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Personal > Interview

Von Blackberry zu Tantra-Massagen und Sterbehilfe

Erst Europa-Chef von Blackberry, dann Tantra-Masseur und Sterbebegleiter, jetzt Investor und Unternehmer. Von Markus Müller können Unternehmer einiges lernen.

markus Mueller
Blackberry Europa-Chef Markus Müller im Interview mit Markt und Mittelstand. (© Adrian Moser)

Herr Müller, ich vermute, Ihren Wikipedia ­Eintrag schlägt so schnell kein deutscher Unternehmer. Lassen Sie uns zunächst übers Sterben reden.

Sehr gerne. Was wollen Sie wissen?

 

Sie haben alles, was für viele Menschen Erfolg ausmacht – Macht, Geld, Karriere, Sex – in voller Bandbreite erlebt. Warum fasziniert Sie der Tod?

Weil wir viel besser leben, sobald wir uns unserer Endlichkeit stellen. Das Sterben hilft mir, Prioritäten zu setzen und Pläne zu realisieren. Niemand weiß, dass er nicht nächstes Jahr stirbt. Nach 2015, nach meiner Zeit als Europa-Chef bei Blackberry, hat mich dieses Thema sehr umgetrieben. Bei der ehrenamtlichen Arbeit für den Münchener Hospizdienst DaSein habe ich verstanden: Hier kannst du keine Probleme mehr lösen. Deine reine Präsenz und Empathie macht hier für einen sterbenden Menschen einen Unterschied. Für Manager ist das eine echte ­Lektion.

 

Wie setzen Sie das konkret im Alltag um?

Ich zoome mich seit vielen Jahren regelmäßig allein oder mit einem Coach aus meinem Leben raus. Manchmal führt das zu der Erkenntnis, etwas ändern zu müssen – die Wohnung, den Job, den Partner. Das ist schmerzhaft, aber es lohnt sich. 

 

War die Ausbildung zum Sterbebegleiter für Sie als Kopfmensch eine harte Schule?

Das war heftig. Eine Meditation über drei Stunden ganz besonders. Zuvor mussten wir auf sechs Zettel jeweils eine Sache notieren, an der wir sehr hängen, und einen Menschen, den wir lieben. Dann mussten wir in der Meditation in den eigenen Tod reingehen und alle halbe Stunde einen Zettel loslassen.

 

Wie war Ihre erste Sterbebegleitung?

Das war eine 94-jährige, alleinstehende und schwer demente Frau. Sie wollte sterben und bat mich: „Erschießen Sie mich!“ Ihr Sterben dauerte zwei Monate. Am vorletzten Tag war ich bei ihr. Mehr war es nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass es eine Hilfe für sie war.

 

Sie sind knochentrocken als Jurist ins Berufsleben gestartet. Hatten Sie ein Vorbild?

Ja, und das war auch mein Problem. Es war und ist mein Vater. Er hat sich in Bayern als Flüchtlingskind aus Mähren vom Hauptschulabschluss über ein Studium bis zum langjährigen Geschäftsführer hochgearbeitet. Er bekam sogar das Bundesverdienstkreuz.

 

War er ein Übervater?

Das Problem war ich, nicht er. Ich habe erst spät gemerkt, dass mich ein unbewusster Glaubenssatz durch mein Leben gesteuert hat: Ich darf nicht erfolgreicher sein als mein Vater. Dabei war er in Wirklichkeit stolz auf mich.

 

Warum haben Sie trotz überdurchschnittlichem Examen an der Münchener Uni nie als Jurist gearbeitet?

Ich fand das Thema und das Argumentieren interessant. Aber ich wusste schon im ersten Semester, dass ich ganz sicher nicht Jurist werden will. Da hatte ich keinen großen Ehrgeiz. Ich habe parallel diverse Nebenjobs ausprobiert, um rauszufinden, was mich wirklich interessiert. Unter anderem habe ich das Münchener Büro einer Personalfirma aufgebaut. Damals hatte die Arbeitsagentur ihr Monopol bei der Jobvermittlung verloren. Da hatte ich Ehrgeiz.

 

Warum sind Sie dann schon während des Studiums auf Technik umgestiegen? 2002 haben Sie die Ubitexx gegründet und neun Jahre später an das US-Unternehmen Blackberry verkauft. 2013 haben Sie die Geschäftsführung für Deutschland übernommen und wurden 2014 Europa-Chef.

Bei Ubitexx hat mich der aufkommende Mobilfunkmarkt begeistert. Ich erkannte, welche Sicherheitsprobleme darin steckten. Denken Sie nur an den ersten Palm Handheld. Der war DAS Manager-Statussymbol seiner Zeit, selbst wenn man ihn nicht bedienen konnte.

 

Höre ich da ein leichtes Grinsen in Ihrer Stimme?

Könnte sein.

 

Warum sind Sie dann bei Blackberry eingestiegen? US-Konzerne sind kein Hort für Freigeister.

Das war eine spannende Zeit: ein explodierender Markt, finanziell besser ausgestattete US-Konkurrenten und zum ersten Mal in einem Konzern.

 

Aber?

Ich ertrage es nicht, wenn mir als Europa-Chef der US-CEO auf eine Frage antwortet: „Ich erkläre dir nicht, warum. Du machst, was der CEO sagt.“ Meine Reaktion darauf kam nicht gut an. Trotzdem haben Sie mir einen Vorstandsposten angeboten. Aber das wäre dasselbe Problem gewesen. Ich wollte nur raus da, ohne zu wissen, wohin. Deshalb bin ich erst mal viel gereist. Irgendwann las ich einen Artikel über Sterbebegleitung. Es hat mir unemotionalem Mann die Füße weggezogen.


Wie sind Sie dann ausgerechnet darauf gekommen, 2015 in Bern eine Praxis für Tantra-Massage zu gründen? Sozusagen die volle Kehrtwende vom Kopf zum Körper?

Das habe ich selbst erst im Rückblick verstanden. Sex und Tod sind zwei grundlegende Pole in unserem Leben. Für ein gutes Leben ist es sinnvoll, sich mit beiden zu beschäftigen. Ich habe damals gemerkt, dass ich Frauen entweder ­körperlich oder emotional reizvoll fand, aber nicht auf allen Ebenen gleichzeitig. Aber das habe ich immer stärker vermisst. Ich wollte das ändern. Also habe ich mich in Tantra eingelesen.


Tantra ist ein weites Feld der indischen Philosophie. In Europa gilt sie vielen als Übungs- und Lebensweg, um Sinnlichkeit und Spiritualität zu verbinden. Haben Sie das gesucht?

Ich war offen. Nach meinem ersten Workshop war ich total geplättet von der Erfahrung dieser Art der Berührung. Ich habe meine „Berührungsängste“ verloren und wollte, dass auch andere von Tantra profitieren. Ich habe gelernt, dass es nur oberflächlich viel leichter ist, über die Liebe statt über den Tod zu reden. In der Tiefe ist es genau umgekehrt. Also haben meine Freundin und ich selbst eine Tantra-Praxis gegründet. Meine Freundin gab Kurse für Frauen und ich für Männer.

 

Da war aber doch eine ganz andere Qualifikation als die eines Managers gefragt.

Ich machte eine Ausbildung bei einer Münchener Tantra-Schule. Und ich hatte selbst gelernt: In der Sexualität lohnt es sich so sehr, offen für neue Wege zu sein. Vor allem, wenn es auf den alten nicht mehr weitergeht.

 

Zum Beispiel?

Ich habe lange gedacht, Reibung sei der Kick beim Sex. Falsch, die Qualität der Berührung ist es. Wer sensibler und feinfühliger für sich und seinen Partner wird, dem tut sich ein neues Land auf. Als verlöre man die Hornhaut auf der Seele. Das ist keine Frage des Alters. Auch Männer über 60 können sich aus alten Mustern lösen und tieferes Glück empfinden.

 

2019 haben Sie Nui gegründet. Eine App soll ­Menschen zusammenbringen, die gemeinsam
die Betreuung eines kranken oder alten Menschen organisieren. Noch ist die Firma klein, aber der Markt riesengroß. Sind Sie zurück in der Manager-Mühle?

Ubitexx habe ich als junger Mann gegründet, um „reich und berühmt“ zu werden. Jetzt steige ich als Investor und Business-Angel nur noch bei Unternehmen ein, deren Thema und deren Team mich berührt. Arbeiten, Lieben, Sterben sind Themen, die nie abgeschlossen sind in einem Leben. Heute ist es mir wichtig, alles in Balance zu bringen und nichts mehr hintenüberfallen zu lassen. Früher habe ich etwa zugemacht, wenn ich jemandem kündigen musste, heute bin ich empathischer. Aber das bleibt meine ganz persönliche Herausforderung. Ich bin eher dissoziiert und muss mich aktiv öffnen. Aber ich habe gelernt: In keinem Bereich meines Lebens muss ich mich aus Angst vor Verletzung verschließen. Ich kann mich öffnen und mir passiert nichts.

 

Haben Sie Kinder?

Den Wunsch nach einer eigenen Familie hatte ich nie.

 

Das Gespräch führte Anke Henrich.

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