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Personal > Studie Zuwanderung

Warum wirklich so wenige Fachkräfte nach Deutschland kommen

Deutschland sucht händeringend Fachleute in zahlreichen Berufsfeldern – auch und gerade im Ausland. Doch fündig wird man offenbar nicht so recht. Oder falls doch, hapert es an verschiedenen Stellen. Die Bürokratie scheint in ihrem Element.

Die Bürokratie in deutschen Ämtern ist ein großer Faktor, die die Einwanderung in Deutschland für Fachkräfte unattrativ werden lässt. Bildnachweis picture alliance / ZB | Jens Kalaene

Dass ein Gesetz aus dem Jahre 2020 bereits novelliert werden musste, wundert Fachleute kaum: Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) sollte es eigentlich gelingen, dringend benötigte Arbeitskräfte aus Drittstaaten außerhalb der EU für Deutschland zu begeistern. Von seiten des Gesetzgebers wäre spätestens jetzt, nach der jüngsten Neuregelung, also alles soweit. Doch der Erfolg wollte sich bislang nicht einstellen – Handwerk, Handel und Industrie suchen und finden nicht. Gravierende Umschwünge erwarten Arbeitsmarktforscher nicht. 

Nahezu euphorisch dagegen gibt sich die Bundesregierung nach der jüngsten Verabschiedung der Gesetzesreform am 23. Juni 2023. In der Tat, einiges wurde verbessert, manches nur halbherzig. Was nämlich bleibt, ist das „Kleingedruckte“ des Gesetzes. Daraus ergibt sich, dass zahlreiche verschiedene Behörden beteiligt sind, wenn es darum geht, die Qualifikation von ausländischen Fachkräften zu prüfen und – hoffentlich - anzuerkennen. 

Doch zuvor ist eine Visumsvergabe im Heimatland nötig, und Sprachkenntnisse mussten zumindest bisher durchgehend nachgewiesen werden. Im Gesetzestext findet sich nun auffällig oft der Begriff „Beschleunigung“: Doch Papier ist geduldig, so die Autoren einer Studie darüber, wo es denn so hakte bei Vermittlung und Einreise.

Marius Tollenaere und Ahu Çelik haben die Verfahren unter die Lupe genommen, die von der Kontaktaufnahme mit einer deutschen Auslandsvertretung (AV) bis zur Ausstellung des Aufenthaltstitels nötig sind. Die Studie unter dem Dach der Bertelsmann-Stiftung kommt zu einer klaren Schlussfolgerung, basierend auf dem Verfahren nach dem bis Juni gültigen Gesetz: Man könnte glauben, Deutschland benötigt den Zuzug von Fachkräften eigentlich nicht. 

Bei aller Anerkennung des Bemühens, den Bewerbern ein „One-Stop-Government“ zu bieten, also nach Möglichkeit nur einen und bleibenden Ansprechpartner, ist dies in der Praxis offenbar Wunschdenken. Daran dürfte auch die Neufassung des Gesetzes so schnell nichts ändern können. Auswärtiges Amt, Sicherheitsbehörden, Bundesagentur für Arbeit, Meldebehörden, Ausländerbehörden und Bundesverwaltungsamt sind nacheinander oder mehrfach beteiligt. 

Auf der Gegenseite stehen etwa eine Fachkraft aus dem IT-Sektor und der hoffnungsfrohe künftige Arbeitgeber in Deutschland. Beide müssen im Laufe des Verfahrens zahlreiche Dokumente vorlegen, oft im Original und physisch, das heißt: es sind mehrere persönliche Termine wahrzunehmen, die benötigten Zeugnisse und Urkunden müssen mehrfach vorgelegt werden, auch wenn eine Behörde sie bereits gespeichert hat. Dabei kommt es nach den Ermittlungen der Studienautoren durchaus zu kuriosen bürokratischen Folgen: Da zwischen dem Visumtermin im Ausland und dem Vorsprechen bei der Ausländerbehörde (ABH) durchaus weit mehr als ein halbes Jahr liegen kann, müssen bestimmte Dokumente erneut ausgestellt werden, da sie aus Sicht etwa der ABH als veraltet gelten.
 

Ein Haupt-Knackpunkt scheint nach den Ergebnissen der Studie die personelle Ausstattung der vielen beteiligten Behörden zu sein. Die deutschen Auslandvertretungen bedienen sich in ihrer Not mitunter externer Dienstleister, deren Systeme nicht mit denen der Behörden verknüpft sind, was Reibungsverluste bringt. Überhaupt ist die Verwendung unterschiedlicher, nicht kompatibler Verwaltungssoftware der entscheidende Grund, warum vieles doppelt erledigt werden muss. Das Zauberwort „Digitalisierung“ beherrscht damit die Misere des bürokratischen Prozesses. 

Ausländische IT-Spezialisten machen so bereits in der Heimat erste Erfahrungen mit dem Stand der deutschen Digitalisierung. Das „One-Stop-Government“ gibt es nicht einmal innerhalb des Behördenapparates, geschweige denn für die „Kunden“, Bewerber und Arbeitgeber. Vier Datensätze und mindestens zwei physische Akten werden pro Fall angelegt und entsprechend teils per Post oder Boten verschickt. Die Behörden, so die Autoren, verlangen dabei zu verschiedenen Zeitpunkten auch noch unterschiedliche Nachweise: Wo etwa eine Heiratsurkunde oder ein Abschlusszeugnis bei der Auslandsvertretung akzeptiert wird, kann wesentlich später im Verfahren noch die Meldebehörde auf einem eigenen umfassenden Urkundenprüfungsverfahren bestehen. Das macht das Unterfangen aus Sicht eines Unternehmens, das einen Bewerber einstellen will, nahezu zeitlich unkalkulierbar.

Mit der Reform vom Sommer 2023 sind einige Erfordernisse abgemildert worden – Sprachkenntnisse sind nicht mehr in jedem Fall erforderlich oder nicht in der bisherigen Kenntnisstufe, die Befähigung für verschiedene Tätigkeiten mit einer bestimmten Qualifikation wurde erweitert, so dass auch eine andere als die ursprüngliche Berufstätigkeit aufgenommen werden kann, und dies ist nicht mehr auf sogenannte Engpassberufe beschränkt.

Qualifizierungsmaßnahmen in Deutschland können wahrgenommen werden, und Bewerber erhalten ein Aufenthaltsvisum auch zur Arbeitsplatzsuche. Den hiesigen Unternehmen verspricht der Gesetzgeber: Mit einem beschleunigten Fachkräfteverfahren wird zukünftig alles besser. Und es gibt eine „Vorabzustimmung“ der Auslandsvertretung, wenn alle Dokumente in Ordnung sind, und von da bis zum Visum soll es höchstens noch drei Wochen dauern, so die Bundesregierung. Arbeitsministerium und Innenministerium sehen den Weg frei und versprechen, weitere bürokratische Hemmnisse abzubauen. Denn tiefentspannte Arbeitgeber, die ein Jahr Zeit zwischen Ausschreibung einer Stelle und ihrer Besetzung vergehen lassen, sind eher selten.

Die von den Forschern Tollenaere und Çelik herausgearbeiteten Stolpersteine lassen sich so schnell auch nicht beseitigen. Als kurzfristig machbar sehen sie eine generelle Verlängerung von Visa auf zwölf Monate, die Veröffentlichung der aktuell voraussichtlichen Bearbeitungsdauer durch beteiligte Behörden, automatische Eingangsbestätigungen für Dokumente und die Versendung von Dokumenten durch die Behörde, statt erneut einen persönlichen Vorsprachetermin auszumachen. Und: Digital vorliegende Dokumente sollten nicht nochmals in Papierform angefordert werden. 

Realistischerweise schlagen die Autoren nur als „mittelfristig“ machbare Verbesserung die Vereinheitlichung von Kommunikationswegen unter den Ämtern vor. Das bedeutet „systemintegrierte Kommunikation“ und würde zum Beispiel das Ende des Telefax bedeuten. Schon für die Umsetzung solch einfach erscheinender Reformen müssen allerdings zahlreiche Verwaltungen auf allen politischen Ebenen damit befasst werden. Mancher Arbeitgeber wird angesichts dessen auch schon mit kleinen punktuellen Verbesserungen zufrieden sein. 

Und an den insgesamt noch sehr restriktiven Regelungen auch des neuen Gesetzes ändert das nichts. Da wird einerseits ein Punktesystem eingeführt, wie es etwa Länder wie Kanada oder Australien besitzen - bei Erreichen der nötigen Punktzahl erhält man dort eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Und in Deutschland? Berechtigt dies zur Arbeitssuche, und zur Aufnahme einer Teilzeit-Tätigkeit mit zwanzig Wochenstunden. Für Fachkräfte mit Familie reichlich sinnlos, finden Migrationsexperten. 
 

Und in vielen Berufen gilt weiterhin ein hohes Mindestgehalt, das ein Bewerber erreichen muss, um auch ohne Anerkenntnis seiner Ausbildung im Heimatland in nicht reglementierten Berufen arbeiten zu dürfen. Ein junger Handwerker erreicht diese Untergrenzen kaum. Weitere Mindestkriterien, Ausnahmetatbestände („Westbalkanregelung“), Feinregulierung: Die Hürden des Gesetzes sind nach wie vor hoch. Jedenfalls wenn man bedenkt, dass aus demografischen Gründen jährlich 400.000 arbeitswillige Fachleute gebraucht werden, und stets um die zwei Millionen Stellen nicht besetzt werden können.

Hat am Ende alles geklappt, ist es noch nicht das Ende. Um Arbeitskräfte nicht nur zu bekommen, sondern auch zu halten, müssen Arbeitgeber einiges tun, denn nach Erkenntnissen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) benötigen ausländische Fachkräfte mehr Unterstützung durch ihr Unternehmen als bisher wohl üblich. Dies insbesondere bei Behördenkontakten, vor allem aber auch beim „Ankommen“ und der Knüpfung von Kontakten beruflich und privat. Das kann jedenfalls das Bleiben erleichtern, selbst wenn es gleichzeitig lockende Angebote etwa aus den USA gibt, wo manches für Ausländer einfacher erscheint. 

Deutsche Metropolen rangieren bei der Beliebtheit unter gebildeten Expats bestenfalls im letzten Drittel der möglichen Destinationen, Mexiko City schlägt Berlin oder München um Längen. Dinge, die ein Unternehmen nicht ändern kann – wie etwa die für manche Migranten unerwartet hohe Steuerlast – wiegen schon schwer, wenn nach wenigen Jahren ein Wegzug denkbar erscheint; in aktuellen Rankings gilt Deutschland unter befragten ausländischen Fachleuten nicht gerade als Einwandererparadies. Dabei wird in Umfragen auch deutlich, dass sogenannte weiche Faktoren viel mehr ausmachen als man meinen sollte. Das Gefühl, willkommen zu sein, gehört dazu. Eine Aufgabe nicht nur, aber auch der Arbeitgeber.

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