonferenz die Einigung in den Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie. Arbeitgeber und Gewerkschaft haben einen Tarifabschluss für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie erzielt. (Foto: picture alliance/dpa | Georg Wendt)

Abgekämpft aber sichtlich sehr erleichtert präsentieren sich die Vertreter von Arbeitgebern und IG Metall im Hamburger Hotel Elysée den Journalisten, die zum Teil die ganze Nacht gewartet haben. Hinter allen liegt ein 18-stündiger Verhandlungsmarathon. „Wir sind hineingegangen, ohne zu wissen, wie wir wieder herauskommen“, gesteht Horst Ott, Chef der Gewerkschaft in Bayern. Er hat zusammen mit seinem Kollegen Daniel Friedrich vom Bezirk Küste an dem Kompromiss für die 3,9 Millionen Metaller gefeilt. Denn erstmals saßen sich mit Nordmetall und dem Verband der Bayrischen Metallindustrie (VBM) und den entsprechenden Gewerkschaften Vertreter aus zwei Regionen gegenüber. Ein Novum, das aber auch belegt, wie komplex diese Tarifrunde war. „Ich war zu so einer Zweierlösung skeptisch. Doch das Experiment ist geglückt“, gesteht Stefan Wolf, Chef von Gesamtmetall, der zusammen mit IG Metall-Chefin Christine Benner ebenfalls mitverhandelt hat.

Der Abschluss sieht eine Lohnerhöhung von 5,1 Prozent vor. Kommenden April steigen die Entgelte um zwei Prozent, dann ein Jahr später um weitere 3,1 Prozent. Der Vertrag läuft bis Ende Oktober 2026. Dann endet automatisch auch die Friedenspflicht. Die Entgelte für die Auszubildenden steigen ab Januar um 140 Euro. Bis Februar sollen alle 3,9 Millionen Beschäftigte eine Einmalzahlung von 600 Euro erhalten. Die würden vor allem die unteren Lohngruppen deutlich sparen, so Friedrich. Bayern und Nordlichter hatten bereits in der dritten Runde Ende Oktober gemeinsam die Weichen für den Kompromiss gestellt. In Baden-Württemberg, wo sonst oft Pilotabschlüsse erzielt werden, hatte man sich hingegen völlig verhakt.

Schwierige Ausgangslage

Allerdings lagen die Erwartungen beider Seiten vor der entscheidenden Runde in Hamburg immer noch weit auseinander. Denn die Lage in der Branche ist so schlecht wie schon lange nicht mehr. Der Auftragseingang ist so zusammengeschrumpft wie zuletzt während der Finanzkrise 2009. Die Auslastung der Betriebe liegt mit 77 Prozent zehn Punkte unter dem Normalwert. Vor allem in Baden-Württemberg steigt die Zahl der Kurzarbeiter mehr und mehr. Betroffen sind Betriebe im Maschinenbau und vor allem in der Autoindustrie.

Dort planen selbst große Konzerne wie ZF oder Bosch mit dem Abbau von tausenden von Arbeitsplätzen. Während die IG Metall unverdrossen an ihrer Forderung nach einem kräftigen Zuschlag beharrte, war die Vorgabe an die Verhandler der Arbeitgeberseite klar: Möglichst keine zusätzlichen Kosten.

„In der Nacht standen wir vor der Wahl den Dissens festzustellen oder uns zu einer Lösung zu quälen“, räumt Friedrich ein. Lena Ströbele, Verhandlungsführerin von Nordmetall, hebt den respektvollen Umgang hervor mit dem man sich trotz aller Schwierigkeiten begegnet sei. „Wir wollten ein Zeichen setzen, dass ein Kompromiss in diesen Zeiten möglich ist“, ergänzt ihre Kollegin Angelique Renkhoff-Mücke. Der jetzt gefundene Kompromiss schafft das Kunststück, beide Seiten zu bedienen. Die Beschäftigten bekommen einerseits langfristig mehr Geld. Gleichzeitig musste aber die IG Metall einer sehr langen Laufzeit und einer Differenzierungsregelung zustimmen. Die steht im Gegensatz, zum gewerkschaftlichen Dogma, des einheitlichen Tarifvertrags.

 

Wichtige Differenzierung

Den Arbeitgebern war wichtig, dass angeschlagene Betriebe nicht noch mit mehr Kosten belastet werden. Das wird erreicht, indem in diesem Jahr keine Lohnsteigerung erfolgt. Einmalzahlung und Lohnanpassung im April gelten als verkraftbar zumal der noch in diesem Jahr gezahlte Inflationsausgleich wegfällt. Die im Sommer fällige tarifliche Zusatzgelt (T-Zug) wird schrittweise von 18,5 auf 26,5 Prozent erhöht. Doch Unternehmen mit einer Rendite unter 2,3 Prozent können dies streichen. In Baden-Württemberg ist das beispielsweise bei jedem zweiten der Fall. „Diese Differenzierung ist uns wichtig“, betont Ströbele. Die Arbeitgeber wollten ursprünglich auch das Weihnachts- und Urlaubsgeld vom wirtschaftlichen Erfolg abhängig machen.

Im Detail haben die Tarifparteien auch noch bei der Umwandlung von Lohn in Freizeit nachgebessert. So können künftig Eltern diese Option ziehen, bis der Nachwuchs zwölf Jahre alt ist. Bisher war die Grenze acht Jahre. Mehr Möglichkeiten erhalten auch pflegende Angehörige und Schichtarbeiter. Dabei wird den einzelnen Betrieben mehr individueller Gestaltungsfreiraum eingeräumt. Das verbessere die praktische Umsetzung.

Zum Kompromiss gequält

„Wir werden für dieses Ergebnis nicht gefeiert“, prognostiziert Friedrich. Doch Tarifverhandlungen seien nun mal kein Wunschkonzert. Die Rückmeldung der Basis zeige aber, dass man angesichts der aktuellen Lage mit dem erreichten zufrieden sei. Auch die Arbeitgeber raten ihren Mitgliedsverbänden, den Hamburger Pilotabschluss zu übernehmen. Deren Vertreter waren im Hintergrund ohnehin an den Gesprächen beteiligt. So war aus Stuttgart schon früh aus den Reihen von Südwestmetall Zustimmung zu vernehmen. „Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage hätten wir uns natürlich ein deutlich zurückhaltenderes Ergebnis gewünscht. Die lange Laufzeit von 25 Monaten gibt uns in der aktuellen Lage zumindest Planungssicherheit,“ so Oliver Maassen, Personalchef beim Maschinenbauer Trumpf.

„Viele Unternehmen durchlaufen einen schmerzhaften Transformationsprozess, der ihnen auch finanziell einiges abverlangen wird. Mit der Wahl von Donald Trump und dem Bruch der Koalition in Berlin sind zwei weitere Unsicherheitsfaktoren hinzugekommen. Daher ist es gut, dass sich die Tarifpartner nun recht zügig einigen konnten und wenigstens auf diesem Feld Planungssicherheit besteht“, kommentiert die Stuttgarter Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) den Abschluss.

Kritischer reagiert VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann: „Nur 30 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen sind tarifgebunden. Hohe Lohnsteigerungen bei weiteren Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten werden die Tarifbindung nicht attraktiver machen.“

Erleichterung signalisiert der Verband der Industriellen Unternehmen in Baden (wvib): „Es ist gut, dass die IG Metall von ihren früheren Maximalforderungen abgerückt ist. Die Tarifpartner haben ihre Kompromissfähigkeit bewiesen. Der jetzt erzielte Tarifabschluss wird die Unternehmen in der aktuellen konjunkturellen Schwächephase wirtschaftlich stark fordern“, so Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer.
Lehrstück für die Politik

Die Metaller sehen sich zu Recht als Beweis dafür, dass es in Deutschland durchaus möglich ist, Kompromisse zu finden. Der Tarifabschluss ist in nur zwei Monaten gelungen, obwohl die Ausgangslage fast hoffnungslos verworren erschien. Doch statt sich in unendlichen Streiks und gegenseitigen Schuldzuweisungen zu ergehen, haben beide Seiten verbissen um eine Lösung gekämpft. Das ist gelebte Demokratie und ein Beispiel auch für andere Branchen, die regelmäßig das öffentliche Leben lahmlegen. Es ist aber auch ein Signal an den eigenen Nachwuchs. Der erlebt, dass die Arbeitgeber sie als wichtig erachten. Zudem sehen die Auszubildenden, dass sich Engagement in einem demokratischen Prozess doch lohnt. Eine Lehre fürs Leben.

Der starke Wille zum Kompromiss ist zudem eine Lehrstunde für die Politik. Die verharrt seit Jahren im ideologischen Grabenkampf. Die Metaller haben deutlich gemacht, die man die gemeinsame Sache vor die Partikularinteressen stellt. Dabei wurde auch akzeptiert, dass die Gegenseite durchaus auch ihre Nöte hat. Beide Seiten sind darauf eingegangen. Auch wenn’s ziemlich geschmerzt hat. Die Tarifparteien verschaffen der Wirtschaft eine verlässliche Basis. Jetzt ist Berlin am Zug. Die Aufgaben liegen schon seit Jahren auf dem Tisch. Weniger Bürokratie, günstige Energiepreise, solide Infrastruktur und endlich ein funktionierendes Einwanderungsgesetz, das den Fachkräftemangel lindert. Dafür sollten die Politiker es unterlassen, sich immer wieder in die Tarifautonomie einzumischen. Eingriffe, wie die vom Wahlkampf getriebene Anhebung des Mindestlohns, konterkariert die vom Grundgesetz garantierte Unabhängigkeit der Tarifparteien. Und die haben mit dem Metallabschluss gezeigt, dass sie soziale Verantwortung und wirtschaftliche Weitsicht sehr gut alleine unter einen Hut bringen können.

 

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