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Was Führungskräfte von der Mutter einer Großfamilie lernen können

Führungskräfte gibt es nicht nur in klassischen Unternehmen. Was Geschäftsführer von Großfamilien lernen können, berichtet Sylva Liebenwein, Mutter von sechs Kindern und Mitglied im Verband kinderreicher Familien Deutschland.

5:30 Uhr – der Wecker klingelt. Unser Morgenprogramm startet. Die Aufgaben sind klar verteilt: Mein Mann kümmert sich um das Frühstück und die Pausenbrote, und ich sorge dafür, dass unsere sechs Kinder im Alter zwischen einem und 15 Jahren startklar für den Kindergarten oder die Schule werden.

Beruflich haben mein Mann und ich sehr verschiedene Interessen – Stefan arbeitet im Controlling bei einem Automobilzulieferer, und ich unterrichte als Professorin Pädagogik. In allen wesentlichen Erziehungsfragen haben wir dieselbe „Unternehmensphilosophie“, sonst würde es nicht funktionieren. Bei uns im Haushalt packen alle mit an. Der Älteste etwa übernimmt morgens den Gang nach draußen mit dem Hund (ist ja auch seiner!). In einer so großen Familie braucht es Absprachen und klare Organisation, gerade weil regelmäßig etwas dazwischenkommt oder der Plan angepasst werden muss. Wir sind sozusagen organisiert und flexibel zugleich. Jedenfalls erschreckt keiner von uns, wenn es kurzfristig mal woanders lang gehen muss. 

Jeder von uns hat ganz verschiedene Anliegen. Doch alles auf einmal geht nicht. Deswegen weiß jeder bei uns, dass er mal zurückstecken muss und ein andermal zuerst dran ist. Manches Problem löst sich dann auch von allein – wenn man ihm etwas Zeit gibt. 

Alle im Blick zu haben, sowohl den Einzelnen als auch das Ganze zu sehen, ist die wohl größte Herausforderung für meinen Mann und mich. Wenn ich am Mittag von der Arbeit komme, kochen und essen wir zusammen. Mein Mann arbeitet länger als ich, doch meine Mutter unterstützt mich öfters. Es ist wichtig, die Aufgaben im Haushalt an die Kinder zu delegieren und sie dann auch machen zu lassen und mit dem Ergebnis zu leben. Denn Kinder merken, wenn sie nur beschäftigt werden oder wirklich Verantwortung übernehmen dürfen. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und die Bindung zur Familie. Je kleiner die Kinder sind, desto mehr freuen sie sich, wenn sie „richtige“ Aufgaben übernehmen oder helfen dürfen, etwa beim Rasenmähen. 

Widerworte oder Streit gibt es natürlich auch bei uns. Ungehorsam gehört unbedingt zur normalen Entwicklung eines Kindes. Da müssen wir als Eltern durch, auch wenn es anstrengend ist. Wir haben diese Haltung verinnerlicht und suchen das Gespräch. Wir unterdrücken Konflikte nicht, sondern bringen unseren Kindern bei, dass Streit normal ist. Wir kontrollieren auch nicht täglich die Hausaufgaben. Die Kinder sollen auch da lernen, eigenverantwortlich zu arbeiten, und müssen mit Fehlern umgehen. Das finden wir enorm wichtig für ihr späteres Leben. Auch ich als Mutter muss nicht perfekt sein. Allerdings muss ich mich gelegentlich bewusst um Gelassenheit bemühen. Es ist anfangs ungewohnt, sich andauernd selbst zu reflektieren: Habe ich alles richtig gemacht? Haben die Kinder verstanden, warum ich gerade so und nicht anders reagiert habe? 

Kinder verstehen viel. Man muss vor ihnen keine Kulisse aufbauen mit ständig eitel Sonnenschein. Kinder wollen ernst genommen werden, und dazu gehört auch, ihnen auch mal klar zu sagen, was eine Familie sich leisten kann oder warum man vielleicht mal auf etwas verzichten muss. Wenn größere Ausgaben anstehen, dann können wir eben nicht in den Urlaub fahren. Das ist in Unternehmen ja genauso: Da wird auch die Haushaltslage geprüft und abgewogen. Doch erklären muss und kann man es. 

Wenn mein Mann dann abends nach Hause kommt, verbringen wir Zeit als Familie zusammen. Alle können kommen, keiner muss. Gemeinsam Zeit zu verbringen, das befehlen wir nicht. Tatsächlich beschäftigen sich die Kinder viel miteinander. Fünf Geschwister zu haben, das gibt viel her. Immer hat einer einen Einfall, eine noch bessere Idee und dann kommt eins zum anderen. So entsteht Innovation, so entsteht auch selbstvergessenes Tüfteln, und so funktioniert ein gutes Team. Die sechs agieren fast schon demokratisch, streiten sich, finden Kompromisse und neue Wege. 

Unseren Kindern schenken wir 100-prozentige Aufmerksamkeit, aber nicht jedem Kind zu 100 Prozent. Deshalb wenden sich die Kinder nicht immer an die Chefs, sondern eben mal an die älteren Geschwister. Das selbst gemalte Bild sieht dann eben zuerst der große Bruder, und er lernt zugleich, dass er sich freuen soll. Diese Erfahrung ist auch wichtig für ihn selbst. Die Hauptsache ist für unsere Kinder, stets einen Ansprechpartner zu haben. Wenn wir als Eltern nicht da sind, helfen sie sich untereinander. Konkurrenzkämpfe gibt es bei uns eher selten. Manchmal fragen uns die Kinder sogar, ob wir nochmal ein Baby kriegen.

 

Protokoll: Gesine Wagner

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