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Personal > Metall-Tarifverhandlungen

Tarifkrise spitzt sich zu: IG Metall fordert fette Lohnerhöhung - Arbeitgeber mauern

Lohn-Showdown: IG Metall will satte Erhöhung, Arbeitgeber bremsen. Drohen Warnstreiks? Der Tarifkuchen wird neu gebacken.

Streik der IG Metall
Okrober 2024: Arbeiter demonstrieren am zweiten Verhandlungstag in der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie mit Transparenten für eine Forderung von 7 Prozent mehr Lohn. (Foto: picture alliance, Bernd Weißbrod)

Mehr als 6000 Metaller haben vor Beginn der zweiten Tarifverhandlungen in der Ludwigsburger Innenstadt für höhere Löhne demonstriert. Lautstark unterstrichen sie die Forderung der IG Metall: sieben Prozent für die kommenden zwölf Monate. Drinnen im Ludwigsburger Forum haben die Arbeitgeber bundesweit ein erstes Angebot vorgelegt: 3,6 Prozent in zwei Stufen. Über eine Laufzeit von 27 Monaten soll es ab dem 1. Juli 2025 erst 1,7 und dann ein Jahr später 1,9 Prozent mehr Geld geben. Faktisch ist somit eine Nullrunde bis zum Sommer vorgesehen. Über eine „überproportionale Anhebung“ der Bezüge für Auszubildende zeigt sich die Arbeitgeberseite verhandlungsbereit.

 

Metaller backen den Tarifkuchen neu

„Mit diesem Angebot legen wir den Grundstein für eine rasche Lösung“, so Harald Marquardt, Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall. Man wolle dem Land beweisen, Dass die Sozialpartner in der Lage sind, in schwierigen Zeiten schnell einen Abschluss zu erzielen.

„Das Angebot ist zu spät wirksam, insgesamt zu niedrig und die Laufzeit zu lang“, weist Barbara Resch, Chefin der IG Metall Baden-Württemberg, den Vorstoß der Arbeitgeber zurück. Dies sei keine Grundlage, um schnell zu einem Abschluss zu kommen. „Wir müssen den Kuchen größer machen“, so Resch. Damit ist klar: Die Positionen sind noch weit auseinander.

Die Forderung der IG Metall ist im Frühjahr formuliert worden, als sich eine gewisse wirtschaftliche Erholung abzuzeichnen schien. Der Maschinenbau machte beispielsweise „Licht am Ende des Tunnels“ aus. In der Autoindustrie war man der Meinung, dass der Einbruch der Elektromobilität nach der eingestellten staatlichen Förderung nur eine vorübergehende Erscheinung sei. Die Betriebsräte meldeten der IG Metall: Alles wird gut. Die Unternehmen werden schon nicht zusammenbrechen, wenn die Gewerkschaft mehr Geld fordert. Manche an der Basis wollten sogar einen Zuschlag von zehn Prozent und mehr.
 

 

Fernab der wirtschaftlichen Realität

Jetzt im Herbst muss die IG Metall feststellen, dass sich ihre Forderung von sieben Prozent fernab der wirtschaftlichen Realität bewegt. Statt mitten in einen aufkeimenden Aufschwung zu verhandeln, sind die Unternehmen noch tiefer in die Rezession gerutscht. Im Maschinenbau brechen die Aufträge weiter weg. Die Autobauer spüren die Verunsicherung der Kunden die inzwischen nur noch zögerlich kaufen – egal ob Verbrenner oder E-Mobil. Die kritische Lage wird durch die kritische Haltung vieler Banken zugespitzt. „Gespräche über eine weitere Finanzierung sind sehr schwierig geworden.“

Diesen Satz hört man im Gespräch mit mittelständischen Unternehmern immer öfter. Vor allem kleiner Zulieferbetriebe kämpfen inzwischen ums Überleben. „Derzeit liegt bei 40 Prozent der Betriebe die Rendite unter zwei Prozent“, unterstreicht Marquardt, der von der Ablehnung der IG Metall „enttäuscht bis Verärgert“ ist. Angesichts der aktuellen Lage habe man sich mit dem vorgelegten Angebot „schon sehr aus dem Fenster gelehnt.“

Leute, die Lage ist ernst

Die Zuspitzung in der Branche ist den Verhandlern in der IG Metall natürlich nicht verborgen geblieben. Schon zur ersten Verhandlungsrunde war man sich mit den Arbeitgebern von Südwestmetall schnell einig, dass die Lage ernst ist. Seit Wochen sind deshalb auch die Spitzenleute der IG Metall an der Basis unterwegs und betreiben vorsorglich Erwartungsmanagement. Tenor: „Leute, die Lage ist ernst. Große Zahlen werden wir diesmal nicht herausschlagen können.“ Da agiert die Gewerkschaft offenkundig vernünftiger als die in Berlin regierende SPD. Die ist inzwischen im Wahlkampfmodus und verspricht einen Mindestlohn von 15 Prozent. Tarifautonomie interessiert Scholz, Esken & Co. dabei offenbar nicht. Doch am Verhandlungstisch spielt das natürlich eine Rolle. Denn eine Erhöhung des Mindestlohns verändert als Dominoeffekt in der Folge auch das Gefüge der nächsthöheren Entgeltgruppen.

Das wirtschaftsferne Irrlichtern in der Berliner Politikblase treibt inzwischen nicht nur Unternehmer auf die Palme. Nicht jeder habe in der Hauptstadt die Zusammenhänge in ganzem Umfang erfasst, ärgert sich die Stuttgarter IG Metall-Chefin Barbara Resch. Im Sommer hat sie mit einem Positionspapier versucht, wichtige Entscheidungsträger an einem Tisch zu bringen. Ziel: gemeinsam strukturelle Probleme gemeinsam angehen. Doch die erst seit Februar agierende Frontfrau der IG Metall im Südwesten musste feststellen, „wie zäh das politische Geschäft ist.“ Den erhofften Debattenschub konnte die Gewerkschaft mit ihrem Papier jedenfalls nicht erzielen.
 

Eine Torte, die zwar mundet aber nicht dick macht

Dem Vernehmen nach haben sich Ende vergangener Woche in Stuttgart Spitzenvertreter von Südwestmetall und IG Metall Baden-Württemberg getroffen, um den zu verteilenden Kuchen neu zu backen. Weniger Lohnprozente sollen mit anderen Zutaten kompensiert werden. Arbeitsplatzsicherheit, Investitionen im Inland, gestaffelte Tarife je nach wirtschaftlicher Lage, Rentenmodelle, Digitalisierung, Fortbildungszusagen, Arbeitszeitmodelle oder der Verzicht auf Verlagerungen könnten solche Zutaten für den neuen Tarifkuchen sein. Dazu kommt die Laufzeit. Dabei gilt: je länger desto gewichtiger muss aus Sicht der Gewerkschaft das Gebäck ausfallen.

Der IG Metall geht es bei all diesen Fragen um Mitsprache und somit um mehr Einfluss. Da ziehen allerdings viele bei Südwestmetall organisierte Unternehmer schnell eine rote Linie. Mehr Mitsprache würde all jene Wettbewerber bevorteilen, die nicht an solchen tariflichen Regelungen gebunden sind. Außerdem wollen sich die Arbeitgeber schon grundsätzlich nicht in ihre Strategie reinreden lassen. Wobei die Gewerkschaft rügt, dass jeder zweite Mittelständler derzeit gar keine klare Vorstellung hat, wie ihr Betrieb in fünf Jahren dastehen soll.

Die Arbeitgeberseite beharrt auch mit ihrem Angebot auf eine stärkere Differenzierung. Das Prinzip ist nicht neu. Schon jetzt können die Betriebe eine jährliche Sonderzahlung von 651 Euro streichen, wenn das Geschäft schlecht läuft. Ein Sprecher von Südwestmetall schätzt, dass in diesem Jahr „zwischen zehn und zwanzig Prozent der Mitgliedsunternehmen diese Option ziehen. Das wollen die Arbeitgeber ausbauen. Die Tariferhöhung soll nur für Betriebe gelten, die sich das leisten können. Gleiches müsse auch für Sonderzahlengen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gelten.

Ein Auffächern der Tarifregelungen ist aber traditionell ein rotes Tuch für die IG Metall, die - wie alle Gewerkschaften - auf ein möglichst einheitliches Abkommen pocht. Knickt die IG Metall bei der Lohnforderung aber ein, muss der „Tarifkuchen“ dennoch „bezifferbar“ sein. Er soll einerseits den Unternehmen möglichst wenig kosten. Gleichzeitig muss er für die gewerkschaftlichen Basis so schmackhaft sein, dass sie ihn als leckeren Erfolg wahrnimmt – und akzeptiert.  Kurzum: die Tarifbäcker versuchen sich mitten in der Krise an einer Torte, die zwar mundet aber nicht dick macht.

Wir bereiten uns auf Warnstreiks vor

Die Tarifpartner stehen aber nicht nur unter wirtschaftlichem Druck. Ihr Ziel ist es, zu einem Ergebnis zu kommen, bevor die Lage bei VW eskaliert. Dort hat der Konzern den Tarifvertrag gekündigt und somit die Weichen für Werksschließungen gestellt. Befürchtet wird, dass es beim zweitgrößten Autobauer der Welt ab Dezember zu einem heftigen Arbeitskampf kommen könnte, der sich dann lange ins neue Jahr ziehen wird. Dem könnte sich dann auch die IG Metall in Stuttgart, die üblicherweise die Pilotabschlüsse für die ganze Branche ausficht - nicht entziehen.

Die Tarifpartner wollen sich erneut am 31. Oktober in Böblingen zusammensetzen. Zwei Tage davor endet die Friedenspflicht. „Wir bereiten uns auf Warnstreiks vor“, droht Resch. Hinter den Kulissen wird damit gerechnet, dass die Tarifpartner trotz aller Unterschiede möglicherweise schon Mitte November auf die Zielgerade zusteuern werden. Bis dann in der entscheidenden Runde ein Kuchen gelingt, der allen mundet, dürfte es wieder bis tief in die Nacht gehen.

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