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Personal > Thema Diversity: Frauen

Was Frauen für die Karriere ihrer Männer aufgeben

1960 ist wieder da. Wichtiger als jeder MBA für Männer mit Karrierewunsch ist die richtige Ehefrau. Die Konsequenzen sind bitter – nicht nur in Familienunternehmen.

Nobelpreisverdächtige Liebe: Uğur Şahin und Özlem Türeci trotzten allen Hürden bis zur Gründung von Biontech. Quelle: Picture Alliance

Uğur Şahin und Özlem Türeci haben neulich in einem Podcast ungewöhnlich offen über ihre Studentenliebe gesprochen, aus der eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft wurde. Aber nicht nur das. Beide Mediziner sagen unisono: Nur ihr enges Miteinander, ihre unterschiedliche Art zu denken und das gemeinsame Ziel hätten auch ihren enormen beruflichen Erfolg als Biontech-Gründer ermöglicht. So klingt ein Paar auf Augenhöhe, einander wertschätzend, in sich ruhend, beneidenswert.

 

Und es klingt fast wie das Ideal deutscher Familienunternehmen mit männlicher Führungskraft. Dort heiratet eine Frau, gerne akademisch gebildet, ins Unternehmen ein. Lebenslang zieht sie mit dem Gatten an einem Strang. Erst das Geschäft, dann die Liebe. Und immer lächeln, wie im britischen Königshaus. Nach der Hochzeit gilt dann – ganz oder gar nicht. Selbst junge Frauen – und Männer – richten sich in alten Rollenbildern ein.

 

Die eine Gattin stellt ihr Wissen in den Dienst des Unternehmens. Die andere geht weiter ihrem eigenen Beruf nach, steht aber für alle repräsentativen Anlässe höchst repräsentativ zur Verfügung. Wenige Jahre später wird sie die gemeinsamen Kinder großziehen. Zwei bis drei sollten es schon sein. Arbeitet sie weiter, wechselt sie in Teilzeit, denn als gute Mutter fördert sie den Nachwuchs, kutschiert ihn und pflegt sämtliche sozialen Kontakte der Familie, selbst den zu seinen alten Studienfreunden. Er hätte ja gar keine Zeit dafür.

 

Hauptsache, repräsentativ

 

Sie macht morgens die Haferflocken-Blaubeer-Bowl für die Teenager und abends den kalorienarmen Salat mit Hühnchen für die Eltern. Redet sich die wenige Zeit mit den Kindern als Quality-Time schön. Mit viel Concealer unter den müden Augen steht sie auch weiterhin für repräsentative Aufgaben zur Verfügung. Vorausgesetzt, sie wurde nicht bereits durch eine zweite, jüngere Gattin des Familienunternehmers ersetzt. Zehn Jahre später beobachtet sie als Ex dann lächelnd, wie auch die Neue darunter leidet, dass der Gatte sich für die Firma einen Wolf abarbeitet. Alles beim Alten.


Ja, es klingt nach einem Klischee. Und es gibt auch Paare mit umgekehrter Rollenverteilung.

 

Aber die Wahrheit in Unternehmerfamilien ist auch im Jahr 2023 noch: Er macht Karriere. Sie gebärt und verzichtet. Er hält tagsüber die Welt in ihrem Lauf an. Sie klärt die Gluten-Frage im Kindergarten. Zehn, 15 Jahre lang funktioniert das. Bis einer von beiden deprimiert ins Weinglas seufzt: „So hatte ich mir das nicht vorgestellt.“ Sie sind kein Liebespaar mehr, sondern ein Top-Performer-Orga-Team zur Kinderaufzucht und Außendarstellung.

 

Schweigen zieht ein, Wertschätzung aus. Der Sex geht, teurer Schmuck kommt. Und andere Mütter haben auch schöne Töchter und Söhne. Mindestens einer der beiden Ehegatten denkt leise oder laut über die Scheidung nach. Aber die Kinder, das Haus, die Ferienwohnung, die Rentenanwartschaften! Und 20 gemeinsame Jahre, was für ein Pfund. Also bleibt alles, wie es ist: Zwei sind unglücklich, Karriere und Firma reüssieren.

 

The show must go on. Crémant in Bielefeld

 

Reden mittvierzigjährige Unternehmergattin in den grünen Vororten von Stuttgart, Hamburg oder Bielefeld bei einem Crémant über ihr Leben, klingt es heute noch wie bei den Desperate Housewives in der Wisteria Lane in der US-Provinz. Die US-Serie war 2005 nicht ohne Grund ein Quotenhit. Wie ginge es besser? Zum Lebensglück aller Familienmitglieder und zum Nutzen der Volkswirtschaft? Denn auch die verliert damit weibliches Kapital.

 

Welche Rolle spielen Frauen in Unternehmerfamilien heute? Nicht Wissenschaftler, sondern Paartherapeuten und Scheidungsanwältinnen sollte man dazu befragen. Kritische Geister forschen zur Zukunft der Familienbetriebe, zur Nachfolge, zur Diversität – doch die Ehe ist sakrosankt. Zu deren Chancen und Risiken schweigt die Wissenschaft. Die 60er-Jahre lassen grüßen. Denn selbst der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der 100 größten deutschen Familienunternehmen lag dem AllBright-Bericht 2022 zufolge bei 8,3 Prozent – seit zwei Jahren unverändert. Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der All-Bright-Stiftung, resümiert: „Die Welt dreht sich, die Familienunternehmen stehen still.“

 

Dabei sinkt die Bereitschaft der Frauen, für die Karriere ihres Partners beruflich zurückzustecken. In einer ElitePartner-Umfrage gaben 28 Prozent der Frauen an, sie würden für eine wichtige Karrieremöglichkeit selbst ihre Partnerschaft hintenanstellen. Der Familienexperte Wassilios Fthenakis, emeritierter Professor für Pädagogik und Psychologie, warnt seit Langem vor antiquierten Rollen: „Wenn egalitär orientierte Paare nach der Geburt des Kindes gezwungen werden, ihre Rollen zu traditionalisieren, werden sie auseinanderdividiert – der eine bleibt zu Hause, der andere muss nach draußen gehen. Sie haben kaum Zeit für Gemeinsamkeiten, worunter die Beziehung durch verminderte Kommunikation, weniger Zärtlichkeiten und den massiven Anstieg der Konflikte leidet.“

 

Aber selbst die unglückliche, arbeitsbefreite Gattin eines Unternehmers hat noch einen sekundären Leidensgewinn: Wohlstand, gesellschaftliche Stellung, Haushälterin oder Kinderfrau. Die Partnerinnen und Partner von den geschätzt rund drei Millionen angestellten Führungskräften haben den nicht. Teamleiterinnen oder Abteilungsleiter arbeiten nicht minder hart für ihre Karriere. Nur mit weniger Gehalt, um sich durch Kinderfrau und Putzdienst Zeit zum Durchatmen erkaufen zu können. Frauen arbeiten auch als Mütter weiter, weil es das Familienbudget so ­fordert.

 

Sie glauben an die 80-Prozent-Teilzeitlüge: Wer nur 80 Prozent Gehalt bekommt, muss auch nur 80 Prozent arbeiten. Doch jede berufliche Überzeugungstäterin, die sich ehrlich macht, schuftet in Teilzeit eher 110 als 100 Prozent. Spätestens abends, wenn die Kinder schlafen. Sie will sich nicht nachsagen lassen, als Mutter sei sie weniger belastbar oder karrieretauglich. Hier darf man getrost verallgemeinern. 72 Prozent der Mütter arbeiten Teilzeit, aber nur 7,6 Prozent der Väter. Corona hat diesen Trend noch beschleunigt.

 

Aber selbst, wenn die Gattin trotz Kindern Karriere macht, den Gatten mit Kindern holt sie finanziell nie mehr ein. Studien belegen, dass der Gender-Pay-Gap auch dadurch entsteht, dass Frauen die Einkommenslücke aus der Elternzeit nicht mehr aufholen. Und so streitet sich selbst das Wer-wenn-nicht-wir-Paar von einst, vorausgesetzt, es hat noch Restenergie, am Wochenende über die Frage, warum sein Job eigentlich immer wichtiger ist als ihr Job. Es geht um Wertschätzung, Macht und Kontrolle.

 

„Hat leider nicht gepasst“

 

Auch bei der Elternzeit. Das Gründerpaar Verena und Philipp Pausder präsentiert sich medial als gleichberechtigtes Power Couple mit funktionierender Patchworkfamilie. Eine Schelmin, die Böses dabei denkt, dass sich Verena Pausder sieben Monate Elternzeit für die gemeinsame Tochter genommen hat, während ihr Mann erklärt: „Nein, das hat leider nicht gepasst. Ich musste mich stark um mein Unternehmen kümmern.“
Vermutlich haben sich selten so viele Frauen Michelle Obama so nahe gefühlt wie im November 2022. Da plauderte die Juristin und Gattin des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama aus dem Nähkästchen und ist erstaunlich offen: „Es gab zehn Jahre, in denen ich meinen Mann nicht ausstehen konnte.“ Die gemeinsamen Töchter Malia und Sasha seien damals klein gewesen. „Zehn Jahre lang, während wir versuchten, unsere Karrieren aufzubauen und uns um die Schule und darum zu kümmern, wer was macht und was nicht, dachte ich: Das ist nicht fair.“ Wer weiß, wie oft sich Michelle abends – allein zu Haus – gefragt hat, ob Barack wirklich bis 22 Uhr keulen muss oder keine Lust mehr hat auf den ewigen Ärger ums Zähneputzen der Kinder.

 

Ehrliche Antworten

 

Alle Paare müssen sich drei systemimmanenten Umbrüchen stellen. Zunächst, sobald beide in den Karrieremodus starten, dann bei der beruflichen Neuorientierung in der Lebensmitte und schließlich zum Ende des Berufslebens, wenn die Gestaltung der gemeinsamen Restlaufzeit verhandelt wird. Das macht klar: Manche Probleme kommen garantiert, nicht wir selbst sind das Problem. Paare mit Karrieren und Kindern müssen trotzdem nicht wie in den Sixties enden. Schon kleine Veränderungen stabilisieren Beziehungen. So raten systemische Paartherapeuten Paaren zu drei Fragen, deren ehrliche Antworten erstaunliche Wirkung zeigen können: Was stört mich genau? Und warum? Mit welchen Glaubenssätzen versperre ich mir selbst den Weg zu einem erfüllenderen Leben für mich, als Partner und als Elternteil? Auch finanzielle Absicherung ist Wertschätzung. Ein Ehevertrag kann regeln, wie das Paar berufliche Auszeiten zwecks Kindererziehung ausgleichen wird – etwa durch freiwillige Einzahlungen in die Rentenkasse. Oft ist auch nicht die gesetzliche Zugewinngemeinschaft, sondern die sogenannte modifizierte Gütergemeinschaft die fairere Lösung für den Ernstfall. Apropos fair: Scheidungsanwälte beklagen, wie viele Unternehmergattinnen Fallstrickeheverträge unterschreiben – vor allem mit Babybauch. Ein Ehevertrag kann noch bis zur Scheidung einvernehmlich geändert werden. Eine vertrauensbildende Maßnahme.

 

Und Augen auf bei der Arbeitgeberwahl. Friederike Fabritius, Neurowissenschaftlerin und Beraterin von Topführungskräften, bringt den Stand der Wissenschaft auf den Punkt: „Frauen brauchen nicht Empowerment- und Lean-in-Workshops, sondern vor allem flexible Arbeitszeiten, die auch zur Kindererziehung passen.“ Familienbewusste Personalpolitik enthält Regelungen zur Arbeit im Homeoffice, Vertrauensarbeitszeit, Wiedereinstiegsprogramme nach der Elternzeit, einen Betriebskindergarten, ein Eltern-Kind-Büro sowie die Zusammenarbeit mit Kindergärten und Kitas. Nachweislich ist die Zufriedenheit berufstätiger Mütter umso höher, je mehr interne oder externe Kinderbetreuung der Arbeitgeber anbietet. Michelle Obama gebührt das letzte Wort: „Wir sind seit 30 Jahren verheiratet. Ich bin froh, nicht aufgegeben zu haben.“
 

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